Um fünf Uhr aufstehen, die Kochjacke überwerfen und einen Tag lang das Selbstexperiment wagen. Als moritz-Redakteurin mache ich mich auf, um herauszufinden, was im Hintergrund unserer Mensa passiert, wenn keiner hinschaut.
Mẹn|sa, die;-, Plur.-s u. …sen ‹lat.› (restaurantähnliche Einrichtung an Universitäten [für die Studierenden]“, so schreibt es der Duden.
Soweit kann jeder Studierende die Institution Mensa definieren. Man schwingt sich ja schließlich häufig genug nach Vorlesungen aufs Fahrrad um in Richtung Mensa am Schießwall oder Berthold-Beitz-Platz zu radeln, manchmal öfter in der Woche als man vielleicht möchte. Die Treppen hoch, noch einmal auf den Plan geschaut, vielleicht einen unschönen Blick auf das Essen in der Vitrine geworfen und dann ist die Entscheidung meistens auch schon gefallen. Also stellt man sich an, hofft auf eine möglichst kurze Wartezeit und bezahlt anschließend. Manchmal hört man noch die Worte: „ich hätte gern“, oder „schönen Tag noch“. Diese Szene bedeutet Routine für viele Studierende unserer Universität und auch für mich ist sie Alltag. Doch als ich vor einiger Zeit vor meinem vegetarischen Essen saß, fiel mir auf, dass die Wenigsten wissen, was hinter den Theken geschieht und welchen Weg die Lebensmittel täglich gehen, bevor sie auf den Tellern landen.
Ich mache mich auf, es herauszufinden und wage das Selbstexperiment: ein Tag als Mensamitarbeiterin. Es wird ein spannender, anstrengender und aufschlussreicher Tag, der den Sonnenaufgang nicht abwarten kann. Während so ziemlich jeder Student noch in den Betten liegt, beginnt für die Mitarbeiterinnen der Mensa um 6.30 Uhr schon der Arbeitstag. So früh bin ich noch nie aufgestanden, um zu arbeiten. Bevor es in die Küche geht, muss aber zunächst die Umkleide aufgesucht werden. Straßenkleidung ist an den Herden nicht erwünscht, wird mir vom Chefkoch, Herrn Woryna, erklärt. Also pelle ich mich aus der Kleidung, die mich am Morgen beim müden Anziehen so viel Mühe gekostet hat und nehme vorlieb mit karierten Hosen, einem weißen Poloshirt und einer kompliziert geknöpften Kochjacke. Ich sehe wahrscheinlich ziemlich albern aus, aber plötzlich bin ich ein Teil des Kollegiums und werde mit freundlichen Augen gemustert.
Für die anderen Damen heißt es nun an die Töpfe. Wobei wohl mehr von gigantischen Kesseln gesprochen werden muss, in denen nun nach und nach die schon vorsortierten Waren nach genauen Rezepten zusammengemischt und gewürzt werden. Ich darf leider nicht an den Herden mithelfen, denn die Arbeitsabläufe sind streng getaktet und die insgesamt 35 Mitarbeiterinnen mit einem Altersdurchschnitt von 50+ kennen ihre Handgriffe. Dafür bin ich für das Zupfen der Bio-Petersilie verantwortlich und freue mich fast ein bisschen, dass ich nicht die schweren Flüssigkeiten in den Bottichen bewegen muss. Mir bleibt Zeit mich in den Räumlichkeiten umzuschauen und Eindrücke zu sammeln. Der Chef, wie er von allen genannt wird, erklärt mir, dass das Bauwerk bereits seit den Siebzigern als Gebäude des Kochens genutzt wird und nach einem großen Umbau 1998 viele Räumlichkeiten, wie zum Beispiel die Küche eines ehemaligen á la carte Restaurants, unglücklicherweise leer stehen. Ich wandere durch die Ruinen und die Atmosphäre wirkt schon fast gespenstisch trotz des Trubels und des Geschirrgeklapperns in der Großküche, die in dem versteckten Raumlabyrinth plötzlich ganz weit weg scheint.
Das Essen ist schon um kurz vor neun Uhr fertig und wird in die Wärmebehälter verfrachtet, die entweder gelagert oder von Mitarbeitern zum Beitzplatz transportiert werden. Eine anstrengende Arbeit, die mir zum Glück erspart bleibt, denn mir wird die Kalkulation und Planung erklärt. Die Einteilung der Gerichte folgt Wochenplänen, die alle zehn Wochen rotieren und wieder von vorne beginnen. Ein Licht geht mir auf: Deswegen gibt es bestimmte Zusammenstellungen also immer an einem festen Wochentag. Bei der Preiskalkulation wird es dann komplizierter und auch ich mit meinem flüchtigen buchhalterischen Wissen aus der Vorlesung Rechnungswesen muss erkennen, dass da etwas nicht stimmt. Mit vielen Preisen, die später an den großen weißen Tafeln der Mensa geschrieben stehen, werden gerade so die Kosten des Einkaufs gedeckt, aber mehr auch nicht.
Zunächst bin ich erschrocken über die riesigen Mengen an Tiefkühl-Produkten, Tetra-Packs und Dosen auf den Lieferwägen, doch nun erklärt sich, warum frisches Kochen fast unmöglich ist. Frisches Essen kostet. Das merkt der studentische Geldbeutel immer, wenn das „ MensaVital “- oder Bio-Gericht angeboten wird. Zumindest werden die Waren von einem regionalen Lieferanten bezogen, doch das Herkunftsland der einzelnen Produkte ist unbekannt. Die Richtlinien der Europäischen Union würden aber eingehalten werden, wie mir Herr Woryna bestätigt. Geld wird an allen Ecken und Enden gespart und so landet auch oft bakteriell unbedenkliches Essen vom Vortag in der Selbstbedienungstheke. Eine Wertung dieses Umstands muss wohl jeder selber treffen, aber essen wir nicht alle mal in unseren heimischen Küche die letzten Reste eines Kochabends mit Freunden auch noch am nächsten Tag?
Die finanziellen Mittel sind knapp, aber die Mengen sind groß. Bei der Kalkulation der täglich benötigten Portionen bedient sich der Chef an Erfahrungswerten und ein wenig Bauchgefühl. Natürlich zählen auch die Jahreszeit und der Vorlesungsplan. Zu meinem Arbeitstag herrscht wunderbarer Weise vorlesungsfreie Zeit, denn mich strengt ja schon die Produktion von 800 bis 1 000 Portionen an. Wie wäre es wohl im Hochbetrieb bei durchschnittlich 1 600 Tellern gewesen? Soweit zum Organisatorischen.
Nun interessiert mich die Arbeit der Angestellten, die sich sichtlich über Aufmerksamkeit freuen. Mir wird von Enkelkindern berichtet und alle die hören, dass sie in die Zeitung kommen könnten, werden ganz aufgeregt. Verlegenes Gekicher und eifriges Arbeiten sind die Reaktion. Doch schon nach einem Tag verstehe ich das. Als Mensa-Mitarbeiterin muss man Köchin, Service-Kraft, Putzfrau und Lageristin gleichzeitig sein. „Das ist eine körperlich sehr schwere Arbeit, das müssen Sie schreiben“, wird mir mehrmals von meinen Kolleginnen geraten. Fast ein wenig schadenfroh lächeln die durchweg freundlichen Mitarbeiterinnen, wenn ich mich abmühe, Wagen mit Tabletts beladen durch die Küche zu bugsieren und bei der Essensausgabe meine Wangen vor lauter Wärme die Farbe des köchelnden Feuertopfes vor mir annehmen. Ja, die Frauen haben Recht, wenn sie mir im Vorbeigehen zunicken und zugeben: „Der Tach ist nich leicht.“
Schön wäre es da wohl, öfter mal ein freundliches Gesicht bei den Studierenden zu sehen und Verständnis für Komplikationen im Ablauf zur Mittagszeit zu erhalten. Sie selbst werden vor meinen Augen vom Chef ermahnt, stets freundlich zu sein und jedem Gast ein gutes Gefühl mit auf den Weg zu geben. Ich traue ihnen zu, dass sie es in ihren Herzen auch möchten, aber ich selbst muss feststellen, dass das im Hochbetrieb manchmal einfach nicht im vollen Umfang möglich ist. Außerdem kommt selten ein freundliches Wort zurück. Da können die müden Nerven vom Vormittag auch schnell mürbe werden und die Höflichkeit schwindet. Eine meiner Kolleginnen weist mich darauf hin, dass alle Damen Namensschilder tragen würden. „Dann sollen die Beschwerden auch mal mit dem richtigen Namen kommen, damit wir mal wissen, wer hier tatsächlich unfreundlich sein soll.“
Erstaunlicherweise finde ich den Teil des Tages, bei dem man hinter den Tresen steht und die Lebensmittel auf die Teller füllt, noch am Spaßigsten. Es bereitet Freude, die überlegenden Gesichter der Studierenden vorbeiziehen zu sehen und zu erkennen, dass man selbst an einem anderen Tag mit genau dem gleichen Gesichtsausdruck vor den Glasflächen gestanden haben muss. Spannend ist, dass ich erst zu diesem Zeitpunkt auch den Angestellten ein wenig näher komme, sie ins Plaudern geraten und so eine deutlich andere Wahrnehmung der Arbeit entsteht, als sie mir vom Chef vermittelt wurde. Die Dienstälteste steht schon 40 Jahre für Studierende an den Kesseln und lässt sich ungern in ihre routinierten Arbeitsabläufe hineinreden, obwohl manchmal Ermahnungen gerechtfertigt und notwendig sind, um die Qualität des Betriebs zu verbessern. Man spürt deutlich, dass die Frauen ein eingespieltes Team sind. Jeder Handgriff sitzt und die Zusammenarbeit scheint reibungslos. Hier und da wird über einen Scherz gelacht und das Privatleben des Anderen ist gut bekannt. Klar, bei einem solchen Weiberhaufen bleiben Lästereien und Neckereien nicht aus, aber ansonsten sehe ich eine große Familie vor mir und den Bösewicht Chef, der sich bemüht ein Mitglied zu werden. Doch das ist wahrscheinlich für jeden Vorgesetzten eine Problematik, der er sich jeden Tag zu stellen hat.
Bis zu diesem Zeitpunkt war der Tag gewiss nicht leicht und nicht erst jetzt kommen bei mir die ersten Müdigkeitserscheinungen auf. Doch nun wartet die riesige Bandspülmaschine auf mich. Wer sich vor dem heimischen Abwasch und dem Wegräumen von sauberem Geschirr scheut, der wird nie wieder darüber fluchen, wenn er einmal an einer solchen Küchenmaschine stand. Vier Frauen werden für das Reinigen benötigt. Die Tabletts kommen angefahren und dann geht es los: Besteck liegen lassen, Teller von Essensresten befreien und zusammen mit Tassen, Gläsern und Schüsseln auf ein Fließband stellen, das in der Waschstraße verschwindet.
Niemals wieder werde ich die zahlreichen Schilder bei der Tablett-Abgabe missachten. Jedes liegen gelassene Päckchen Salz ist für die Frauen am Fließband eine Herausforderung und erschwert die Handgriffe. Auch ich ging vor meinem Selbstexperiment davon aus, dass das Zusammenstellen von zwei Tabletten und dem dazugehörigen Geschirr hilfreich sei. Wenn ihr den Frauen am Fleißband wirklich einen Gefallen tun wollt, dann tut das nie wieder! Denn in einem solchen Fall müssen die Handgriffe in der Zeit für ein Tablett doppelt ausgeführt werden. Für mich zu Beginn eine unmögliche Aufgabe. Das Wegräumen der gesäuberten Geschirrteile ist dann nicht ganz so kompliziert, aber über 100 Bestecke sortieren wird auch schnell zu einer schnöden und anstrengenden Tätigkeit.
Wenn die Studierenden das Gebäude verlassen und im Essenssaal wieder die Lichter ausgeknipst werden, heißt es gründlich Putzen. Mit akribischer Gründlichkeit wird jedes genutzte Gerät mehrmals mit desinfizierendem Reinigungsmittel geschrubbt und mit riesigen Wasserschläuchen abgespült. Gerätehüllen werden geöffnet, um auch die nicht sichtbare Sauberkeit gewährleisten zu können. Jeder kennt seine Aufgaben und als auch der Boden gründlich gespült wurde, ist endlich „Schluss, Feierabend“, und die Lichter gehen aus.
Nach diesem Tag werde ich häufig gefragt, ob ich selber noch in der Mensa essen möchte und die Gerichte nach dem gewonnenen Eindruck noch schmecken würden. Meine Antwort lässt sich einfach und klar formulieren: Essen ja, herstellen nein.
Eine Reportage von Lisa Klauke-Kerstan mit Fotos von Ronald Schmidt