Einser Absolventen stehen nicht nur einer Vielzahl von Studienoptionen gegenüber, sondern auch hohen Erwartungen anderer.
Das Abitur ist für viele die erste wirkliche Hürde im Leben und dazu noch eine wichtige! Die Durchschnittsnote des Abschlusses bestimmt oft, welche Türen sich für das zukünftige Berufsleben öffnen und welche für immer verschlossen bleiben. Ein Schnitt im Einserbereich ist für den Großteil der Schulabgänger eher ein Wunschdenken als wirkliche Realität. Nur wenigen gelingt es, sich die begehrten Noten auch zu erarbeiten und damit das Tor zum Wunschstudium aufzustoßen. Dann aber sind die Möglichkeiten vielfältig: entweder man studiert beispielsweise Medizin an der nächstgelegenen Universität oder besucht eine Privatschule für Wirtschaft in einem ganz anderen Bundesland. Leider wird es von einem Großteil der Gesellschaft schon fast erwartet, dass Spitzenabiturienten entsprechende Berufswege, wie den eines Arztes, einschlagen.
Doch wie trifft man die richtige Entscheidung, wenn man die freie Qual der Wahl hat? „Nach meinem Abi war ich erstmal ziemlich planlos, was genau ich denn nun studieren wollte. Ich wusste nur, dass es irgendetwas in Richtung Naturwissenschaften und Forschung werden sollte“, erzählt Jörn, der erst nach einem Studienwechsel das richtige Fach für sich gefunden hat.
Trotz einer Traumnote von 1,1 schrieb er sich zunächst für ein zulassungsfreies Fach ein: „Ich hatte mich damals recht spontan entschieden, aber relativ schnell gemerkt, dass es doch das falsche Fach für mich war.“ Er hat dann die Zeit bis zum nächsten Semesterstart genutzt und sich in verschiedenste Vorlesungen zur Orientierungshilfe gesetzt. So ist er letztendlich bei den Humanbiologen gelandet. Jörn steht somit stellvertretend für viele andere und zeigt, dass selbst Einser-Abiturienten keinen Masterplan in der Hand haben und Zeit zur Entscheidungsfindung brauchen.
Für Maja war dagegen schon in der Schulzeit klar, wohin ihr Weg gehen sollte: „Ich habe mein Schulpraktikum in der 10. Klasse in einer Reha-Klinik gemacht und durfte dort bei den Neuropsychologen reinschauen. Danach war Psychologie eine Studiumsoption. Ich habe mich informiert und seit der 11. Klasse stand es dann für mich fest.“ Sie hat sich mit einem Schnitt von 1,4 beworben und studiert heute im fünften Semester. Psychologie gehört wie Humanbiologie an der Universität Greifswald neben (Zahn-)medizin zu den höchsten NC-Fächern.
Doch auch wenn beide sagen, dass sie bei der Entscheidungsfindung unter keinem Druck ihres Umfeldes standen, mit ihren guten Noten auch ein entsprechendes Fach zu studieren, denken sie dennoch, dass es einen solchen durchaus gibt. „Man erwartet schon von jemanden, dem alle Möglichkeiten offen stehen, dass er oder sie die besten Optionen abwägt und auch nutzt“, so Maja.
Laut Aussage der zentralen Studienberatung könne man keine generelle Aussage darüber treffen, ob Schüler mit einer hohen Durchschnittsnote auch einem höheren gesellschaftlichen Druck unterliegen. Sicherlich gäbe es aber durchaus Lehrer, Freunde oder Familienangehörige, die versuchen einen Einfluss auf den Werdegang eines Einzelnen zu nehmen. Solche Fälle hat es auch bei der Studienberatung gegeben. Dennoch ist es für derartige Situationen nicht möglich, eine Patentlösung zu finden. Die Beratungen sind immer Einzelfallentscheidungen. Es hängt zudem aber auch davon ab, ob man zielgerichtet auf ein bestimmtes Studium hinarbeitet, wie Maja beispielsweise, oder den Abschluss mit eins schafft und danach trotzdem nicht weiß, was man denn nun damit machen solle. Zudem bestimmen weitere Faktoren die Entscheidung für das zukünftige Leben: Begabung, Fähigkeiten oder Interessen eines jeden Einzelnen solle man nicht außer Acht gelassen.
„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Familien gibt, in denen es einem nahe gelegt wird, aus seinem Abi doch auch was zu machen. Ich selber hatte keinen Druck durch die Familie, da ich ja sowieso der Erste von zu Hause bin, der studiert“, erklärt Christoph. Trotz eines Abiturschnitts von 1,2 hat er sich bewusst gegen Fächer wie Medizin oder Humanbiologie und für evangelische Theologie entscheiden – ein zulassungsfreies Studium. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich Karriere machen muss nur weil ich ein gutes Abi habe.“
Auch Johannes wählte lieber solch einen Weg. Obwohl der Bachelorstudent für Philosophie und Geschichte (derzeit im 3. Semester) aus einer Arztfamilie stammt, tritt er nicht in die Fußstapfen seiner Eltern. „Beide Elternteile haben mir, obwohl oder vielleicht gerade weil sie beide Ärzte sind, von Anfang an von einem Medizinstudium abgeraten, falls das nicht ganz sicher mein Favorit sei.“ Seine Entscheidung für die Geisteswissenschaften stieß jedoch nicht überall auf Wohlwollen. Die Großeltern hätten ihn doch lieber als Mediziner gesehen und auch viele seiner Mitschüler sind der Meinung gewesen, dass er mit seinem Abschluss Medizin studieren müsse, weil er ja aus einer Arztfamilie stamme. „Auch jetzt kommt für mich ein anderes Studium nicht in Frage, eigentlich weniger denn je, weil mein jetziges Studium alle meine Erwartungen erfüllt hat und ich zufrieden bin.“
Dennoch gibt es Abiturienten, die dem Willen von Freunden oder Familie gefolgt sind und das ihnen nahe gelegte Studium aufnahmen, anstelle ihres eigenen Wunsches. Das macht sicherlich nicht auf Dauer glücklich und führt in der Regel dazu, dass ein gewisser Teil dann an den Anforderungen des Faches zu scheitern droht. Solche Fälle sind der zentralen Studienberatung ebenfalls bekannt, aber auch hier könne man keine Patentlösung fällen. Obwohl Maja ihr Wunschstudium erreicht hat, hatte sie dennoch schon einmal das Gefühl sie könne dem Leistungsdruck nicht standhalten: „Die Menge an Stoff lässt einen manchmal schon zweifeln.“ „Ich habe mir vorgenommen, mich bis zum Abschluss durchzukämpfen, auch wenn die Belastung sehr groß ist. Ich denke, dass jedes angebotene Studium zu schaffen ist“, äußert sich Johannes.
Schlussendlich ist festzuhalten, dass durchaus ein gewisser Druck auf den Spitzenabiturienten liegt, bei einigen mehr als bei anderen, aber es gibt ihn. Die Frage ist nur wer diesem standhalten kann. Bei Unsicherheiten sollte auf jeden Fall eine entsprechende Beratung in Betracht gezogen werden. Recht überraschend war jedoch, dass für keinen der befragten Studenten eine Ausbildung in Betracht kam. „Für mich stand eigentlich schon immer fest, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Das bietet mir einfach mehr Möglichkeiten. Bei einem Ausbildungsberuf hätte ich Angst zu schnell an einen Punkt zu kommen, an dem es nicht mehr weitergeht“, erzählt Jörn.
Ein Bericht von Laura-Ann Schröder mit privat zur Verfügung gestellten Fotos, die nicht unter CC-Lizenz stehen.