Die Studierendenschaft hat entschieden
Es ist das Jahr, in dem sich bereits am ersten Wahltag lange Schlangen vor den Wahlurnen bildeten. Besonders im Seminarraum der Universitätsbibliothek herrschte Hochbetrieb. Von solch einem Ansturm hatte selbst die Wahlleitung nicht zu träumen gewagt. So kam es, dass zwischenzeitlich in den Wahllokalen der Unibibliothek und der Löfflerstraße sogar die Stimmzettel ausgingen. Wahlleiter Michael Seifert reagierte prompt, zehn Minuten später war das Problem gelöst.
Es war mit knapp 22 Prozent die höchste Wahlbeteiligung seit 1997, noch dazu fast doppelt so hoch wie 2009. Das hängt vor allem mit der Tatsache zusammen, dass die diesjährigen Wahlen zum Senat, Studierendenparlament (StuPa) und zu den Fakultätsräten parallel zur ersten Urabstimmung in der Geschichte der Universität stattfanden. Diese hatte viele in die Wahllokale gelockt. Damit dürfte es vorerst fragwürdig bleiben, ob dieses Niveau im nächsten Jahr gehalten werden kann. Auch die Zahl der Bewerber für das StuPa übertraf die vergangenen Jahre: 55 Studierende kandidierten in diesem Jahr und damit weit mehr als 2009.
Listenwahl mit Folgen
Neben einigen altbekannten studentischen Senatoren wie Thomas Schattschneider und Sebastian Jabbusch hielten viele neue Gesichter Einzug in den Senat. Ins Auge stach in diesem Jahr auch die sogenannte Listenwahl. Dahinter verbirgt sich ein Wahlverfahren, bei dem sich die Kandidaten auf einer gemeinsamen Liste zur Wahl stellen. Die Stimmen der einzelnen Kandidaten kommen dabei letzten Endes der gesamten Liste zu Gute. In diesem Jahr gab es drei von ihnen. Über die Liste „Volluniversität“ traten elf Vertreter der Medizinischen (MedFak) und Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten (MatNat) an, die es im Ergebnis auf 9175 Stimmen brachten. Die Liste „Pro Geistes- und Sozialwissenschaften sowie Lehramt“ stellte zwar 25 Bewerber, konnte aber letzten Endes nur 8732 Stimmen einholen.
Beide Listen sind nun mit jeweils sechs Kandidaten im Senat vertreten. Damit besteht ein eindeutiges Ungleichgewicht, machen doch die Philosophische (PhilFak), die Rechts- und Staatswissenschaftliche (RSF) sowie die Theologische Fakultät (TheoFak) einen weitaus größeren Teil der Studierendenschaft aus. „Das lag sicherlich auch daran, dass wir vor allem Historiker, Politikwissenschaftler und Juristen auf der Liste hatten, die sich gegenseitig die Stimmen streitig gemacht haben“, so Thomas Schattschneider.
Bei den Professoren zeigte sich die gleiche Tendenz. Die PhilFak, die TheoFak sowie die RSF sind nun durch insgesamt vier Professoren im Senat vertreten (2009 waren es noch sechs), hingegen die MedFak und die MatNat durch neun (2009 waren es sieben).
Die dritte Liste wurde allein von Alexander Schmidt, der zunächst in der Wahlbroschüre vergessen wurde, gestellt. Trotz intensivem Wahlkampf via Internet, Flyer und persönlicher Gespräche vor den Wahllokalen hat es für den Einzug in den Senat aber nicht ausgereicht.
Veränderungen im Senat
Dieses neue Verhältnis im Senat könnte einige Auswirkungen nach sich ziehen. Die studentischen Senatoren der MedFak und MatNat betonten zwar in ihren Wahlprogrammen, sich für die Förderung aller Fakultäten einzusetzen. Dennoch könnten im Hinblick auf die neuen Zielvereinbarungen die formulierten Schwerpunkte zu Gunsten der Mediziner und Naturwissenschaftler ausfallen.
Mediziner mobilisierten sich gegenseitig
Fakt ist, dass die Wahlbeteiligung der Studierenden der MedFak bei 24,7 Prozent, die der MatNat sogar bei 25,9 Prozent lag. PhilFak, RSF und TheoFak brachten es gerade einmal auf knapp über zehn Prozent. Besonders die Mediziner haben sich gegenseitig mobilisiert, sogar die Professoren riefen ihre Studierenden per Mail zum Wählen auf. Eine organisierte Mobilisierung haben die Geistes- und Sozialwissenschaftler hingegen verpasst. „Es ist natürlich schade, dass wir das Wählerpotential der drei Fakultäten nicht ausreizen konnten“, gestand Thomas Schattschneider ein.
Die Grünen im StuPa wieder ganz vorn
Ähnlich wie im letzten Jahr, nur diesmal ohne Spitzenkandidatin Anne Klatt, konnte sich die Grüne Hochschulgruppe (GHG) in der Wahl zum StuPa durchsetzen. Alle fünf Kandidaten schafften es sogar unter die ersten neun Plätze, auch alle Neu-Bewerber, nur Alexander Schulz-Klingauf ist ein bekanntes Gesicht. „Grün scheint ein sehr gutes Image unter Studierenden zu haben“, deutet Grischka Nissen, der im dritten Semester Betriebswirtschaftslehre studiert und zu den vier grünen Neu-StuPisten gehört. „Und es ist ein eindeutiges Votum für unsere Ziele wie Bio-Mensa, Recyclingpapier, UniSolar beziehungsweise generell für mehr ökologische Nachhaltigkeit an der Uni“, so Grischka weiter.
Hochschulpolitische Gruppen weiterhin von Bedeutung
Bereits 2009 gewannen hochschulpolitische Gruppen an Bedeutung. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) gehört in diesem Jahr, neben den Grünen, zur stärksten Fraktion im StuPa. Neben den sechs platzierten Kandidaten warten sechs weitere auf der Nachrückerliste. Dahinter folgen die Jungsozialisten (Jusos) mit vier Plätzen im StuPa. Ihnen gelang es, fast alle ihrer Bewerber im StuPa zu positionieren. Nur Timo Schönfeld hat es nicht auf Anhieb geschafft. Doch als Erster auf der Nachrückerliste hat er gute Chancen, schon bald dazu zu stoßen. Im vergangenen Jahr hatten sie jedoch mit acht Sitzen eine stärkere Position eingenommen.
Für den Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband (SDS) sitzen nun Diana Treiber, Lars Novak und Claudia Sprengel im StuPa. Die Liberale Hochschulgruppe (LHG) wird durch Alexander Schmidt vertreten, vier weitere Kandidaten warten auf der Nachrückerliste. Die besten Chancen, bald dazu zu stoßen, hat Christoph Klein. Solvejg Jenssen ist ebenfalls Mitglied der LHG, trat aber nicht direkt als deren Kandidatin an. „Insbesondere in der letzten Legislatur war das Gegeneinander und gegenseitige Blockieren der Hochschulgruppen im StuPa alles andere als gewinnbringend und viel konstruktive Arbeit wurde dadurch verhindert“, erklärte Solvejg.
Hochschulpiraten erhalten Einzug ins StuPa
Nach ihrer Gründung im vergangenen Oktober, traten die Hochschulpiraten (HoPi) in diesem Jahr zum ersten Mal an. Von ihren fünf Kandidaten schafften es zwei ins Parlament. Noch dazu konnte Tristan Varbelow das zweitbeste Wahlergebnis der Einzelstimmen einfahren. Seine Zugehörigkeit zur Medizinischen Fakultät könnte dabei eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Das StuPa setzt sich demnach zur Hälfte aus linksorientierten Hochschulgruppen zusammen, ein klares Signal für rot-rot-grün. Die Unabhängigen machen immerhin noch ein Viertel des Parlamentes aus. Wie aber das letzte Jahr gezeigt hat, kann es noch durch diverse Rücktritte zu Verschiebungen kommen.
StuPa wohl auf 30 Mitglieder erweitert
Das Studierendenparlament wird wohl zunächst auf 30 Mitglieder erweitert werden, da die Mandate von Solvejg Jenssen, Martin Hackbarth und Maike Schneider vorerst ruhen. Alle drei sind bislang für den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) tätig. Im April werden jedoch die AStA-Referenten neu gewählt, dann können sie ihre Mandate im StuPa aufnehmen. Martin Hackbarth, Referent für politische Bildung, könnte sein Mandat unter Umständen noch etwas länger ruhen lassen. „Ich möchte zuvor noch ein bis zwei Projekte im AStA beenden. Wenn ich mit dieser Arbeit fertig bin, werde ich ab Mai mein Mandat antreten“, teilte Martin mit.
Ein Artikel von Annegret Adam und Patrice Wangen mit einem Foto von Alexander Müller
Rekordwahlbeteiligung, Hallelujah!
Ein Kommentar von Patrice Wangen
Ganze 22,3 Prozent der Greifswalder Studierendenschaft haben sich Mitte Januar dazu bequemen können, ein paar Kreuzchen für die Vertretung ihrer Interessen zu machen. Was für die Bundestagswahl ein Desaster wäre, wird bei den Gremienwahlen als Höhepunkt politischer Teilnahme bewertet. Zu recht? Wenn man rückblickend die Ergebnisse seit den Anfängen der studentischen Interessenvertretung in Greifswald betrachtet, dann ist es das beste Ergebnis seit 1997. Manch einer dürfte in Euphorie verfallen und von einer wiederbelebten politischen Kultur sprechen.
Tatsächlich haben in konkreten Zahlen beinahe doppelt so viele an der Wahl teilgenommen wie im vergangenen Jahr. Denen, die zu diesem Ergebnis beigetragen haben, gönne ich den wohlverdienten Stolz. Dazu zählt sicherlich der Wahlleiter Michael Seifert, der durch sinnvolle Neuerungen und ein souveränes Krisenmanagement positiv aufgefallen ist. Auch vor den engagierten Studierenden der beiden Arndt-Initiativen darf der Hut gezogen werden.
Da ist aber auch schon das Problem: Das hohe Ergebnis ist vor allem auf die Urabstimmung zurückzuführen. Ein Novum, das, selbst wenn es in Mode kommen sollte, wohl kaum noch einmal so viele Leute mobilisieren könnte. Um ein annähernd hohes Ergebnis in den nächsten Jahren beibehalten oder gar übertreffen zu können, muss sich noch einiges tun. Die Neuerung der zeitgleich stattfindenden Wahlen an verschiedenen Orten muss beibehalten, am besten erweitert werden. Es ist traurig, aber die Wahlurne muss offenbar zum Wähler gebracht werden, von selbst kommt er nicht.
Die Werbung für die Wahl an sich muss direkter werden: Informiert, Flyert, Plakatiert! Die Transparenz der Hochschulpolitik muss weiter zunehmen. Protokolle dürfen nicht erst mit einem halben Jahr Verspätung veröffentlicht werden! Der Durchschnittsstudent hat nicht die Zeit und Muße zu den ganzen Senats-, Fakultätsrats- oder StuPa-Sitzungen zu gehen und wer kann ihm das verübeln? Weiter muss die studentische Selbstverwaltung nach außen hin kommunizieren, dass sie da ist und etwas bewegen kann.
Das StuPa hat 180 000 Euro Rücklagen, die für studentische Projekte verwendet werden könnten. Man kann mir nicht erzählen, dass die Studierenden kein Interesse daran hätten. Sie wissen nur nichts davon! Der durchschnittliche Student ist dank Bologna-Reform nur noch „auf Durchreise”. Gerade deswegen muss man offener für die studentische Selbstverwaltung werben. Bei der Ersti-Woche hätte man die Gelegenheit, über die Möglichkeiten, die man an der Universität hat, zu informieren. Dieses Potential hat in diesem Semester nur der AStA auf dem Markt der Möglichkeiten wahr genommen.
Es bleibt dem Zufall überlassen, ob sich ein Ersti irgendwann im Laufe seiner drei Bachelor-Jahre über die Funktion des Senats, der Fakultätsräte, des StuPas und deren enorme Bedeutung für die Gestaltung des Uni-Alltags bewusst wird. Hier ist die gesamte studentische Selbstverwaltung gefragt und damit auch all jene, die bereits um sie wissen. Noch jedenfalls haben wir fast zehntausend Studierende, denen ihre Interessenvertretung nicht bekannt oder egal ist.