Die erste eigene Wohnung – die damit verbundene Vorstellung vom kleinen Stückchen Freiheit hat wohl jeder, der den Schritt aus der gehüteten Familienidylle wagt. Doch ist dieser Weg mit einigen Strapazen gepflastert. Für die Studenten der Universität Greifswald ist die Suche nach der Wohnung jedes Jahr aufs Neue ein einziger Kampf.
Die angehende Skandinavistik- und Wirtschaftsstudentin Anna hat die Hürde auf sich genommen und einen Tag lang ihre Traumwohnung gesucht.
Dabei hat sie mittlerweile mehr oder weniger alle Wohnungstypen kennen gelernt. Angetreten ist sie mit keinen großen Ansprüchen: „Es muss mir eben gefallen“, sagt sie mit einem Lächeln.
Die allererste Wohnung liegt in der Innenstadt. Schon beim Näherkommen an die Eingangstür ertönt Ska-Musik aus der Wohnung. Da verwundert es nicht, dass ein Student mit Dreads freudig die Wohnungstür öffnet. Toni heißt er – und der erste Eindruck bestätigt sich auch in der Wohnung. „Wie bei Hempels unterm Sofa“, würden unsere Eltern sagen, doch Anna fasst es zusammen, indem sie das Ambiente als „studentisch“ beschreibt. Matratzen im Flur, eine mit Töpfen und Geschirr zugestellte Küche und bemalte Wände runden diese Einschätzung passend ab. In der besagten Küche niedergelassen, beginnt ein Gespräch mit den immer gleichen Themen: Herkunft, Angaben zur eigenen Person, Studienfach – das übliche eben. Doch bei diesen pauschalen Gesprächen merkt man oft schnell, ob derjenige auch auf einer Wellenlänge ist. Das scheint für Anna hier jedenfalls der Fall zu sein. Einige Kaffees und Zigaretten später geht es dann für sie weiter beim Wohnungsmarathon. Der Stadtteil Schönwalde und das strandnahe Ostseeviertel, die sozialen Brennpunkte Greifswald, sind das nächste Ziel. Dort erwartet Anna zum einen eine Landschaftsökologie-Wohnung, welche mit dementsprechenden Naturalien verziert ist. Zum anderen eine eher bodenständige mit alten Möbeln versehende Wohnung. Zwar ist die Landschaftsökologin Biggi sehr offen und freundlich, doch das im Indie-Stil eingerichtete Domizil entspricht dann doch nicht den Vorstellungen des Neulings. Dafür hat es ihr die ruhigere Christiane mit ihrer großen Wohnung schon eher angetan. Begeistert bestaunt Anna alle Zimmer und nach einem kleinen angenehmen Gespräch mit der potenziellen Mitbewohnerin und einem „hier könnte ich mir vorstellen zu wohnen“ steht jene auf der Rangliste ganz oben.
Die letzte Wohnung an diesem langen Tag führt Anna wiederum zurück in die Innenstadt. Doch außer einem „Hallo“, „hier wäre dein Zimmer“ und einem „Tschüss“ ist dazu leider nichts weiter zu sagen.
Nach einigen Überlegungen und Abwägen von Pro und Contra hat sich Anna für die vorletzte Wohnung von Christiane entschieden. Die Sympathie der Mitbewohnerin war für sie ausschlaggebend. Zwar sei die Wohnumgebung nicht die attraktivste, jedoch bräuchte sie nur zehn Minuten mit dem Fahrrad bis zum Strand und nur zehn Minuten in die Innenstadt, erklärt Anna. Dass die Wohnung zudem über einen Balkon verfügt, ist für sie das sogenannte „i-Tüpfelchen“.
Bei dem ganzen Wohnungsmarathon, in der es hauptsächlich um die bestmögliche Inszenierung der eigenen Person geht, haben die Bewohner einer Wohngemeinschaft hohe Ansprüche an die potenziellen Mitbewohner. Auf dem Prüfstand stehen unter anderem Geselligkeit, politische Orientierung und Lebenseinstellung. Doch wieso sich mit dem Menschen auseinandersetzen, wenn es auch einfacher geht, dachten sich andere. Sie luden zwölf potenzielle Mitbewohner zur gleichen Zeit ein, stellten diese im Flur auf und dann hieß es „einmal Lächeln, bitte“. Anhand des besten Fotos wurde dann ausgewählt. Etwas oberflächlich, aber effizient.
Anna musste sich jedoch nicht einem solch dubiosen Casting stellen, denn glücklicherweise hatte sie schon früh den Bescheid seitens der Universität bekommen, dass sie eine der 2500 Neulinge ist, die bald Greifswald ihr neues Zuhause nennen dürfen.
Die Wohnraumsituation in Greifswald 2009
Aber nicht jeder wusste bereits im Juli, dass er ab Oktober in Greifswald studieren wird. Nach der Vergabe der örtlich beschränkten Studiengänge, beginnt im August der Sturm auf Greifswalds Wohnungsmarkt. Jedes Jahr scheint dies zu einer Herausforderung zu werden. Jenen, die die Herausforderung annehmen, wird immer wieder empfohlen „nach bestimmten Vorgehensweisen zu suchen, sich mehrere Angebote einzuholen, und leider bei ihren Wunschvorstellungen beim Thema Wohnen vorerst Abstriche zu machen“, so Pedro Sithoe, Referent für Wohnangelegenheiten des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA).
Das Studentenwerk ist oft der erste Anlaufpunkt. Doch hält es in seinen sechs Wohnheimen gerade einmal 165 Zimmer für Erstsemester bereit. In diesem Jahr kamen aber etwa 2500 Studierwillige nach Greifswald, nur wenige von ihnen sind aus der Region. Werden Anträge nicht früh gestellt, sind die Chancen eher gering. Der AStA rät daher immer auch nach Alternativen zu suchen. Meist geht der nächste Blick in die WG-Börsen des Internets und an die schwarzen Bretter der Universität. Dort gibt es zwar täglich neue Angebote, aber kaum sind sie online gestellt, melden sich sofort die ersten Interessenten. „Man merkt, dass die Wohnungssituation in Greifswald nicht die Beste ist. Bisher haben sich knapp 30 Interessenten gemeldet“, berichtet uns eine Inserentin. Zu diesem Zeitpunkt war die Anzeige nicht einmal 24 Stunden online.
Wer eine Wohngemeinschaft gründen möchte oder eine eigene kleine Wohnung sucht, der wendet sich an die Verwaltungsgesellschaft Greifswald (WVG) oder die Greifswalder Wohnungsgenossenschaft (WGG). Dort sieht es aber auch nicht besser aus. Nach offiziellen Angaben verfügte die WVG Anfang September noch über etwa 100 Wohnungen. Fragte man telefonisch nach, war nur noch von etwa 20 bis 30 verfügbaren Wohnungen die Rede. Und auch dort gibt es lange Wartelisten. Einen Lichtblick bietet in diesen Tagen das Wohnquartier im Helsinkiring und Riemser Weg, das derzeit umgestaltet wird. Vier Wochen früher als erwartet, konnte die WGG dort Ende September 40 Wohnungen übergeben. Bis Ende Dezember soll dann der erste Bauabschnitt fertig sein. Die WVG wird hingegen ab Oktober den Helsinkiring 18/19 übergeben können, ein weiterer Block soll im Dezember folgen.
Es gibt aber auch private Vermieter. Nicht so überlaufen sind die Appartements bei Youniq (von IBS Ost vermietet), welche modern möbliert sind. Einen Waschkeller sucht man dort allerdings vergeblich, stattdessen findet man eine Washing Lounge… Der Haken: Die Wohnungen sind preislich für den Normal-Studenten eher überteuert als erschwinglich.
Das Studentenwohnheim der ILG Greifswald bietet hingegen Zimmer in Achter-Wohngemeinschaften und Doppelappartements, die bei 207 Euro beginnen. Diese sind daher auch schnell vergeben. Alternativ gibt es Einzelappartements, die sich zwischen 233 und 372 Euro bewegen. Anfang September waren aber auch sie ausgebucht.
Das Wohnraumproblem in Greifswald ist kein Neues, doch mit dem diesjährigen Rekord der Studierendenzahl, wird der Wohnmarkt vor neue Herausforderungen gestellt. Pedro Sithoe schildert die Situation so: „Mit den mittlerweile etwa durchschnittlich zehn Wohnraumanfragen pro Tag, der Spitzenwert lag bei 23 Anfragen am Tag, zeigt sich ein neues Phänomen. Die Suchenden kommen meist nicht unvorbereitet, sondern kommen bei ihrer Suche nicht weiter. Dies ist auch eine gravierende Veränderung zum Vorjahr, wo deutlich weniger Anfragen an den AStA gingen“, so Pedro. Der Referent für Wohnangelegenheiten geht von etwa 2000 bis 2300 Wohnplätzen aus, die zum Semesterbeginn gebraucht werden. „Ein Blick in die WG-Börse zeigt, dass ein Mangel besteht. Nach meiner Einschätzung könnten wir bei etwa 200 Erstsemestern ein Problem bekommen“, teilt Pedro mit.
Der AStA unterstützt daher auch in diesem Jahr die Aktion „Couch-Surfing“. Studierende können dabei Neuankömmlingen für einige Nächte, oder auch Wochen, einen Platz zum Schlafen zur Verfügung stellen. Diese haben dann die Möglichkeit, direkt vor Ort auf die Suche zu gehen. Aber auch ein Greifswalder Hotelbesitzer hat die Lage erkannt und bietet zu verhältnismäßig fairen Preisen Zwischenwohngelegenheiten: sechs Wochen ab 210€ inklusive Nebenkosten. Die Unterstützung aus Studierenden- und Bürgerschaft ist zwar nur eine Lösung auf Zeit, ermöglicht den Suchenden aber einen angenehmeren Start ins Studium.
Wohin das Greifswalder Wohnungselend führen kann, zeigt der Fall der Lehramtsstudentin Franziska. Als sie vor einem Jahr nach einer Wohnung suchte, war sie nach vielen erfolglosen Wochen so verzweifelt, dass sie sich auf der Straße von einem privaten Wohnungsvermittler anwerben ließ. Nachdem Franziska das angebotene 25 Quadratmeter Zimmer im Rakower Hof für 474 Euro kurz besichtigen konnte, wurde sie vor die Wahl gestellt. Entweder unterschreibe sie sofort den Vertrag oder das Zimmer würde an jemand anderen vergeben. Die in Mietsachen völlig unerfahrene und durch die Wohnungsknappheit in die Ecke getriebene Studentin unterschrieb. Eine Entscheidung die sie heute bitter bereut, denn ein genauerer Blick in das Vertragswerk, hätte ihr so manchen Ärger erspart. Dort verpflichtete sie sich, für ein Jahr in dem Zimmer wohnen zu bleiben, eine bei privaten Anbietern oft angewendete Praxis. Es gibt keine individuelle Wasser- und Stromabrechnung, dafür aber Kameras in den Waschräumen. Der Höhepunkt der Unannehmlichkeiten kam aber erst im September dieses Jahres. Nachdem Franziska ihrem Vermieter mitteilte, nach einem Jahr endlich ausziehen zu wollen, stand dieser eines Tages plötzlich mit einigen Interessenten unangekündigt in der Wohnung. Für Franziska war das zuviel des Guten, sie erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruch.
Auch die Stadt Greifswald scheint kein sonderliches Interesse zu haben, zur Entspannung der Wohnungssituation beizutragen. Ein Dialog zwischen Stadt und AStA kam erst zustande, nachdem das Rektorat intervenierte. Vom Verlauf des Gesprächs, in dem die Studentenvertreter statt des Bürgermeisters mit seinem Stellvertreter Ulf Dembski vorlieb nehmen mussten, zeigte sich Pedro Sithoe enttäuscht. Es sei der Eindruck entstanden, dass sich die Stadt nicht sonderlich für die Probleme interessiere, sie vielmehr als saisonbedingt abtue.
Es bleibt festzuhalten, dass sich die Lage trotz der Erfahrungen der letzten Jahre nicht gebessert hat, man kann sich derzeit nur bemühen, sie unter Kontrolle zu halten. Doch auch das erweist sich als schwierig. Wie die Ostseezeitung berichtete, plane der große Wohnungsanbieter WVG, in Zukunft mehr in Wohnungen für ältere Menschen zu investieren. Neue studentische Wohnungen sollen nicht entstehen. Vom demographischen Wandel ist an der Universität Greifswald aber noch nichts zu spüren. Das wird auch so bleiben, solange NC-freie Fächer und geringe Lebenserhaltungskosten nach Greifswald locken. Zu erwarten ist eher, dass sich die Situation noch verschärfen wird.
Ein Artikel von Maria Strache und Annegret Adam
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