Eine Antidiskriminierungsstelle soll für jeden Menschen, der von Diskriminierung betroffen ist, eine unabhängige Anlaufstelle darstellen. Egal, ob es erst einmal um reine Informationen oder eine direkte Beratung geht – Betroffene sollen hier Unterstützung und Schutz erhalten. Die zu schützenden Merkmale werden laut Website von der Universität Greifswald breit gefasst und gehen über die im deutschen Bundesgesetz, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG, 2006 in Kraft getreten), festgehaltenen Merkmale weit hinaus. Sexismus, Rassismus, Ableismus, Diskriminierung aufgrund von sexueller Identität, sozialem Status oder Religion – die Liste der Probleme ist in dieser schrecklich schönen Welt sehr lang. Gut also, dass wir eine Antidiskriminierungsstelle an der Universität haben, oder?
Ein Beitrag von Caroline Rock
Stellen wir uns eine rein fiktive Studentin vor, sie heißt Jana. Jana ist zum Sommersemester 2022 an die Universität Greifswald gekommen und studiert nun hier. Sie hat einen wunderschönen Greifswalder Sommer genossen und war ein paar Mal mehr am Strand in Wampen als in der Bib. Wer will ihr das schon verübeln? Als sie sich doch wieder etwas mehr auf ihr Uni-Leben zu konzentrieren beginnt und regelmäßig ihre Vorlesungen besucht, fängt es an. Ein rein fiktiver Professor spricht ihr regelmäßig die Fähigkeit ab, in dem Studienfach mithalten zu können. Frauen hätten tendenziell andere Interessen, wie zum Beispiel Männer oder Zalando. Als Jana ihm entgegnet, dass er sich da keine Sorgen zu machen bräuchte, da sie auf Frauen stehe, lächelt der Professor sie gnädig an und bittet sie, mit dem Unsinn aufzuhören. Homosexualität wäre Unsinn. Er fährt mit seiner Vorlesung fort und macht die Studierenden darauf aufmerksam, dass er nicht gendern würde, die Leute wüssten schließlich, was gemeint ist. Außerdem würden seine Beispiele nur heterosexuelle Menschen einschließen. Es sei ja wohl offensichtlich, weshalb.
Fiktion oder Realität?
So fiktiv waren die Situationen übrigens nicht, sie fanden genauso an unserer Universität statt. Nur geschahen sie nicht einer Person, sondern mehreren, die sich daraufhin Hilfe gewünscht haben. Aber machen wir mit Jana weiter. Sie informiert sich daraufhin auf der Website der Universität. Zumindest bis zum 18. Oktober 2022 konnte sie dort keine direkten Kontaktdaten von einer*m Ansprechpartner*in finden, der*die für Antidiskriminierung von Studierenden zuständig ist. Jana fragt einen fiktiven Kommilitonen, der schon länger an der Universität ist. Er ist überrascht. Schließlich konnte er sich die letzten Jahre regelmäßig an diese Stelle wenden und wurde jedes Mal mit offenen Armen und Taschentüchern empfangen. Die Antidiskriminierungsstelle der Universität Greifswald hatte es über viele Jahre geschafft, großes Vertrauen aufzubauen, indem die Mitarbeitenden sich aktiv auch für Studierende einsetzten. Das AGG (Allgemeines Gleichstellungsgesetz) schützt nämlich die Mitarbeitenden der Universität, nicht aber die Studierenden. Deshalb hat die letzte Antidiskriminierungsbeauftragte gemeinsam mit Mitarbeitenden die Richtlinie der Universität Greifswald gegen Diskriminierung erarbeitet, auf die sie zurecht stolz sein kann. Sie schließt nämlich vor allem Studierende mit ein und erweiterte das AGG entsprechend. Laut diesem und dieser Richtlinie muss ein*e Antidiskriminierungsbeauftragte*r aktiv sein.
Die Frage der Zuständigkeit
Jana hat eine Anfrage an das Antidiskriminierungsbüro gestellt, aber bis heute keine Antwort erhalten. Damit ist sie nicht die Einzige. Unterschiedlichen Quellen zufolge gibt es zahlreiche Anfragen, seit die letzte Antidiskriminierungsbeauftragte ihr Amt zum 31. März 2022 niedergelegt hat. Das Prorektorat lässt verlauten, dass dies nicht der Fall sei, denn eine studentische Hilfskraft habe die Mailadresse betreut, an welche die Anfragen gerichtet werden. Die ehemalige Antidiskriminierungsbeauftragte hätte außerdem angeboten, sich um Notfälle zu kümmern. Zu dieser Notwendigkeit sei es aber glücklicherweise nicht gekommen. Neue Leute würden eingearbeitet werden. Auf meine Anfragen hin wurde ich von unterschiedlichen Stellen mehrfach um noch etwas Zeit gebeten. Ich gebe gerne die Zeit, aber ich habe sie auch. Denn ich bin momentan nicht von Diskriminierung betroffen. Die Betroffenen werden jedoch nicht entsprechend betreut und das aufgrund von Überlastung, die bereits seit Jahren besteht. Die Aussage, dass eine studentische Hilfskraft die Mailadresse der Antidiskriminierungsstelle betreue und Personal eingearbeitet werden würde, ist ein Hohn für alle, die gerade an der Universität studieren sowie arbeiten und wirklich Hilfe bräuchten.
Überlastung ist immer ein Problem und es besteht bereits seit Jahren. Es wird schon länger um Unterstützung und Hilfe seitens der Antidiskriminierungsstelle gebeten. Sie fordern unter anderem mehrere finanzierte studentische Hilfskräfte sowie weitere kompetente Unterstützer*innen, sodass ein Amt von mehreren Personen getragen werden kann. Die Trennung von Ämtern ist ein Vorgehen, das übrigens an anderen Universitäten relativ normal ist. Ein Beispiel für die Notwendigkeit der Trennung von Ämtern waren in den vergangenen Jahren die Ämter der Gleichstellungsbeauftragten und der Antidiskriminierungsbeauftragten. Es braucht mehr als zwei Schultern, um diese Ämter zu tragen. Mehr Schultern gab es aber nicht. Die Unterstützung von Studierenden ist nur eine der vielen Aufgaben, die zu erledigen sind. Der Beginn einer langen Liste ist unter anderem auch aktive Präventionsarbeit, die jahrelang trotz Überlastung geleistet wurde und nun laut den Beschäftigten ausbleibt.
Wie geht’s weiter?
Das Ziel dieses Artikels ist keine Diffamierung, sondern ein Diskussionsanstoß. Wie kann die Universität Greifswald den überall kommunizierten Ansprüchen von Weltoffenheit und Diversität gerecht werden, wenn die dafür erforderliche Unterstützung fehlt? Momentan erfährt die Antidiskriminierungsstelle zurecht einen erheblichen Vertrauensverlust. Vertrauen, dass in den vergangenen Jahren so hart erarbeitet wurde. Einige Studierende berichten davon, diese Stelle nicht ernsthaft als Möglichkeit wahrzunehmen, um Hilfe zu erhalten. Was ist notwendig, um das verloren gegangene Vertrauen wieder aufzubauen und wieder eine ernstzunehmende Anlaufstelle für Betroffene zu schaffen?
Offiziell ist diese Arbeit grundlegend für ein funktionierendes Miteinander. Um dieses Miteinander zu gewährleisten, braucht es aber definitiv mehr Kapazitäten. Es kann durch die Repräsentation der Universität nach außen davon ausgegangen werden, dass dieses Thema von Wichtigkeit ist. Sollte dies ernst gemeint und essenziell für die Universität Greifswald sein, dann benötigt es mehr – mehr Stellen, mehr Geld, aber vor allem mehr Unterstützung und Bereitschaft der verantwortlichen Personen. Diejenigen, die nämlich gerade an vorderster Stelle stehen und tun, was sie nur können, brauchen Rückhalt und der ist vor allem durch langfristige Entlastung und ein gutes Team zu gewährleisten. Die Praxis zeigt uns sehr deutlich, dass eine oder zwei Stellen einfach nicht ausreichen, um diese Arbeit mit all ihren Facetten wirklich dauerhaft durchführen zu können.
Trotz alledem wird sich momentan sehr bemüht, Studierende und Mitarbeitende in Not aufzufangen und die Anlaufstelle neu zu organisieren und aufzubauen. Die Personen, die momentan an der Entwicklung der Anlaufstelle zum Schutz vor Diskriminierung arbeiten, tun, was sie können, um euch und Ihnen Unterstützung anzubieten. Sie signalisierten mir während meiner Recherchen wiederholt Ansprechbarkeit für Betroffene. Die Hoffnung besteht, dass dieses Team von der Universität zukünftig ernsthaft den Rücken gestärkt bekommt, sodass es den Anforderungen einer Antidiskriminierungsstelle vollumfänglich gerecht werden kann.
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