Der Enkeltrick ist heutzutage vor allem eines: notorisch. Notorisch für seine Primitivität. Das denkt zumindest meine Generation, welche aus genau diesem Grund den Gefahren und Folgen dieser Betrugsmasche wenig Verständnis entgegenzubringen hat. Dabei könnten die Opfer uns kaum näher stehen. Aber stimmt das? Stellen der Enkeltrick und seine modernen Variationen wirklich noch eine ernsthafte Gefahr für Opa und Oma dar?

Doch zuallererst: Was ist der CaMeTa-Staffellauf?

Dieser Artikel ist Teil einer kollaborativen Reihe unter dem Titel „CaMeTa-Staffellauf“. Hintergrund sind die namensgebenden Campusmedientage, zu welchen das Akrützel der Uni Jena letzten September eingeladen hat. Dort haben wir uns mit anderen Campusmedien aus ganz Deutschland vernetzen können und tolle neue Erfahrungen gesammelt. Daraus ist unter anderem auch diese Reihe geboren – eine kollaborative Serie von Artikeln auf den jeweiligen Plattformen unserer Campusmedien unter einem gemeinsamen Thema. Und jeden zweiten Tag wird der metaphorische Staffelstab an eine neue Redaktion gereicht.

Was ist der Enkeltrick?

Der Enkeltrick ist eine Sonderform des Trickbetrugs, also der rechtswidrigen Beschaffung oder Beschädigung des Vermögens einer*s anderen durch das Vortäuschen falscher Tatsachen. Hier treffen wir zum ersten Mal das Wort „Täuschung“ an – denn das ist das grundsätzliche Vorgehen der Täter*innen. Die Opfer sollen auf allen möglichen Wegen getäuscht, in Unsicherheit gebracht und im Kontext einer vorgetäuschten Notlage um ihr Vermögen gebracht werden.
Das Strafgesetzbuch verfügt über keinen eigenen Paragraphen zum Enkeltrick. Stattdessen wird die Straftat unter einem gemeinsamen Paragraphen zusammengefasst.

§ 263 StGB – Betrug

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.

In besonders schweren Fällen kann das Strafmaß sogar auf sechs Monate bis zu zehn Jahre ausgeweitet werden. Besonders schwere Fälle zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass es bei sich den Taten nicht um Einzelfälle handelt, eine Person in wirtschaftliche Not gebracht wird oder man gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande agiert. Der letzte Punkt soll für uns im Folgenden von besonderer Bedeutung sein.

Die Täter*innen

Gewerbsmäßiger Bandenbetrug. Das ist der strafrechtliche Ausdruck für den Enkeltrick. Diese Bezeichnung rührt zum einen daher, dass die Täter*innen immer organisiert und im großen Stil agieren. Zum anderen handelt es sich bei den Täter*innen immer um bandenmäßig organisierte Großfamilien im Ausland.
Doch dazu später mehr.
Wie bereits eben erwähnt, ist das Vorgehen immer das gleiche und in hohem Maße koordiniert. Mit alten Telefon-CDs (quasi Telefonbücher im CD-ROM-Format) werden die Telefonnummern von Menschen mit alt klingenden Namen durchsucht und diese dann systematisch abtelefoniert. Dazu werden ganz einfach alte „Wegwerfhandys“ und Prepaid SIM-Karten verwendet. Aus Sicherheit wandern diese jeweils nach maximal einem Tag in den Müll. Die Ausweispflicht, welche in Deutschland bei Aktivierung einer Telefonkarte gilt, wird einfach mit Karten aus dem Ausland umgangen.

Bei jeder Tat sind mindestens 3 Akteur*innen involviert:

Anrufer*in
Das sind, wie der Namen vermuten lässt, diejenigen, die den eigentlichen Anruf tätigen. Sie sitzen meist in Polen und sprechen akzentfrei und fließend deutsch. Die Rolle der*des Anrufer*in ist eine sehr zentrale für das Vorgehen und wird nur von wenigen Bandenmitgliedern beherrscht. Die Polizei schätzt die Zahl auf gerade mal 12 oder 13 Anrufer*innen, welche in der Regel gleich zwei oder drei Abholerteams parallel zur Verfügung haben.

Logistiker*in
Diese Rolle ist für die nötige Hintergrundrecherche notwendig. Während der Anruf getätigt wird, werden online direkt Infos eingeholt in Bezug auf Adresse, die nächstgelegene Bank (sollte das Opfer kein Bargeld zuhause haben) oder gar die Anbindung an den ÖPNV. Dann wird das Abholerteam instruiert und zur Adresse geschickt.

Abholer*innenteam
Dieses besteht meist aus drei Personen, die jeweils ihre eigene Rolle erfüllen. Die*Der Fahrer*in bringt die Kompliz*innen zum Opfer. Die*Der Observant*in beobachtet den Tatort und stellt fest, ob Polizei auf dem Weg ist oder sogar bereits informiert wurde und sich ebenfalls vorbereitet. Die*Der Abholer*in sammelt das Geld an der Haustür ein. Sie vermeiden dabei Augenkontakt und versuchen die Interaktion so kurz wie möglich zu halten (je länger die Interaktion, desto mehr Spuren und Indizien haben die Opfer, um sich später an die Polizei zu wenden).
Anschließend wird das Geld per Online-Geldtransfer oder Kurier an die Hintermänner ins Ausland gebracht und hinter den Kulissen verteilt. Die übliche Aufteilung: 50 Prozent für Anrufer*innen, 25 Prozent für Logistiker*innen und 25 Prozent für das Abholerteam.

Wer sind jetzt diese Großfamilien? Um den Enkeltrickbetrug hat sich über die letzten knapp 25 Jahre eine Enkeltrickmafia gebildet, die der italienischen gar nicht so unähnlich ist. Dabei handelt es sich um einen größtenteils in Polen ansässigen Zusammenschluss aus Roma-Clans, der entsprechend streng hierarchisch strukturiert ist.
Das Geschäft bleibt hier Familiensache. Außenstehenden wird nicht vertraut. Innerhalb der Familien haben sich Repressalien etabliert, um zu verhindern, dass die eigenen Verwandten abtrünnig werden. Sprich: Wer bei der Polizei auspackt, wird aus dem Clan ausgeschlossen oder erhält ein Kopfgeld.

Die Opfer

Die Bezeichnung Enkeltrick macht kein Geheimnis aus der Zielgruppe der Großfamilien. Es sind immer ältere Menschen mit alt klingenden Vornamen, die ohnehin wenig angerufen werden und grundsätzlich eher einsamer sind. Auch der eigentliche Trick ist selbsterklärend. Die Täter*innen geben sich als Enkel/Nichten/Neffen oder andere Teile der Verwandtschaft aus – immer in einer äußerst dringlichen Notlage. Der einzige Ausweg: ein hoher Geldbetrag, den nur die Großeltern als letzte Option bereitstellen können. Der Kreativität sind bezüglich der Notlage keine Grenzen gesetzt, sie wird lediglich durch den Faktor der Plausibilität limitiert. Klassische Beispiele sind ein Autounfall mit dem Mietwagen, ein Verkehrsunfall mit Verletzten oder der dringende Kauf der Traumimmobilie.

Warum sind ausschließlich ältere Menschen Opfer vom Enkeltrick?
Sind ältere Menschen wirklich so einfältig und leichtgläubig? Unbefriedigenderweise heißt die Antwort hier Ja und Nein. Zum Unglück vieler Senior*innen unserer Bundesrepublik bringt gerade ihre Bevölkerungsgruppe besonders viele Eigenschaften bzw. Voraussetzungen mit, die den Enkeltrick so erfolgreich machen.

Auf der einen Seite finden wir die bereits erwähnte Notsituation wieder, in der sich die angeblichen Verwandten befinden und die ein schnelles Handeln erfordert. Dazu kommt die Tatsache, dass ältere Menschen eher dazu tendieren, ihr Bargeld oder wertvollen Schmuck zuhause zu verwahren. Auf der anderen Seite sind sie anfälliger für Täuschungsversuche. Das hat eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2013 herausgefunden. Diese unterstellt älteren Menschen vor allem eine höhere Anfälligkeit, Opfer von Betrug zu werden. Gründe dafür sind ein schlechteres soziales Wohlbefinden und unbefriedigte soziale Bedürfnisse. Unterstützt wird das ganze durch den demografischen Wandel, den wir in Deutschland und Europa erleben. Das Durchschnittsälter steigt immer weiter an und damit gehen den Betrüger*innen auch die Opfer nicht aus.

Jeder hat Angst vor Einbrüchen, Raub oder Überfällen. Niemand hat Angst vor dem Enkeltrick, weil jeder überzeugt ist, dass es ihm nicht passieren kann.

Joachim Ludwig – Polizeihauptkommissar, Polizeipräsidium Köln

Doch zum finanziellen Schaden – dieser kann für die Opfer mehrere tausend Euro betragen und in nicht wenigen Fällen die gesamten Ersparnissen aufbrauchen – kommt auch ein psychischer Schaden hinzu. Dieser ist nicht zu unterschätzen und hat weitreichendere Folgen als der wirtschaftliche. Opfer haben oft Angst ans Telefon oder die Tür zu gehen, was als Katalysator für die Vereinsamung wirkt und im schlimmsten Fall bis zum Suizid führen kann.
Weiterhin machen sich Opfer oft selbst für die Tat verantwortlich, schämen sich oder fürchten Ärger mit ihren Kindern und Enkeln. Die Polizei schätzt, dass circa die Hälfte aller Opfer sich nicht traut die Tat anzuzeigen.

Die Justiz

Wenn die Vorgehensweise der Betrüger*innen so primitiv und gleichzeitig so durchschaubar ist, warum ist die Justiz nicht dazu in der Lage, dem Enkeltrick ein Ende zu setzen?

Joachim Ludwig ist Polizeihauptkommissar in Köln und ermittelt seit 20 Jahren gegen Telefonbetrüger*innen. Die Kolleg*innen nennen ihn auch Mr. Enkeltrick. Er sieht einige Probleme in der Arbeit der Polizei, aber auch im Rechtssystem, welche die Ermittlungen in Sachen Enkeltrick erheblich erschweren.

Eines der größten Probleme ist die Abschaffung der sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung. Dadurch fehlen den Ermittlungen wichtige Daten und Infos in Bezug auf die Anrufer*innen. Auch Anbieter wie die Telekom dürfen keine Telefonnummern oder Etwaiges speichern.
Als zweiten großen Punkt kritisiert Ludwig den Föderalismus, der auch in der polizeilichen Arbeit ein Problem darstellt. Während die Täter*innen in ganz Deutschland agieren, investigieren die jeweiligen Dienststellen nur in ihrem eigenen Bundesland – sobald Ländergrenzen überschritten werden, hört die Zuständigkeit der entsprechenden Dienststelle auf. Noch schlimmer wird es erst auf internationaler Ebene. Hier sind Kooperationen mit ausländischen Dienststellen die absolute Ausnahme und kommen so gut wie nie zustande.

Die Geschichte des Enkeltricks

Ende Mai 2014 allerdings kam es zu einer solchen seltenen Kooperation zwischen deutschen und polnischen Beamt*innen. In Warschau, Posen, aber auch in deutschen Städten kam es zeitgleich zu 49 Festnahmen verschiedener Drahtzieher*innen und Handlanger*innen der Enkeltrickmafia. Darunter auch Arkadiusz L. und sein Bruder Adam P.
Arkadiusz L. (Spitzname „Hoss“) gilt als Erfinder des Enkeltricks und ist „Pate“ einer Roma-Großfamilie. Der Legende nach begann alles Ende der 90er Jahre. Damals hat Hoss noch als Teppichverkäufer in einem Callcenter gearbeitet. Als er einen älteren Herren am Telefon hatte, glaubte dieser die Stimme seine Enkels Rudolph zu hören und sprach ihn auf seine akuten Geldprobleme an. Arkadiusz L. spielte ganz einfach mit und so ist der erste erfolgreiche Enkeltrick über die Bühne gegangen.
Hoss verschwendete keine Zeit damit sein Wissen an die Verwandten weiterzugeben und hat so den Telefonbetrug im großen Stil aufgezogen.

Bei seiner Festnahme im Mai 2014 konnten die polnischen Behörden ihm allerdings nur acht Straftaten nachweisen. Seinem Bruder Adam nur sieben, sodass beide nach fünf Monaten gegen Kaution aus der Untersuchungshaft freikamen. Hoss wurde im Jahr 2017 erneut festgenommen, doch kam er auch hier nach kurzer Zeit gegen Kaution wieder frei. Ende 2019: das gleiche Spiel. Deutsche und polnische Behörden sind fassungslos. Zwischenzeitlich wurde im Frühjahr 2018 einer der Hintermänner und Sohn von Hoss – Marcin Kolompar, genannt „Lolli“ – festgenommen und vor dem Landgericht Hamburg zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Und auch Arkadiuzs L. selbst sitzt aktuell wieder in einem polnischen Gefängnis ein. Fragt sich nur für wie lange.

Eine Sache steht auf jeden Fall fest: Der Enkeltrickbetrug braucht seinen Erfinder nicht. Kaum waren Hoss und Konsorten hinter Gittern, glühten wieder die Telefonleitungen älterer Menschen in Deutschland, Österreich, Schweiz und Luxemburg. Direkt sind neue Hintermänner nachgerückt, die den Familienbetrieb am Laufen halten.

Wie kann ich mich und meine Nächsten schützen?

Laut Joachim Ludwig kann jede*r dem Enkeltrick zum Opfer fallen, unabhängig vom Bildungsstand oder dem Wissen über die Möglichkeit solcher Taten. Entscheidend ist nur der falsche Moment. Die Täter*innen greifen die Opfer hochgradig auf emotionaler Ebene an, sodass diese entsprechend unüberlegte, emotionsgetriebene Handlungen vornehmen.

Auch sind ältere Menschen gar nicht so anfällig für den Enkeltrick als dieser Artikel es vielleicht bisher impliziert hat. In der Regel gehen einer vollendeten Enkeltricktat hunderte von missglückten voraus. Fälle, in denen Angerufene die Polizei informiert haben oder aufmerksamen Bankangestellten die Ungereimtheiten auffielen sind zwar nicht die Regel, aber auch keine Seltenheit. Solche Informationen sind eine der größten Hilfen für die Behörden.

Tipps der Polizei, um sich vor Enkeltrickbetrüger*innen zu schützen, umfassen unter anderem das Aufhängen eines Zettels neben dem Telefon – dieser soll bei jedem Anruf an Betrüger*innen erinnern. Eine weitere gute Strategie ist das Zurechtlegen von Fangfragen, sollten Zweifel aufkommen, wer gerade anruft. Generell muss die Bevölkerung umdenken und mehr aufeinander achten. Während unseren Eltern oder Großeltern bequem per Telefon die Taschen gelehrt werden, dürfen wir nicht weiter die Augen zu machen.

Auf die Frage hin, warum sie denn tun, was sie tun, antworten die meisten Betrüger*innen: „Ihr seid doch selbst Schuld, wenn ihr auf eure Alten nicht aufpasst.“ Und vielleicht ist da sogar was dran.

Bild von rupert B. auf Pixabay