Scheiterte Hildebrandt an der zweifelhaften Klassifizierung seiner akademischen Artgenossen?
„Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ ist der Titel eines Vortrages, den der Jurist Julius von Kirchmann 1847 in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin hielt. Als Konsequenz daraus folgte seine „Beförderung“ in das entlegene Ratibor.
„Lehrer sind keine Wissenschaftler.“ Diese im Dezember 2005 von moritz aus einer Senatssitzung zitierte und an den Spruch des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) „Lehrer sind faule Säcke“ angelehnte Aussage kostete den ehemaligen Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (MNF) Jan-Peter Hildebrandt am 17. Dezember 2008 vermutlich nur die angestrebte Stelle eines Prorektors. Selbst die erleichterten Stimmverhältnisse eines dritten Wahlgangs ließen ihn knapp an der nun lediglich erforderlichen einfachen Mehrheit scheitern. Es gab eine Nein-Stimme mehr als Ja-Stimmen, aber nur das umgekehrte Verhältnis hätte zur erfolgreichen Wahl geführt. Knapp daneben ist auch vorbei.
Bisherige Prorektoren waren Jura-Professor Wolfang Joecks und Professor Michael North, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Geschichte der Neuzeit. Professor Wolfgang Joecks wollte aufgrund seiner zahlreichen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht wieder antreten. Er ist unter anderem Richter am Landesverfassungsgericht und Vorsitzender des Hanseatischen Golfclubs e.V. in Greifswald. Professor North war bisher Prorektor mit den Aufgabenschwerpunkten Forschung und Transfer, Internationale Angelegenheiten und Angelegenheiten der Universitätsbibliothek. Er knüpfte seine Wahl zunächst an die Bedingung, dass auch Jan-Peter Hildebrandt gewählt wird. Diese Haltung gab er später auf und nahm die Wiederwahl zum Prorektor auch ohne die Wahl Hildebrandts an.
Rückblick
Im Zuge um die 2005 gesetzte Zielvereinbarung gab es eine Diskussion darum, ob die Lehramtsausbildung in Rostock konzentriert werden solle. Die Heftigkeit der Diskussion darüber fand ihre Ursachen unter anderem darin, dass mit dem Wegfall der Lehrerausbildung im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich die Existenzberechtigung der Lehrerbildung auch an der Theologischen und Philosophischen Fakultät in Greifswald in Frage gestellt sei. Befürchtet wurde, dass die gesamte Lehrerbildung in Greifswald starken Schaden nehmen könne, wegen beispielsweise unattraktiver Fachkombinationen. Zusammen mit der geplanten Abschaffung des Masters of Education befürchteten manche Dekane sogar das Ende ihrer Fakultät, wie auch Theologie-Dekan Michael Herbst.
Darauf angesprochen, erklärt der einst selbst Lehramt Studierende (sic!) und heutige Professor für Physiologie und Biochemie der Tiere des Zoologischen Instituts, Jan-Peter Hildebrandt: „Die damals anlaufenden Diskussionen um die Zukunft der anderen Lehramtsfächer haben wir als Naturwissenschaftler gar nicht initiiert. Sie wurden besonders von Vertretern der Philosophischen und Theologischen Fakultäten angestoßen, die Bedenken gegen die Entscheidung der MNF hatten. Weil sie fürchteten, dass durch die Einstellung der Lehramtsfächer an der MNF die Attraktivität der verbleibenden Fächerkombinationen so leiden könnte, dass die Lehrerbildung in Greifswald insgesamt Schaden nehmen könnte. Eine Befürchtung übrigens, die sich ganz und gar nicht bestätigt hat. Die Universität hat seither keine Einbußen bei der Zahl der Lehramtsstudierenden und der Gesamtzahl der Studierenden verzeichnet.“
Die Zahl der Lehramtserstsemester reduzierte sich seit 2005 um 98 Studenten auf 256 Studienanfänger 2007. Eine Verringerung um 75 Lehramtsstudienanfänger entfiel auf die Sprach- und Kulturwissenschaften. Die Gesamtzahl der Lehramtsstudenten dieser Fachgruppe stieg aber von 1085 auf 1387. Senator Thomas Schattschneider meint dazu: „Diese Zahl könnte weitaus größer sein. Die Uni bildet am Arbeitsmarkt vorbei viel zu viele Geschichts-, Philosophie- und Deutschlehrer aus.“
Aussagen stehen gegeneinander
Zum eingangs erwähnten Zitat erklärt Hildebrandt heute: „Ich kann mir auch schwerlich vorstellen, dass ich das erwähnte Zitat unseres ehemaligen Bundeskanzlers, das ich nicht besonders glücklich finde, in dieser Weise unterstrichen haben sollte.“ Kommunikationwissenschaftsstudent Alexander Gerberding, studentischer Senator im Jahr 2005, will dagegen auf Nachfrage bestätigen: „Er sagte tatsächlich, Lehrer sind keine Wissenschaftler.“
„Für meinen Bereich kann ich die genannte Unterstellung nicht teilen“, äußert der von Rektor Westermann und studentischen Senatoren nunmehr für das Prorektorat vorgeschlagene Dekan Michael Herbst gegenüber dieser These. Michael Herbst war 2005 ein entschiedener Gegner einer Reduzierung der Lehrerbildung an der EMAU. Er führt weiter aus: „Die Stellung der Lehramtsstudierenden in den Wissenschaften ist unterschiedlich: In den Geisteswissenschaften jedenfalls ist gerade die Kombination zweier Fächer und der Bezug auf das pädagogische Feld eine spezifische, eigenständige Wissenschaftsperspektive, die gegenüber den Ein-Fach-Studierende andere, aber nicht schlechtere Formen wissenschaftlichen Arbeitens erlaubt.“ Eine Aussage, die wegen ihrer ausdrücklichen Begrenzung auf die eigene Fakultät wohl als differenziert bezeichnet werden kann.
Hildebrandt verteidigt die vergangenen Entscheidungen und erläutert deshalb, dass „speziell an dieser Universität es bis etwa 2002 so war, dass die Zahl der Lehramtsstudierenden so mäßig war, dass diese einfach nebenbei mit durch die theoretischen und praktischen Lehrveranstaltungen genommen werden konnten. Diese Situation änderte sich aber ab 2003, indem plötzlich allein in der Biologie an die 100 Lehramtsstudierende pro Jahr neu immatrikuliert wurden, ohne dass es entsprechende Reduktionen der Studierendenzahlen in den Fachstudiengängen gegeben hätte. Solche Zuwächse an Lehramtsstudierenden machten nun die Durchführung von zusätzlichen Kursen, Übungen und Praktika nötig, für die wir gar kein Personal in unseren Stellenplänen und kein Budget in unseren Sachmitteletats hatten.“
Und er kritisiert: „Außerdem fehlten uns damals – und diese Situation hält leider bis heute an – geeignete Räume für die Durchführung vieler unserer Lehrveranstaltungen. Alle Lehrenden der naturwissenschaftlichen Fächer haben diese Situation nur durch verstärktes Engagement über ihr Lehrdeputat hinaus überhaupt bewältigen können. In dieser Situation gerieten wir dann auch noch unter den Druck, ein Szenario für die zwanzigprozentige Reduktion unseres wissenschaftlichen Personals zu entwickeln, um den Sparvorgaben des Landes zu entsprechen.“
Hildebrandt macht deutlich, dass er sich damals an der MNF zwischen den durch die Landespolitik gesetzten Polen „qualitativ hochwertige, forschungsnahe Bildung von Nachwuchskräften“ und der Bildung von „guten Lehrern“ zu entscheiden hatte. Und betont dabei, dass Lehramtsstudenten neben ihrem berufsspezifischen Wissen auch „in die Lage versetzt werden sollten, in ihrem Fach oder gar zwischen den Disziplinen explorativ tätig zu werden. Um über den momentanen Stand des Wissens und der gängigen Methoden hinauszuschauen und selbst Beiträge zum Fortkommen einer wissenschaftlichen Disziplin zu leisten. Wenn eine Universität diesen Anspruch aufgibt, verliert sie ihre Existenzberechtigung neben Fachhochschulen und anderen mehr oder weniger akademischen Ausbildungsstätten.“
Hildebrandt entschied sich an seiner Fakultät zugunsten der Forschung. Weil er der Meinung war, dass Lehrer im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich auch konzentriert in Rostock ausgebildet werden könnten, während er dagegen wissenschaftliche Tiefe in Greifswald sicherstellen wollte. Eine Entscheidung gegen das Lehramt an der EMAU, mit der er unter der damaligen Hochschulleitung, wie dem ehemaligen Dekan der Philosophischen Fakultät, Professor Bornewasser, und Rektor Rainer Westermann nicht allein gewesen ist.
Für den gescheiterten Wahlversuch Hildebrandts findet sein damaliger Gegner im Lehramtsstreit, Dekan Herbst, verständnisvolle Worte und fragt: „Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie sich zu einer nahezu ausschließlich ehrenamtlichen Extra-Belastung bereit gefunden haben, vom Senat nominiert wurden, sich einer Befragung gestellt hätten, die nicht erkennen ließ, dass starke Gegenstimmen vorhanden sind – und dann drei Mal durchfallen, ohne dass die „Gegenstimmer“ eine personelle Alternative ins Rennen geschickt hätten? Auch wenn ich 2004/2005 andere Positionen als Herr Hildebrandt vertrat, war ich über diesen Vorgang enttäuscht. Dass die Lehrerbildung hier ein „Knackpunkt“ war, ist deutlich, aber das hätte in der Befragung dann auch energischer angesprochen werden sollen.“ Der studentische Senator Alexander Schulz-Klingauf meint dagegen, die Zukunft der Lehrerbildung ist „mit der gebotenen Energie angesprochen worden. Die Antworten verloren sich allerdings in Beliebigkeit.“
Hildebrandt konnte nach Ansicht studentischer Senatoren in der Senatssitzung am 17. Dezember 2008 nicht deutlich machen, ein klares Konzept für die Lehrerbildung an der EMAU zu haben und „nicht zufriedenstellend versichern, zum Wohle der Studierenden zu handeln bereit zu sein“, so Alexander Schulz-Klingauf weiter. Aus dem Kreis der studentischen Senatoren, die bereits in früheren Jahren Verantwortung trugen, hieß es sogar, „dass der ‚Wolf Kreide gefressen hat‘ und ein Misstrauen gegenüber den Aussagen vorherrschte.“
Schulz-Klingauf kritisierte in diesem Zusammenhang auch deutlich, dass „die Ansprache der anwesenden Dekane während der Wahlgänge inhaltlich und zeitlich äußerst fragwürdig gewesen ist. Sie hat den Wahlvorgang zur Farce abgleiten lassen. Zumindest verfehlten die Worte der Dekane ihr wahrscheinlich beabsichtigtes Ziel, die Senatoren zusätzlich unter Druck zu setzen. Dieses Verhalten hat dem Ansehen der akademischen Selbstverwaltung mehr geschadet als die Nicht-Wahl eines Prorektors.“
Frederic Beeskow, Präsident des Studierendenparlamentes, will hingegen feststellen, dass „in der Fragerunde Professor Hildebrandt auf Nachfrage erklärte, für die Studenten ‚ein offenes Ohr‘ zu haben. Hier ist ein entscheidender Unterschied zum Vorgänger. Prorektor Joecks suchte stets das Gespräch mit den Studenten. Ich denke, das war daher auch einer der Knackpunkte.“
„Als eventueller Prorektor läge mir sehr viel an einer guten Gesprächskultur mit der Studierendenschaft“, betont der in der Senatssitzung am 21. Januar 2009 mit nur einer Gegenstimme für das Prorektorat nominierte Michael Herbst.
Fazit
Deutlich wird, dass Professor Hildebrandt dem Lehramt nicht das wissenschaftliche Potential abspricht. In der Diskussion um eine Entscheidung zwischen wissenschaftlicher Tiefe und berufsspezifischem Wissen sprach er sich 2005 zugunsten eines Erhalts der wissenschaftlichen Tiefe in Greifswald für eine Konzentration der mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehrerausbildung in Rostock aus. Und war damit in bester Gesellschaft unter einigen seiner Dekanskollegen und überwiegenden Teilen des Rektorats.
Ein Gegner der Abschaffung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehramtsstudiengänge und Dekan der viel kleineren Theologischen Fakultät, Michael Herbst, profitiert heute. Seine Fakultät besteht weiterhin und lässt die EMAU eine Volluniversität bleiben. Für das Prorektorat wünscht sich Herbst: „Die Verbesserung der Lehre und ihrer organisatorischen Bedingungen war auch das Anliegen von Herrn Joecks, so dass ich sicher gerne daran anknüpfen würde. Dazu: eine tragfähige Zielvereinbarung mit dem Land, die die besondere Bedeutung der Uni Greifswald, auch für Stadt und Region, im Blick hat und die Bedingungen für Forschung und Lehre verbessert.“
Info-Box
Info Das Rektorat leitet unsere Universität. Es ist beispielsweise für die Verteilung der Haushaltsmittel auf die Fakultäten und zentralen Einrichtungen, die Eröffnung und Schließung von Studiengängen zuständig. Außerdem auch für die Ausschreibung von Professuren sowie, unter anderen, die Aufstellung von Berufungslisten zuständig. Das Rektorat unserer Universität besteht aus Rektor und zwei Prorektoren.
Unser Rektor bis voraussichtlich 31. Januar 2013 ist Rainer Westermann, Professor für Allgemeine Psychologie und Forschungsmethodik. Bis zum 31. März diesen Jahres sind die Professoren Joecks und North unsere Prorektoren, dann endet ihre Amtszeit. Sie werden für jeweils zwei Jahre vom erweiterten Senat (36 Senatoren: 12 Professoren, 12 Mitarbeiter, 12 Studenten) in geheimer Abstimmung gewählt.
Autor: Arik Platzek Fotos: www.uni-greifswald.de, Ulf Harder
Guter Artikel! Ich denke, wir können froh sein, dass an Hildebrandts Stelle nun Herbst tritt. Dank an die Senatoren.
Ein gut recherchierter und hintergründiger Artikel!
Kleine Korrektur am Rande:
"Eine Aussage, die wegen ihrer ausdrücklichen Begrenzung auf die eigene Fakultät wohl als differenziert bezeichnet werden kann."
Herbst hat seinen Lehrstuhl allerdings nicht an der philosophischen, sondern an der theologischen Fakultät. Ärgerlicherweise wird diese fünfte Fakultät unserer Uni mit einer derartigen Regelmäßigkeit unterschlagen, dass man schon fast ein System dahinter vermuten muss…