Weihnachtszeit ist Vorfreude und Geheimnistuerei, Nächstenliebe und Besinnung. Sie duftet nach heißem Glühwein, frisch gebackenen Keksen und mühsam gepellten Mandarinen. Der Dezember lebt von kleinen Aufmerksamkeiten und Traditionen, wie den Adventssonntagen mit der Familie, dem mit Süßigkeiten gefüllten Schuh am Nikolausmorgen und dem täglichen Öffnen des Adventskalenders. Weißt du noch, wie du jeden Tag vor Weihnachten aufgeregt aufgestanden bist, um vorfreudig zu deinem Schokoadventskalender zu tappen? Die moritz.medien verstecken das Weihnachtsgefühl hinter 24 Fenstern. Im heutigen Fenster: Ente, Wahn, Ich.

Vom Club der Dichter*innen aus den geteilten BBB-Notizen: Annica, Frank, Lilli und Lukas.

Ihr wisst nicht, wie ihr die nächste weihnachtliche Auseinandersetzung überstehen sollt? Dann verschafft euch doch hier ein bisschen rhetorische Inspiration.

Das folgende Schauspiel findet in einem Wohnzimmer irgendwo in Deutschland statt.
In der Ferne hören wir die Glocken klingen, die Bäuche sind voll und die Familienfeier findet ihren feierlichen Höhepunkt in der großen Bescherung. Am Baum versammelt haben sich schon die Zwillinge Tim und Tom, Oma Hannelore legt am Plattenspieler feierlich die klassische Weihnachtsmusik auf, Opa Gustav muss noch den Braten verdauen und liegt schlafend auf der Couch. Onkel Immanuel hat sich während des Essens bereits etwas mit seiner Flamme Michelle entzweit, da sie so lange an ihrem Instagram-Hashtag-Weihnachtsessens-Post saß, dass Oma Hannelore dachte, ihr würde es nicht schmecken. Doch seine Aufforderung, ihren Social-Media-Konsum etwas einzuschränken, war ihr einfach zu kategorisch. Auch bei Vater Maximilian und Jutta, der Mutter, ist die Lage schon etwas angespannt, schließlich wollte Maximilian eigentlich auch alle Nachbarn einladen und ließ sich nur mit großer Mühe davon abbringen.
Ihr wisst selbst nicht mehr so genau, wie ihr eigentlich hier gelandet seid, aber nach diesem verrückten Jahr hinterfragt ihr es auch nicht mehr genauer. Und jetzt, da ihr alle Familienmitglieder kennt, lasst uns den weihnachtlichen Familiengesprächen unter dem Tannenbaum lauschen! Wir präsentieren das nicht zum Nachmachen gedachte Weihnachtsschauspiel:

Ente, Wahn, Ich.


Onkel Immanuel: *sitzt im Sessel und stützt die Arme seitlich in die Hüften, während er fragend in die Runde guckt*
„Wollen wir etwa bis morgen warten, bis wir die Geschenke auspacken?!“

Oma Hannelore: *sitzt ganz manierlich und gerade auf einem Hocker und guckt verwirrt in Immanuels Richtung*
„Was ist morgen?“

Baby: *lacht mit strahlenden Augen*
„Dada!“

Vater Maximilian:
„Tausend Jeschenke, die niemand will… Et is JEDET Jahr dat selbe!“

Jutta, die Mutter: *Steht auf und verkündet feierlich*
„Noch sind wir bei Sinnen,
lasst die Bescherung beginnen!
Doch nicht bevor wir sie hören,
die Gedichte, die uns betören.“

Vater Maximilian: *rollt mit den Augen*
Da musste nur in die Lügenpresse schauen. Da lieste sowat täglich!

Opa Gustav: *schnarchschmatzschmatzschmatzschmatz*

Michelle: *blickt Kaugummi-kauend kurz von ihrem youPhone 25 auf*
„Wow, Hashtag cringe…“

Oma Hannelore: *ängstlich und verwirrt*
„Der Grinch?“

Zwilling Tim: *voll freudiger Erwartung*
„Gustav, gib gute Geschenke.
Geschwister geben gute Gedichte.“

Zwilling Tom: *jetzt schon vollkommen genervt von allem*
„Zickezacke Hühnerkacke.“

Onkel Immanuel:
„Kann ein Gedicht NOCH kürzer sein?“

Zwilling Tom:
„Gustavs große, graue Gänse grasen gern im grünen Gras, grasen gierig gi-ga-gack, grasen den ganzen Garten ab.“

Jutta, die Mutter: *mit vollkommen schriller Singstimme*
„Oh wie schön,
jetzt kann es losgöhn!“

Vater Maximilian:
„Ja, jetzt fangen wa mal mit dem Auspacken an, sonst sitzen wa ja noch morgen hier.“

Oma Hannelore:
„Was willst du besorgen?“

Michelle: *öffnet hektisch die Kamera-App*
„Wait, diesen moment muss ich catchen!“

Baby: *rülpst*

Michelle: *dreht sich angewidert weg*
„Boah, Leute, dieses Baby ist sowas von uninstagramable. Erstmal muten und Filter drüber. Und Hashtag pummelig.“

Jutta, die Mutter: *weist mit großer Geste auf den gewaltigen Stapel an Geschenken unter dem Baum*
„So ihr lieben Kinderlein,
als erstes soll es euer Stapel sein.“

*Die Zwillinge Tim und Tom packen die Geschenke aus.*

Zwilling Tim: *dreht sich begeistert zu den Eltern um*
„Geiler Geschenkestapel, gute Gutscheine! Große Geste! Gönnjamin!!“

Zwilling Tom: *rennt wutentbrannt zu Jutta, seiner Mutter, und fuchtelt vor ihrem Gesicht mit einem Pappkarton herum*
„Ernsthaft? Eine ekelhafte Ex-PS4-Konsole? Eine endgeilomatische Epic-PS5 erwünschte er eurer, ehrenwerte Eltern.“

Onkel Immanuel: *wirft weise vom Sessel aus seinen Kommentar ein*
„Ach so, ja klar, darf es sonst noch was sein?“

Michelle: *durch den sich mutmaßlich anbahnenden Streit amüsiert*
„Savage.“

Zwilling Tom: *geht mürrisch zurück zum Geschenkestapel und murmelt vor sich hin*
„Blöde Bescherung, besser Braten brutzeln.“

Zunächst kehrt wieder Ruhe ein im Wohnzimmer und es passiert nicht viel, während die Kinder weitere Geschenke (Geld, Bücher, noch mehr Geld) auspacken. Immer mal wieder hört man von Opa Gustav: *omnomnom*

Vater Maximilian:
„Dit dauert ja wieder hunnert Jahre, bis alle mit ihren Jeschenken fertig sind.“

Jutta, die Mutter:
„Schatz, nun nimm das Päckchen hin,
ist bestimmt was schönes drin! Etwas Badesalz oder –“

Zwilling Tom: *immer noch sauer wegen des falschen Geschenkes*
„Oder Opas Ohrenschmalz!“

Opa Gustav: *Grunzt*

Jutta, die Mutter:
Tom, mein Junge,
hüte deine Zunge!

Baby:
„Dai!“

Onkel Immanuel: *mit vielsagendem Blick*
„Vielleicht ist es ja auch was Nützliches?“

Vater: *packt aus wie Attila*
„Dit kann doch jetz nich wahr sein, auch noch an Weihnachten dieser Coronaquatsch?!
N’Maulkorb oder wat soll dat?
Als nächstet verfolgt Merkel mich och noch auf’s Klo oder wie?“

Oma Hannelore: *verwundert*
„Maultaschen? Seid ihr nicht satt geworden?“

Opa Gustav: *schmatzt*

Jutta, die Mutter: *mit versöhnlichem, verständnisvollen Tonfall und einem Lächeln*
„Aber Bummi,
das schützt deine Lungi.“

Zwilling Tim: *übergibt selstgemaltes Bild*
„Für frohere Festtagsstimmung fabrizierten Tom und ich für Frau Mama fantastische Formen voll fabelhafter Farben.“

Jutta, die Mutter: *voller Freude*
„Oh schau nur diese bunten Tön‘,
wie schön, danke meine Söhn‘!
Ich danke Euch von Herzen fein,
für dieses schöne Bildelein.“

*blickt sich um zu den Großeltern*
„Für Oma und Opa haben wir
in guter alter deutscher Manier
einen Kasten glühenden Wein,
los doch ihr Lieben, haut rein!“

Oma Hannelore: *erschrocken*
„Schlägerei? Ersatzbein?“

Michelle:
„Ehrenfrau!“

Opa Gustav: *setzt im Traum die Weinflasche an*
„glugggluggglugg“

Michelle: *mit ihrem Handy beschäftigt*
„Sheeesh, lost man!“ 

Onkel Immanuel: *mit sarkastischem Einwurf von der Seite*
„Mensch wie wäre es dann mal wieder mit Socken?“

Jutta, die Mutter: *überreicht Onkel Immanuel sein Geschenk*
„Immanuel, damit du nicht erfrierst,
sondern stets weiter philosophierst.“

Onkel Immanuel: *verärgert*
„Wow, tatsächlich Socken, soll ich mich darüber freuen?“

Jutta, die Mutter: *entrüstet, ob der plötzlichen Beschwerde*
„Jedes Jahr dasselbe Leid,
versuche ich Euch zu machen doch eine Freud.
Es passen die Geschenke nicht,
so hau doch ab, du Wicht!
Die gute Laune zerstörst du mit all deinem Sagen,
ich kann das so langsam nicht mehr ertragen!
Wenn dir nicht passt, was wir dir gaben,
musst du dich nicht länger an unserem Weine laben!“

Michelle: *excited*
„OMG, jetzt gibt’s Hashtag Beef!“
*holt wieder die Smartphone-Kamera raus*
„Jetzt fehlt mir der Anfang, Jutta, kannst du das für meine Story nochmal wiederholen? Geht bestimmt meeega viral!“

Oma Hannelore:
„Brauchst du wat aus’n Regal?“

Onkel Immanuel: *beleidigt*
„Ihr wollt also, dass ich gehe?“
*dreht sich um zu Michelle*
„Schön, dann gehen wir. Tschüss.“

Michelle: *mit vorwurfsvollem Blick*
„Aber Manu, bei den Freaks kann man voll gut Content createn. Ich will doch die 10K!“

Onkel Immanuel:
„Dir ist dein „Fame“ also wichtiger als ich? Schön, dann gehe ich. Tschüss.“

Michelle: *winkt ihm nach, während sie ein Selfie-Video dreht*
„Ok, Boomer. Früher warst du mehr fly.“

*Onkel Immanuel verlässt wütend das Haus*

Opa Gustav: *ist durch den lauten Wortwechsel aufgewacht*
„Hmpf.“

Zwilling Tom: *sadistisch durch den Streit beglückt*
„Toller Tumult. Weiche weg, widerlicher Wüstling!“

Zwilling Tim: *im verzweifelten Versuch, die Stimmung zu beruhigen und das Fest zu retten*
Ping, pang, pong, schwing den Gong!
Ping, pong, pang, nicht zu lang!
Ping, pang, pung, –

Jutta, die Mutter: *mit beginnender Migräne nicht mehr ganz so in Festtagsstimmung wie zuvor*
Jung, nun ist’s genung!

Michelle:
„Hashtag Germanistik“

Zwilling Tim: *traurig, weil das fehlende Lob seiner Mutter, Jutta, seine tiefen Selbstzweifel wieder einmal hervorbringt*
„PS playen! Problem, Papa?“

Zwilling Tom: *streift seine Jacke über und winkt einmal sarkastisch in die Runde*
„Bis bald, Bitches. Bin bei Boris‘ bigger Baronaparty.“

Vater Maximilian: *umarmt Tom mit strahlenden Augen*
„Dit is mien Junge!“

Tim und Tom verlassen das Zimmer und Opa Gustav schläft wieder ein. Auf dem Schlachtfeld der Bescherung stehen die verbliebenen Familienmitglieder und gucken sich etwas ratlos an.

Vater Maximilian: *kratzt sich am Kopf*
„Boah guckt euch mal diese Berge von Jeschenkpapier an. So ’ne Verschwendung Da kannste ja ’nen Forst von pflanzen.“

Baby: *ballt energisch die Faust und ruft voller Überzeugung*
„Hambi bleibt!“

Vater Maximilian: *entsetzt*
„Dit is nich mein Kind! Sieht mir auch gar nicht ähnlich.“

Oma Hannelore:
„Bambi lebt?“

Jutta, die Mutter: *ganz entzückt von ihrem Baby und sehr genervt vom Vater und mit der Gesamtsituation unzufrieden*
„Die ersten Worte gut und fein
vom kleinen, lieben Babylein.
Ganz anders als der Macker,
klingst du, mein süßer Racker!“

Michelle: *verlässt den Raum*
„Leute, bin off. Gehe 20 Uhr live mit der Crowd. Hashtag bye.“

Jutta, die Mutter: *fasst sich ans Herz*
„Das war ja ein tolles Fest,
ich mach‘ jetzt ’nen Corona-Test.“

Gut gemeinter Rat der Redaktion: Please don’t try this at home.

Beitragsbild: Julia Schlichtkrull