Es ist Halloween, und zwar ein sozial distanziertes Halloween. Wenn dir die Ideen ausgegangen sind, was du in diesen Zeiten anstelle deines üblichen Süßes-oder-Saures-Rundgang noch machen kannst und alle unsere Vorschläge schon durchprobiert hast, hilft dir vielleicht diese Geschichte, dich richtig in Grusel-Stimmung zu bringen. Also beschreite deinen Weg, und zwar so, wie du es gern hättest. Die Zahlen zeigen dir an, wo du weiterlesen musst, los geht’s bei der (1). Kleiner Tipp: Es kann helfen, sich die jeweiligen Zahlen zu notieren, falls die eine oder andere Entscheidung doch mal etwas blutiger ausgeht. Denn diese Geschichte hat nicht immer ein Happy End für dich vorgesehen.

(1) Raschelndes, golden glänzendes Herbstlaub unter deinen Schuhen. Das Sonnenlicht fällt durchs spärliche Blätterdach, bricht sich an den Blättern, die noch vereinzelt an den Zweigen hängen, fällt wie ein Bündel dünner Silberfäden auf den Waldboden hinab. Es ist nicht zu kalt, gerade warm genug, damit du in deinem Herbstmantel nicht frierst. Es ist ein wunderschöner Tag. Aber das ändert nichts daran, dass du dich verlaufen hast. Erst viel zu spät hast du realisiert, dass du dich doch nicht so gut auf dem geschwungenen und verzweigten Waldpfad auskennst, wie du geglaubt hast. Und jetzt befindest du dich irgendwo im Nirgendwo, mit dem glitzernden Sonnenschein über dir, der zwar einen herrlichen Anblick abgibt, aber bei seinem Stand ein sicheres Zeichen dafür ist, dass der Abend langsam hereinbricht. Du bleibst stehen, dein Blick gleitet hin und her zwischen dem Weg, der vor dir liegt und dem, den du gekommen bist. Du könntest weitergehen, hoffen, einen Ausweg aus dem Wald zu finden (6) oder umdrehen und versuchen, dich daran zu erinnern, welchem Weg du gefolgt bist (14). Wie entscheidest du dich?

(2) Obwohl du am liebsten von diesen fahrlässigen Brandstiftern fernbleiben würdest, kommst du nicht umhin einzusehen, dass es wohl das Beste wäre, zu ihnen zu gehen. Immerhin kennen sie vielleicht einen Weg nach draußen und wenn nicht, haben sie zumindest ein Feuer, an dem du dich wärmen kannst. Umso näher du kommst, desto lauter werden ihre Stimmen, und als du sie schließlich fast erreicht hast, fällt dir auf, dass du sie nicht verstehen kannst. Die Sprache, die sie sprechen, klingt seltsam, ganz anders als alle Sprachen, die du je gehört hast. Du trittst noch einen Schritt näher, schiebst einen Zweig beiseite, spähst durch die Blätter. Um ein großes Lager­feuer, dessen Flammenzungen beinahe die Baumspitzen berühren, steht etwa ein Dutzend junger Frauen in langen dunklen Kleidern. Sie wenden dir ihre Gesichter zu, beginnen zu lächeln, bewegen sich im gleichen Rhythmus, als wären sie ein einziger Körper. Eine von ihnen tritt auf dich zu, ihr schwarzes Haar fällt lockig über ihre Schultern. Sie streckt ihre Hand aus. „Komm.“ Du kannst nicht widerstehen. Ihre Hand ist heiß, als du behutsam danach greifst, aber noch heißer ist das Feuer, als sie dich mit einem Ruck zu sich zieht und hinein stößt. „Für unsere Schöpferin“, rufen sie alle, kaum hörbar über das Knacken und Zischen der Scheite und über dein Schreien hinweg. (13)

(3) „Nein danke“, erwiderst du mit zittriger Stimme und wendest dich zum Gehen. Doch der unheimliche Typ lässt dich nicht. Er stellt sich zwischen dich und die Tür und hinter dir hörst du die Schritte von jemand anderem, die bedrohlich näher kommen. Du schreist. Ein lauter Schrei ist immer die beste erste Verteidigung. Dann springst du zur Seite, greifst nach einem Kerzenständer, der bei der Tür steht, und schlägst nach dem Mann. Von hinten schlingt sich eine Hand um deinen Oberarm, doch du reißt dich los, stößt den anderen um, siehst noch sein weißes Hemd und den Wein darauf, nein, das Blut. Du rennst. So schnell du kannst und ohne Ziel. Tiefer ins Haus, aber Hauptsache weg von diesen Verrückten. Du kannst nicht erahnen, was hinter den verschlossenen Türen liegt, also wählst du die Treppe, stolperst hinauf, siehst eine offene Tür vor dir. Hinein, einfach nur hinein. Dein Atem pfeift in deiner Kehle, brennt in der Brust. Du schlägst die Tür hinter dir zu und lehnst dich mit dem Rücken dagegen. Du keuchst noch immer, aber langsam fällt die erste Angst von dir ab und du kannst dich in dem Zimmer umsehen, in das du dich geflüchtet hast. Vor dir, an der gegenüberliegenden Wand, sind etwa zwanzig Bildschirme angebracht. Jeder von ihnen ist an­geschaltet, doch sie leuchten nur in dunklem Grau. Ein einzelner Kreis prangt in der Mitte der grauen Flächen, mit zwei Buchstaben darin, Initialen. Eine Jitsi-Konferenz. Eine Jitsi-Konferenz mit zwanzig ausgeschal­teten Kameras, zwanzig ausgeschalteten Mikros, keiner einzigen Nachricht im Chat. Ein Uni-Kurs. Und du bist der Dozent. (13)

(4) Als würde dich etwas magisch anlocken, entscheidest du dich für den dunklen Nadelwald. Schon nach einem kleinen Stück Weg musst du die Augen zusammenkneifen, um noch etwas erkennen zu können, aber du hoffst einfach, dass sich deine Sicht schnell an die Finsternis gewöhnt. Mit der Abwesenheit der Sonne wird es langsam auch verdammt kalt. Du rückst deinen Schal zurecht, in der Hoffnung, dass er dich so besser wärmen kann, schlingst deine Arme um den Körper – gegen die Kälte und gegen deine Angst. Die Erkenntnis, dass du den Rückweg heute nicht mehr finden wirst, schleicht sich kriechend in dein Bewusstsein. Wenn du dich nur wenigstens irgendwo ausruhen und wärmen könntest. Gerade, als dieser Gedanke durch deinen Kopf gespukt ist, bemerkst du ein Feuer ein Stück abseits vom Weg zwischen den Bäumen. Ein Feuer deutet auf andere Menschen hin, aber eigentlich hegst du eine tiefe Abscheu gegen Leute, die in Wäldern Feuer entzünden. Überwindest du dich und gehst zu ihnen (2) oder schlägst du dir deinen Weg weiter durch die Nacht (9)?

(5) Mit zitternden Händen zückst du dein Handy, das du vorher lieber in der Tasche gelassen hast, um Akku zu sparen, für den Fall, dass du in genau so einer Situation endest wie jetzt. Doch gerade, als du es anschaltest, schaltet es sich selbst aus. In der Kälte hat sich die Batterie auf einen Schlag entladen. Typisch, iPhone! Dann muss es eben ohne Licht gehen. Doch obwohl du mit der größten Sorgfalt ins Wurzelloch hinab steigst, bist du nicht darauf vorbereitet, wie schlammig die Erde hier ist und wie tief das nasse Loch hinab reicht. Als du merkst, dass du versinkst, ist es bereits zu spät. Als der Schlamm bereits deinen Hals erreicht hat und unter deine Jacke dringt, kannst nur noch daran denken, dass du sowieso eine ziemliche Arachnophobie hast und jetzt wenigstens nicht mehr die Nacht unter dem Wurzeldach verbringen musst, das sicher voller blutrünstiger Spinnen gewesen wäre. (13)

(6) Zurückzugehen erscheint dir sinnlos. Du bist viel zu weit gegangen, um noch zu wissen, welchen Weg du gekommen bist. Also weiter, durch das Laub und mit der untergehenden Sonne über dir. Du hörst das metallische Kreischen, bevor du den Schmerz spürst. Etwa schlingt sich um dein Bein, bohrt sich in den Fleisch. Du stößt einen Schrei aus und dein Blick gleitet hinab. Es dauert eine Weile, bis du die Eisenzähne zuordnen kannst, die dein Schienbein fest in ihrem Maul haben. Eine Bärenfalle. Schritte und Stimmen neben dir, mehrere Gestalten springen aus dem Unterholz hervor. Karierte Hemden, Basecaps, ausgewaschene Jeanshosen. Verdammt, bist du schon die ganze Zeit in Texas gewesen? Eine Frau mit zerzaustem, blondem Haar tritt vor. Sie hebt die Waffe, die sie in den Hän­den trägt, und obwohl du dich nicht wirklich mit Schusswaffen auskennst, weißt du, dass ein Schuss aus dem Ge­wehr, das sie hält, tödlich ist. Sie richtet den Lauf auf dein Gesicht. „Jedes Fleisch ist gutes Fleisch“, krächzt sie mit heiserer Stimme. Dann drückt sie ab und für den Bruchteil einer Sekunde hörst du noch den ohrenbe­täubenden Knall. (13)

(7) Du beschließt, dass du mit der Angelegenheit lieber nichts zu tun haben willst und gehst weiter. Aber nach einem weiteren guten Stück Weg verlieren sich deine Fußspuren im dichten Laub­teppich, und als du an der nächsten Abzweigung ankommst, weißt du nicht, welchen Weg du nehmen sollst. Der Boden gibt dir keinen Anhaltspunkt mehr und noch immer kommt kein Ende des Waldes in Sicht. Außerdem wird es langsam immer dunkler. Der rechte Weg sieht nicht beson­ders vielversprechend aus – er führt in einen Nadelwald hinein, der den Wald noch mehr vom letzten Son­nenlicht abschirmt. Der linke Weg würde dich zu einem Bach bringen, über den eine hölzerne kleine Brücke führt. Du kannst dich weder an einen Nadelwald noch an eine Brücke erinnern, irgendwo musst du bereits eine falsche Abzweigung genommen haben, aber es macht keinen Sinn, jetzt wieder zurückzugehen. Wirst du in den Wald gehen (4) oder über die Brücke (10)?

(8) Ein gruseliges altes Haus ist nie eine gute Idee, das weißt du spätestens seit Bly Manor. Außerdem hast du die Hoffnung noch nicht aufgegeben, einen Rückweg zu finden. Das Gras ist hoch und nass, du spürst die Kälte zurückkehren, als sich die Feuchtigkeit durch deine Schuhe und deine Hose frisst. Trotzdem gehst du weiter, unbeirrt und mit dem bedrohlichen Herrenhaus neben dir noch schneller als zuvor. Es muss doch einen weiteren Eingang in den Wald geben, einen Weg, der dich endlich zurück führen wird! Selbst wenn es einen gibt, du findest ihn nicht mehr. Ein Rascheln ertönt, nur wenige Schritte entfernt, doch es nähert sich dir mit hoher Geschwindigkeit und größter Präzision. Dann ein Zischeln. Und eine Schlange richtet sich vor dir auf, ihr Körper so dick wie dein Arm, das Maul aufgerissen, die gespaltene Zunge zittert bei dem kreischenden Fauchen, das sie ausstößt. Du spürst nur noch ihre Zähne, die sich in deinen Hals bohren. Wenigstens tötet sie dich sofort, sodass du nicht mehr merkst, wie sie dich in einem Biss verschlingt. (13)

(9) Deine Abneigung gegenüber Waldbrandgefährder*innen ist einfach unüberwindlich groß. Du gehst weiter, doch nach einer Stunde, zwei Stunden, drei werden deine Beine immer müder, deine Hände immer kälter, die Sicht immer schlechter. Dein Verlangen, dich irgendwo hinzulegen und auf die wieder aufgehende Sonne zu warten, wird unerträglich, aber einfach bewegungslos am Wegesrand zu liegen, könnte bei den Temperaturen den Tod bedeuten. Du bemerkst einen gro­ßen Baum neben dir, der umgestürzt ist, seine gewaltige Wurzel ragt so über den Waldboden, dass sie ein natürliches Dach bildet. Es könnte deine letzte Chance auf einen wenigstens etwas geschütz­ten Schlafplatz darstellen. Willst du weitergehen (15) oder die Nacht in dem Wurzelloch verbringen (5)?

(10) Du verzichtest gerne auf die Dunkelheit, da du hoffst, dass es dir wenigstens etwas helfen kann, wenn du einem Pfad folgst, der dir länger Tageslicht schenkt. Nach einigen Schritten hast du die Brücke erreicht, der Bach darunter ist nicht besonders breit, aber zu tief mit zu steilen Uferwänden, als dass du hinüber springen könntest. Andererseits sieht die Brücke auch nicht besonders vielver­sprechend aus. Das Holz ist dunkel und modrig und hat bereits hier und da Risse, durch die du spitze Felsen im Bach erkennen kannst, um die das Wasser rauschend herum fließt. Du versuchst es dennoch, immerhin bleibt dir kaum eine Alternative. Mit beiden Händen am Geländer wagst du dich Schritt für Schritt nach vorne. Doch der marode Boden knarrt unheilvoll und ehe deine Reflexe reagieren, um dich mit einem rettenden Sprung in Sicherheit zu bringen, gibt das Holz nach. Du kannst nichts mehr tun, nicht einmal mehr schreien. Erst kurz bevor dein Kopf auf einem Stein zerspringt, realisierst du, welcher Tag heute ist. Halloween. Und du hast nicht einmal Süßigkeiten rausgestellt. Hoffentlich putzt jemand später die Zahnpasta von deiner Türklinke, du wirst es nicht mehr tun können. (13)

(11) Du gehst zum Haus, nimmst den alten Türklopfer in der Gestalt einer gekrümmten Schlange in die Hand und klopfst auf das schwere Metall der Tür. Es dauert einige Momente, doch dann hörst du Schritte von drinnen, und wenig später wird die Tür geöffnet. Ein Mann steht vor dir, jung, gepflegt, aber seine Kleidung so spießig, dass du die Nase rümpfst. Ein BWL-Student hier draußen im Wald? Er macht eine ausholende Geste ins Haus hinein. Seine Stimme ist sanft, als er spricht. „Zu so später Stunde allein unterwegs? Kann ich dir vielleicht einen Tee anbieten?“ Eigentlich hättest du nach der ganzen Aufregung lieber einen Kaffee, aber etwas Wärmendes, egal was, täte jetzt durchaus gut. Du trittst in den Flur hinein, siehst dich um. Vier Türen zweigen von dem Raum ab, doch nur eine davon steht geöffnet, zumindest einen Spalt breit. Du glaubst, weitere Gestalten dahinter erkennen zu können, jemand erscheint in der geöffneten Tür. Ein weißes Hemd und etwas Rotes darauf. Du hoffst, dass es Wein ist. „Tee?“, wiederholt der Mann hinter dir. Nimmst du sein Angebot an (16) oder hältst du es für schlauer, zu fliehen (3)?

(12) Dein Beschützerinstinkt zwingt dich, den Fußspuren zu folgen. Du hast Mühe, die Zweige beiseite zu schieben, die sich dir in den Weg stellen, als wollten sich die warnen. Ihre War­nung ist dir egal. Du kannst nicht einfach weitergehen, wenn dort vielleicht noch jemand anderes ist, der sich ebenfalls verlaufen hat, der deine Hilfe brauchen könnte. Schließlich hast du die Büsche durch­quert und befindest dich wieder auf sicherem Laubboden. Vor dir steht ein Mann. Seine Kleidung ist zerrissen, seine Schultern gesenkt wie vor Erschöpfung. Er hat dir den Rücken zugewandt, und ob­wohl du dich bemühst, genau hinzusehen, kannst du keine Regung an ihm erkennen. Seine Arme sind steif, sein herunter hängender Kopf verharrt in der gleichen Position, nicht einmal eine Atembewegung kannst du ausmachen. Dann aber bewegt er den Kopf. Hebt ihn, dreht ihn, immer weiter, bis er über seinen Rücken hinweg sieht, als wäre es seine Brust. Seine Augen sind weiß und leer, seine Zähne verfault. Du hörst ein Knacken, es muss sein Schultergelenk sein, als er seinen Arm langsam hebt und auf dich zukommt. Du fängst an zu rennen, doch die Büsche, die du vorhin lieber nicht durchquert hättest, versperren dir den Fluchtweg. Du versuchst reinzukriechen, irgendwie Schutz zu finden, aber eine Hand schraubt sich um dein Fußgelenk und zieht dich wieder hervor. Mit noch immer verkehrt herum gedrehtem Kopf kommt er langsam auf dein Gesicht zu, das einzige, was du noch wahrnehmen kannst, ist sein fauliger Geruch, als er sich auf dich wirft. Das schiefe Kreischen, was er dabei ausstößt, ebbt erst ab, als sich seine schwarzen Zähne in dein Fleisch rammen. (13)

(13) Du schreckst auf, reißt die Trinkflasche zu Boden, die eben noch vor dir auf dem Schreibtisch stand. Es dauert einen Moment, bis du realisiert, wo du dich befindet. Zu Hause, in deinem Zimmer, an deinem Arbeitstisch, vor dem Laptop. Die Stimme, die dir plötzlich ins Ohr spricht, lässt dich ein weiteres Mal zusammenfahren, und langsam begreifst du, was geschehen ist. Du bist in einer Online-Sitzung. Die langweiligste Vorlesung, die du im ganzen Semester hast, und obwohl deine Dozentin versprochen hat, die Sitzungszeit digital immer nur auf eine Dreiviertelstunde zu beschränken, weißt du, dass sie das nicht tun wird. Sie nutzt die vollen anderthalb Stunden aus, jedes Mal. Und ein Blick auf die Uhr an der rechten unteren Seite deines Bildschirms verrät dir, dass es gerade ein­mal kurz nach halb eins ist. Stöhnend lässt du dich auf deinem Stuhl zurücksinken. Einen kurzen Augenblick lang bist du dir wirklich nicht sicher, was hier der wahre Albtraum ist.

(14) Du drehst wieder um. Zwar warst du eine ganze Weile unterwegs, viel zu lange, bis du realisiert hast, dass du schon vor einer geraumen Zeit vom Weg abgekommen sein musst. Aber irgendwie muss es doch möglich sein, den Rückweg zu finden. Du hältst den Blick auf den Boden gerichtet, folgst den Fuß­spuren dort, wo der Boden schlammiger ist. Es kann sich nur um deine eigenen handeln, denn sie scheinen frisch zu sein und du hast niemanden sonst auf dem verlassenen Waldweg gesehen. An einer etwas tieferen Schlammlache machst du jedoch verdutzt Halt. Da sind zwei Spuren zu erkennen – die einen, die dir entgegen kommen, sind deine eigenen, die anderen jedoch führen vom Weg ab und ins Dickicht hinein. Auch sie sehen frisch aus. Du spähst ins Gebüsch, um etwas zu erkennen, doch da ist nichts außer Zweigen und Gestrüpp. Dein innerer Instinkt fordert dich auf nachzusehen, für den Fall, dass jemand deine Hilfe braucht, aber unheimlich ist dir die Sache trotzdem. Wendest du dich vom Weg ab, um der Sache auf den Grund zu gehen (12) oder ignorierst du die Fußspuren und suchst weiter nach dem Rückweg (7)?

(15) Dir ist das Wurzelloch nicht geheuer, vor allem, wenn du an die ganzen Insekten denkst, die dort nachts sicher herum kriechen, und wirklich warm ist es da drin bestimmt auch nicht. Weiter­zugehen heißt wenigstens, in Bewegung zu bleiben, und das ist schon mal ein Anfang. Du weißt nicht, wie viel Zeit vergeht, traust dich nicht, dein Handy herauszuholen, um nachzusehen. Vielleicht brauchst du den Akku noch, um wenigstens einen Notruf zu tätigen, sobald du aus dem Wald und damit auch aus dem Funkloch wieder herausgefunden hast. Anfühlen tut es sich jedenfalls wie Tage. Der Weg scheint kein Ende zu nehmen, ebenso wenig die Kälte, und deine Muskeln beginnen zu brennen. Endlich siehst du vor dir einen silbernen Schimmer. Helligkeit, Mondlicht. Du beginnst zu laufen, stolperst über deine Füße, fängst dich, läufst weiter. Vor Aufregung vergisst du die Kälte und die Schmerzen. Das Ende des Weges, des Waldes, wird immer deutlicher sichtbar und schließlich hast du es erreicht. Du blinzelt ein paar Mal, um dich an die plötzliche Helligkeit des Vollmonds zu gewöhnen. Und siehst, dass du nur auf einer Lichtung stehst. Über all um dich herum ist nichts als tiefer, dichter Wald. Und vor dir, in der Mitte der kleinen runden Wiese, so fehlplatziert und trotz­dem seltsam passend, ein großes, graues Herrenhaus. Gehst du zum Haus (11) oder versuchst du, auf der anderen Seite der Lichtung einen besseren und hoffentlich etwas helleren Weg zurück in den Wald zu finden (8)?

(16) Der Tee ist vergiftet, natürlich, was hast du dir auch dabei gedacht? Du brauchst nur einen Schluck zu nehmen, bevor es dir selbst auffällt. Er hat eine süßliche Note, viel zu süß dafür, dass es sich um schwarzen Tee handeln soll. Die Tasse gleitet dir aus den Fingern, zum Teil vor Schreck, zum Teil, weil deine Kräfte bereits schwinden. Der Mann, der dich ins Wohnzimmer geführt hat, lächelt nur wissend. Hinter ihm öffnet sich die Tür, durch einen verschwommen Schleier siehst du zwei Schemen eintreten, weiße Hemden, Wein, hoffentlich Wein. Etwas blitzt in der Luft auf, Metall, ein Messer. „Blut für den Blutgott“. So sehr du dich auch bemühst, du kannst nichts mehr tun, deine Sinne lassen nach. Die Stimme ist nur noch ein verzerrtes Murmeln, du spürst nicht einmal mehr, wie die Klinge durch deinen Körper schneidet. (13)

Beitragsbilder: Rosie Fraser auf Unsplash
und Julia Schlichtkrull