Greifswalds Stadtbusse haben ein Problem mit der Pünktlichkeit. Das heißt allerdings nicht, dass sie zu spät kommen – im Gegenteil. Diesem und anderen Problemen widmet sich unsere Mängelliste.

Stadtbus am Zentralen Omnibusbahnhof

Im Winter stehen viele Studenten aus den Randbezirken vor einem Problem: Es regnet, schneit und stürmt fast ununterbrochen, doch man muss zur Uni in die Innenstadt. Dazu müsste man Radfahren oder den Stadtbus nehmen, aber beides ist mit hohen Hürden verbunden. Denn während der ortsunkundige Leser vermutlich den Stadtbus klar im Vorteil sehen wird, weiß der echte Greifswalder, dass man davon lieber die Finger lassen sollte.

Das mag verwundern, denn schließlich ist Fahrradfahren bei feuchter Witterung in Greifswald alles andere als vergnüglich. Obwohl es sehr viele Fahrräder in der Hansestadt gibt, ist das Wegenetz extrem schlecht ausgebaut – und entwickelt mit seinen Schlaglöchern und Pfützen eher den Charme einer usbekischen Sumpflandschaft als den einer pommerschen Kleinstadt. Wer trotzdem die Fahrt auf dem Zweirad riskiert, kassiert dafür mit Sicherheit ein paar nette Matsch-Spritzer auf der Kleidung.

Bliebe als attraktive Alternative der Bus, der besser geheizt und gepolstert ist als das Fahrrad und in dem es auch nicht regnet, stürmt oder schneit. Wer jedoch in Greifswald versucht, Bus zu fahren, sollte sich auf unangenehme Erlebnisse gefasst machen. Eine Auswahl:

Alles andere als simpel: Der Lininenplan ist eher ein abstraktes Kunstwerk

Der Fahrplan ist vollkommen unverständlich. Wer ihn verstehen will, sollte eine längere Einarbeitungsphase in Kauf nehmen und auf jeden Fall einen höheren Bildungsabschluss in der Tasche haben. Ein Blick auf den Linienplan bringt jedenfalls keinerlei Klarheit. Auf den ersten Blick wirkt es so, als führen alle Linien überall. Das stimmt jedoch nur bedingt, denn tatsächlich ändern die Linien abhängig von Tages- und Wochenzeit ganz erheblich ihren Linienverlauf, fahren aber keineswegs überall. Insbesondere gilt das für die Innenstadt: Ob der Bus durch die Loefflerstraße oder die Bahnhofstraße zur Europakreuzung fährt, haben die Fahrplanmacher vermutlich ausgewürfelt. Der weitere Linienverlauf ist dann auch nicht besser:

Das Ostseeviertel und Wieck/Eldena sind mit zwei Linien (6 und 7) angebunden, die eine fährt nicht durch die Loefflerstraße, die andere nicht durch das Ostseeviertel Parkseite. Ein wenig sinnvoller Schachzug der Stadtwerke, der keineswegs zu mehr Übersichtlichkeit führt.

Schönwalde ist mit einer Art Ringlinie (Linie 4) angebunden, deren Umlaufprinzip sich ebenfalls erst nach längerem Studium erschließt, weil die Erläuterungen im Fahrplan erbärmlich schlecht sind. Wer aus Schönwalde in die Innenstadt will, ist allerdings in der originellen Situation, dass er Busse in jede Richtung nehmen kann. Das weiß er allerdings nur, wenn er’s zufällig herausgefunden hat – auf den Haltestellenfahrplänen fehlt ein entsprechender Hinweis. Außerdem variieren auf dieser Linie die Abfahrtzeiten ständig.

Wer in die Stadtteile westlich der Bahnstrecke will, ist richtig arm dran. Für den geht es nämlich erstmal zum Südbahnhof und dann von dort aus auf der anderen Seite der Bahnlinie wieder zurück (Linie 1). Völlig gaga!

Außerdem gibt es noch eine Linie 5, die die Wohnviertel mit dem Elisenpark verbindet und eine Linie 20, die erstaunlicherweise nur mittwochs und am Totensonntag fährt und zwar quer durch die ganze Stadt zum Friedhof.

Eine Internet-Fahrplanauskunft findet sich ebenfalls erst nach langer Suche. Auf schriftliche Anfrage empfahlen die Stadtwerke dem Autor dieser Zeilen vor einiger Zeit, die Online-Fahrplanauskunft „delfi“ zu verwenden. Gesagt, gegoogelt und anschließend sehr gewundert, denn: die Fahrplanauskunft gibt Unsinn aus. Wer von einer beliebigen Haltestelle in Greifswald zu einer anderen Haltestelle im Stadtgebiet fahren will, bekommt von der Fahrplanauskunft stets die ominöse Haltestelle „Greifswald Mühle“ als Ziel verpasst. Dann meldet das System, zu dieser Haltestelle führen leider überhaupt keine Busse, weshalb keine Auskunft möglich sei. Manchmal berechnet es auch eine Fahrt nach „Eldena Mühle“, obwohl in der Eingabemaske an keiner Stelle von einer Mühle die Rede war. Na ja!

Angeblich gilt die Auskunft übrigens für ganz Deutschland. Doch auch das sollte man lieber nicht probieren. Beim Versuch, eine Fahrt von Greifswald-Schönwalde nach Düsseldorf zu berechnen, verzapfte das Auskunftssystem einen kuriosen Vorschlag: Der Bus bis zum ZOB war zwar korrekt angegeben, dann allerdings sollte man sich binnen acht Minuten von dort zu Fuß zum 700 km entfernten Ort Plauen im Vogtland gehen (die Auskunft wörtlich: „Fußweg 8 Minuten“) und dort seine Reise fortsetzen. Für einen Computer wirklich sehr phantasievoll!

Inzwischen findet sich immerhin ein Link zu einer funktionierenden Online-Auskunft auf den (wenig übersichtlichen) Seiten der Stadtwerke. Die Auskunft der Deutschen Bahn kennt den Stadtbus übrigens gar nicht – vermutlich ist das eine Vorsichtsmaßnahme, um Bahn-Kunden nicht noch mehr zu enttäuschen.

Wer zu früh ist, kann auch früher in die Pause...

Die Busse kommen ständig zu früh. Die gute Nachricht ist, dass Verspätungen selten sind. Mehr als bloß ärgerlich ist hingegen, dass die Busfahrer den Fahrplan ganz offensichtlich als Soll-Wert in beide Richtungen auslegen. Wenn ein Bus etwas früher dran ist, stört das keinen. Zur Haltestelle sollte man sich also mindestens fünf Minuten vor Abfahrt des Busses aufmachen. Sonst könnte er schon weg sein. Und dann muss man in der Regel mindestens ein halbes Stündchen warten.
Bei den Stadtwerken scheint man das Problem zu kennen. Auf der Homepage heißt es freundlich, aber irgendwie sarkastisch: „Haben Sie den Bus verpasst? Greifswalder Funktaxen sind rund um die Uhr erreichbar: Tel: 03834 50 2222 und 03834 502254″

Die Busse sind zu klein. Greifswald hat seit ein paar Jahren keine Gelenkbusse mehr. Das hat natürlich wirtschaftliche Gründe: Die Gelenkbusse verbrauchen mehr, sind in der Wartung teurer und erfordern eine andere Führerscheinklasse. Da in Greifswald aufgrund der oben genannten Symptome aber ohnehin nur unwichtige, weil mittellose Menschen Kinder, Alte und Behinderte Bus fahren, ist es in der Regel nicht sonderlich voll. Im Berufsverkehr und bei Großveranstaltungen kommt es aber des Öfteren vor, dass die Busse plötzlich aus allen Nähten platzen. Greifswalds Stadtwerke reagieren in solchen Fällen selbstverständlich überhaupt nicht; stattdesswn wird die Angelegenheit einfach ausgesessen: Wer nicht mehr reinpasst, muss draußen warten. Vielleicht ist ja der nächste Bus leerer.

Klein, aber gemein: Der Antrag auf ermäßigte Zeitkarten ist schwer zu bekommen und macht Arbeit

Ermäßigungen gibt’s nur nach Bürokratismus. Wer schon einmal versucht hat, eine ermäßigte Zeitkarte zu erwerben, dem dürften schon bei der bloßen Erinnerung daran die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Erste Hürde: Wo kann man die kaufen? Das ist erst einmal egal, denn vor dem Kauf benötigt man eine „Stammkarte“. Ohne die gibt’s keine Ermäßigung. Die ideale Stammkarte wäre ein Studentenausweis der EMAU, aber das ist den Stadtwerken viel zu einfach. Die Stammkarte kann man nur in der Zentrale der Stadtwerke und am Fahrkartenschalter des ZOB beantragen. Beide haben allerdings mehr als kümmerliche Öffnungszeiten. Außerdem kann es durchaus vorkommen, dass am Schalter des ZOB einfach keiner da ist. Das ist dann schade, aber offenbar nicht zu ändern. Wer Glück hat, bekommt am Ende irgendwie einen „Antrag auf Stammkarte“, den man dann ausfüllen muss und mit Lichtbild und Studiennachweis einreichen muss. Als Studiennachweis reicht keinesfalls der Studentenausweis – es muss ein besonderer und nur für diesen Zweck vorgesehener Abriss aus dem Leporello sein. Anschließend gibt’s dann immerhin eine „Stammkarte“ und man kommt in den Genuss eines ermäßigten Fahrscheins. Der ist dann in der Tat spottbillig, was aber in Anbetracht der beschriebenen Leistungen nur angemessen ist.

Es gibt keinen Kurzstreckentarif. Wer von Bahnhof nach Eldena fährt, zahlt 1,70 Euro. Wer nur ein paar Haltestellen fahren will (z.B. Bahnhof-Europakreuzung oder Elisenpark-Schönwalde), zahlt dasselbe. Einen pauschalen Kurzstreckentarif für zwei bis drei Haltestellen gibt es nicht. Das ist in nahezu allen anderen Städten anders.

Es gibt keinen Nachtverkehr. Obwohl die Stadtwerke ihren Linienplan großkotzig „Tages-Liniennetz“ nennen, gibt es kein Nacht-Liniennetz. Nachts fährt einfach gar nichts. Dabei wäre in Deutschlands „jüngster Stadt“ insbesondere der Nachtverkehr für die zu dieser Zeit nicht immer ganz nüchterne Studentenschaft höchst attraktiv.

Das größte Problem an Greifswalds öffentlichen Nahverkehr sind entgegen dem hier womöglich vermittelten Eindruck aber nicht die Stadtwerke, sondern wieder einmal die Stadt: Den Stadtwerken mangelt es schlicht an Geld, ein qualitativ hochwertiges Nahverkehrsangebot zu machen. Dass Fahrplan und Linienverlauf aus den angestrengten Versuchen hervorgegangen sind, trotz erheblicher Kürzungen die ganze Stadt mit Nahverkehr zu versorgen, ist schnell ersichtlich. Dennoch ist das Ergebnis wenig zweckdienlich, weil potentielle Fahrgäste durch die komplexen Strukturen und die schlechte Vermarktung des Angebots abgewiesen werden.

Alles in allem sollte die Stadt als Geldgeberin der im Bereich Nahverkehr chronisch unterfinanzierten Stadtwerke dringend überlegen, ob sie den Stadtbusverkehr nicht entweder ganz einstellt oder die viel zu geringe (und stetig geringer werdende) Finanzierung desselben noch einmal überarbeitet. Greifswald ist nahverkehrstechnisch gewiss nicht Berlin, aber die Qualität des hiesigen Stadtbusverkehrs rangiert weit unter der vieler vergleichbarer Klein- und Mittelstädten in der Bundesrepublik. Schon eine Studienreise ins nahe und kaum größere Stralsund könnte den Entscheidungsträgern bei Stadt und Stadtwerken nicht schaden.

Bildquellen:

  • Textautor (Fotos)
  • sw-greifswald.de