Johanna Sinisalo ist finnish weird. Sie behauptet von sich selbst, schon immer den Drang gehabt zu haben, sich die seltsamsten Dinge auszudenken und eine sehr schlechte Lügnerin zu sein. Trotzdem, oder gerade deswegen, sind ihre Bücher aber voller Wahrheiten.

Nur wenige wissen, dass hinter dem 2012 erschienen Film „Iron Sky“ die Idee einer finnischen Autorin stand. Als Johanna Sinisalo den Auftrag bekam, eine verrückte Geschichte zu schreiben, wusste sie nur, dass vor allem ein Thema im Vordergrund stehen müsse: die unglaubliche Dummheit der Menschen. Menschen, die immer wieder die gleichen Fehler machen und sich blind Ideologien hingeben, ohne diese wirklich nachvollziehen zu können oder zu wollen.

Auch die Nazis in Sinisalos „Iron Sky: Renate und die Mondnazis“ sind keine historischen Nazis mehr. Die Geschichte, die sich aus einer Mischung verschiedener Tagebucheinträge der Hauptfigur Renate Richter von den frühen 2000ern bis zum Jahr 2047 zusammensetzt, durchmengt mit anderen Textsorten wie Lehrbucheinträgen, beginnt auf dem Mond. In einer Zeit, in der Hitler bereits seit über 60 Jahren tot ist und die Figuren den Nationalsozialismus gar nicht mehr miterlebt haben – und trotzdem daran festhalten. Wie aber ist eine solche Mondgesellschaft aufgebaut? Was macht es mit einem Menschen, Jahrzehnte lang nur einer Ideologie ausgesetzt zu sein, abgeschirmt von jeglichen anderen äußeren Einflüssen? Wie reagieren diese „Mondnazis“, wenn sie zum ersten Mal die Erde betreten – und den blauen Himmel sehen, den Wind auf der Haut spüren, das Rauschen der Blätter hören?


Denkt stets daran, eure Pille einzunehmen, denn wir wollen doch nicht, dass unsere überlegene Rasse geschwächt wird.

Fragen von Ideologie und Wissenschaft interessierten Johanna Sinisalo schon immer. So floss auch in die Entwicklung von „Iron Sky“ jede Menge Recherche dieser Richtung – Informationen, die in den Film, nicht zuletzt durch den begrenzten Rahmen, den das Genre Film eben mit sich bringt, nicht eingebaut werden konnten. In „Renate und die Mondnazis“, das erst im März dieses Jahres veröffentlicht wurde, kann Sinisalo all diese Ideen ausgestalten, und dabei Charaktere ins Leben rufen, die in den verschiedenen Phasen des Schreibprozesses entstanden sind, aber im Film keinen Platz mehr fanden. Und sie kann sich der Gedankenwelt der Figuren hingeben. Figuren, die nur von Hanf, Grünkohl und Chlorella-Algen leben, und bestürzt feststellen müssen, dass etwas so Wertvolles wie ein Holzstück auf der Erde nur dafür verschwendet wird, ein Eis zu halten.


Hanf? Sie sind zivilisierter als wir geglaubt haben.

Johanna Sinisalo schreibt mit Humor, das merkt man beim Lesen ziemlich schnell. Aber ist der Nationalsozialismus wirklich ein Thema, über das man Witze machen kann? Sinisalo selbst ist der Meinung, dass alle ideologischen Überzeugungssysteme, die an nichts anderes glauben als an sich selbst und dabei einer solch unfassbaren Selbstgefälligkeit und Selbstverliebtheit folgen, auf irgendeine Art komisch sind. Trotzdem ist es wichtig, dabei die historischen Tatsachen nicht zu vergessen oder zu verfälschen. Ein Spagat, der ihr vielleicht gerade als nicht-deutsche, sondern finnische Autorin so gut gelingt.

Es ist übrigens nicht nötig, den Film zu kennen, um das Buch zu verstehen. Die Geschichte um Renate Richter, die Mondjugendführerin, die nicht viel anderes als Nazis, Grünkohl und Heidi kennt und sich vom Mond auf die Erde schleicht, funktioniert auch unabhängig vom Film. „Renate und die Mondnazis“ ist ein Buch, das nicht lange am Realismus festhält – und trotzdem eine tiefe Wirklichkeit und Wahrheit beschreibt.


Gute Nacht, an Hitler gedacht, liebes Tagebuch.

Johanna Sinisalo bei der Lesung zu „Iron Sky: Renate und die Mondnazis“ auf dem Nordischen Klang

Titelbild: Ganapathy Kumar auf unsplash

Beitragsbild: Julia Schlichtkrull