Gutes Wetter, laute Musik, reichlich Alkohol und viel nackte Haut – bei ausgelassener Stimmung wird im kleinen Ostseestädtchen Greifswald sauniert und anschließend nur in Handtüchern gekleidet das Tanzbein geschwungen. Nichts lässt zu diesem Zeitpunkt erahnen, welche Wendung dieses idyllische Treiben erwartet.
So oder so ähnlich begann am ersten Samstag im März das Schauspiel „Ein Volksfeind“ auf der Bühne des Theaters Greifswald. Das Stück stammt von Henrik Ibsen und ist bereits 1883 in Oslo uraufgeführt worden. Oberspielleiter Reinhard Göber inszenierte mit „Ein Volksfeind“ ein Stück, welches sich nicht nur mit den Tücken der Demokratie und Macht auseinandersetzt, sondern ganz nebenbei auch noch den Naturschutz und die Rolle der Massenmedien abhandelt.
Dabei ist die Geschichte, die das Stück beschreibt schlichtweg einfach: Der Arzt Dr. Thomas Stockmann (gespielt von Alexander Frank Zieglarski) entdeckt gesundheitsschädliche Bakterien, sogenannte Vibrionen, in der Ostsee vor Greifswald. Diese Entdeckung will er natürlich so schnell wie möglich publik machen, um die Anwohner und Besucher Greifswalds vor den Gefahren im Wasser zu warnen. Zunächst erhält er für sein Vorhaben nicht nur Unterstützung von seiner Familie, sondern auch vom Redakteur Hovstadt (gespielt von Tobias Bode) und seinem Gehilfen Billing (gespielt von Ronny Winter) von der lokalen Presse. Doch seinem Bruder Peter Stockmann (gespielt von Markus Voigt), der das Amt des Bürgermeisters von Greifswald inne hat, ist dieses Vorhaben ein Dorn im Auge. Er sieht die Einnahmen durch Touristen in der kommenden Badesaison in Gefahr und ohnehin sei für eine Bekämpfung der Vibrionen sowieso nicht genügend Geld vorhanden. Die Situation spitzt sich im Laufe des Stücks immer weiter zu. Die grobe Masse steht nun nicht mehr hinter Dr. Thomas Stockmann und seiner Entdeckung, sondern hinter seinem Bruder, dem Bürgermeister, mit seinen wirtschaftlichen Interessen. Es geht sogar so weit, dass Dr. Thomas Stockmann als Lügner bezichtigt wird, der den Einwohnern von Greifswald nur Schaden zufügen möchte – ein Volksfeind eben.
Und die Lehre aus der Geschichte ist nun welche? Das kann man nicht so einfach beantworten, denn „Ein Volksfeind“ ist überaus vielschichtig und spricht viele Probleme an, die aktueller denn je sind. Sei es die Problematik, dass Mehrheitsentscheidungen nicht immer zielführend sind und Mindermeinungen übergangen werden, die wirtschaftlichen Interessen der Menschen ohne jeden Skrupel über den Schutz der Natur gestellt werden oder die Massenmedien unser aller Denken und Handeln beeinflussen können: All das findet man in „Ein Volksfeind“ wieder.
Trotz krankheitsbedingter spontaner Umbesetzung an diesem Abend geben die Schauspieler eine grandiose Leistung ab. Das Bühnenbild von Giovanni de Paulis ist sehr ausgetüftelt und glänzt nicht nur durch den Pool mitten auf der Bühne, sondern auch durch Spezialeffekte. Die Stimmung im Publikum ist angespannt. Die meisten sind von „Ein Volksfeind“ gefesselt, so bestimmt auch der echte Bürgermeister von Greifswald, der an diesem Abend mit im Publikum saß. Im zweiten Teil des Stücks wurde es dann löblicherweise überraschend interaktiv. Einige aus dem Publikum werden zu den vergangenen Geschehnissen des Stücks vom Redakteur Hovstadt interviewt, andere wiederum bekommen Schilder mit Parolen in die Hand gedrückt, die sie in die Luft halten sollen. Fast wie auf einer richtigen Demo ruft das gesamte Publikum immer wieder im Chor: „Rettet die Ostsee!“. Schon wenig später stellt Dr. Thomas Stockmann das Publikum in seiner Hetzrede gegen die Demokratie dann auch noch vor ein Ultimatum, denn er möchte eine Revolution anzetteln. Das Publikum soll für seine Meinung einstehen und hoch auf die Bühne kommen, um ihm bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Nicht verwunderlich ist die Reaktion auf seine Aufforderung. Niemand aus dem Publikum traut sich auf die Bühne, wenn doch vorher deutlich zu vernehmen war, dass dieses eher hinter ihm und seinem Vorhaben stand. Fraglich bleibt, ob es ein alternatives und vielleicht sogar weniger dramatisches Ende gegeben hätte, wenn sich das gesamte Publikum oder auch nur ein einzelne Person doch auf die Bühne getraut hätte. Dies werden wir wohl nie erfahren, denn die Aufführung Anfang März war die letzte seiner Art. Zwar trifft „Ein Volksfeind“ den Nerv der Zeit und regt zum Nachdenken und diskutieren an, ist nun jedoch nach drei erfolgreichen Spielzeiten am Theater Vorpommern abgespielt.
Ihr braucht nicht traurig sein, denn alternativ könnt Ihr demnächst unter anderem das Schauspiel „Weißer Raum“ von Lars Werner, welches ebenfalls durch den Oberspielleiter Reinhard Göber inszeniert wurde, besuchen. Da trifft es sich besonders gut, dass das Theater Greifswald zu Beginn des neuen Semesters wieder seine Begrüßungstickets für alle Studierenden anbietet. Für nur 6,66 Euro erhaltet Ihr eine Eintrittskarte für alle Sitzplatzkategorien, wenn Ihr den im Kassenbereich des Theaters ausliegenden Flyer zur Aktion beim Kartenkauf vorzeigt. Also viel Spaß bei Eurem nächsten und vielleicht sogar ersten Theaterbesuch in Greifswald!
Beitragsbilder: Vicent Leifer