Was macht mein*e Dozent*in eigentlich sonst so beruflich?
Diese Frage haben wir uns in letzter Zeit in der Redaktion häufiger gestellt.
Als Student*in vergisst man manchmal, dass die Lehre nur einen Aspekt der Uni ausmacht. Und selbst wenn man ahnt, womit sich der*die ein*e oder andere Dozent*in und seine*ihre Arbeitsgruppe in dem eigenen Studienfach beschäftigen, so bleibt es oft bei dieser groben Idee. In den Arbeitsalltag anderer Fakultäten oder sogar Institute erhält man selten einen Einblick.

Wir fragen nicht mehr nur uns:
„Was macht mein*e Dozent*in eigentlich sonst so beruflich?“,
sondern fragen diese einfach selbst.
Heute stellen wir die Forschung von Prof. Dr. Joachim Schiedermair aus der Skandinavistik vor.

Bild: Pressestelle Universität Greifswald

Leider hatte Herr Schiedermair keine Zeit für ein Interview mit uns, aber er hat dem baltic cultures-Blog im Dezember 2017 ähnliche Fragen beantwortet. Wir durften das Interview übernehmen. Zum Interview mit dem baltic cultures- Blog kommt Ihr hier.

Baltic Cultures: Wie sind Sie zur Skandinavistik gekommen?

Prof. Schiedermair: Seit dem Wintersemester 2009 lehre und forsche ich im Bereich der Neueren Skandinavischen Literaturen an der Universität Greifswald.

Dass ich ausgerechnet in der Skandinavistik gelandet bin, ist eigentlich ein Zufall. Anders als viele andere Skandinavist/-innen war ich nie als Kind in Dänemark, Norwegen oder Schweden; ich habe auch nie Astrid Lindgren gelesen. Ich kannte höchstens die Verfilmungen, aber Karlsson auf dem Dach empfand ich als unangenehmen Rüpel und bei dem Kind mit dem komischen Namen Lillebror war ich nicht sicher, ob es ein Mädchen oder ein Junge war; der Film wurde 1974 gedreht und da hatten alle noch längere Haare, Schlaghosen und quitschfarbene Kleidung. Mein Bewusstsein setzte einige Jahre später ein und da war das alles so was von out. Nach dem Abitur war ich dann auf einer Jugendreise in Norwegen. Ein guter Freund wollte da hin, und da ich noch Zeit hatte (und freundliche Eltern, die die Reise bezahlt haben), bin ich mit. Nach der Rückkehr wollte ich dann irgendwas mit Literatur studieren, das zur Germanistik passte. Und dann erinnerte ich mich an Norwegen. Dass das Fach „Skandinavistik“ oder „Nordische Philologie“ heißt, wusste ich damals noch nicht. Und dann haben mich meine akademischen Lehrer/-innen für das Fach begeistert.

Baltic Cultures: Woran forschen Sie zur Zeit?

Prof. Schiedermair: Momentan forsche ich zur Frage, wie das Erzählen die Art und Weise formt, wie wir die Welt wahrnehmen und uns in ihr bewegen. Das Forschungsfeld nennt man anthropologische Narratologie. Drei Bereiche interessieren mich besonders: A) Welche Erzählungen binden den Ostseeraum heute zusammen? Die gemeinsame Vergangenheit? Die Angst vor einem starken Russland? Oder die ökologische Bedrohung der Ostsee? Greifen diese Erzählungen harmonisch ineinander oder stehen sie in Konkurrenz? Und welche Erzählungen über den Ostseeraum sind vielleicht verschwunden, obwohl sie für Menschen zu anderen Zeiten enorm wichtig waren? B) Spätestens seit die Flüchtlinge aus vorwiegend islamisch geprägten Ländern bis nach Europa kommen, können wir die Erzählung vom allmählichen Verschwinden der Religion aus der Gesellschaft nicht mehr so recht glauben. Religion spielt wieder eine Rolle in der öffentlichen Diskussion. Ich untersuche für den skandinavischen Raum, wie sich diese Erzählung am Ende des 19. Jahrhunderts geformt hat, warum sie lange Zeit so eine große Überzeugungskraft hatte und welche Rolle die Literatur dabei spielt. C) Und dann habe ich gerade einen Aufsatz fertiggestellt, in dem ich mir Gedanken darüber mache, warum wir so gerne Geschichten über traumatisierte Menschen lesen. Sind wir Sadisten?

 

Vielen Dank nochmal an den baltic cultures-Blog! Hier kommt Ihr zum Blog für mehr spannende Themen aus dem Norden und dem Baltikum!

Letzte Woche haben wir die Forschung von Prof. Dr. von Savigny vorgestellt. Guckt mal hier rein!

Beitragsbild: Magnus Schult, in Zusammenarbeit mit der moritz.familie