Kommentar
Eine etwas polemische Einschätzung der lokalen Presseverhältnisse und der politischen Debattenkultur.
Was sich zuerst wie der Titel eines schlechten Märchens liest, ist in der Realität der wahrgewordene Schrecken der Provinz. Wenn man gebürtig aus der Region kommt, hat man sich mit so einigen Eigenheiten abgefunden: vergleichsweise schlechte Jobperspektiven bzw. schlechtere Bezahlung, eine generelle Abneigung so einiger Einheimischer allem Fremden gegenüber (außer natürlich sie bringen Geld mit), damit gern verbundener Hass auf Wessis sowieso, wo wären wir auch, dass man sich nach drei Jahrzehnten die Mauer aus den Köpfen geschlagen hätte und nicht zu vergessen die ollen Studenten. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Letztlich sind das aber auch alles Dinge, die kommen und gehen, auf und abschwingen, je nachdem wie der kalte Ostseewind gerade weht. Da muss man manchmal (leider) drüberstehen.
Dann gibt es aber so Tage und Momente, in denen man nicht gefragt werden möchte, was denn schon wieder in der Provinz los sei. Zeiten, in denen man sich nicht rechtfertigen und erklären möchte. Zum Beispiel bei zweistelligen Wahlergebnissen der AfD, in einem Bundesland mit nichtmal 4% Ausländerteil aber über 900 rechtsradikalen Straftaten allein 2016. Aber auch das stellt in Deutschland kein Novum dar und überraschte nur die wenigsten.
Hoch die internationale Solidarität (?)
Interessant wird es dann an Tagen, an denen man derartige Ereignisse nicht vorhersieht.
Der 1. Mai wurde zu solch einem Termin. Vom Greifswalder Südbahnhof bewegte sich im Laufe der Mittagszeit eine von der „Defiant Antifa“ angemeldete Demonstration durch die Plattenbauviertel Schönwalde I und II, sowie dann in Richtung Innenstadt. Dabei wurden verschiedenste Sprechhöre gerufen und Redebeiträge vorgelesen. Die Themen drehten sich um Sozialleistungen, Lohn- und Arbeitsgerechtigkeit und sozialen Wohnungsbau bzw. die Wohnungspolitik in der Hansestadt Greifswald. Die ganze Veranstaltung dauerte ungefähr von 11-14 Uhr, also ca. drei Stunden. Beendet wurde die Veranstaltung auf Höhe der Europakreuzung/Mühlentor. Während sich die Teilnehmer der Veranstaltung Richtung Marktplatz entfernten, trafen sie einerseits auf die angemeldete Mahnwache der Bürgerinitiative (BI) „Ernst-Moritz-Arndt bleibt“ und andererseits auf den mehrfach vorbestraften Neonazi und Ex-Greifswalder-NPD-Chef Maik Spiegelmacher. Dieser entrollte mit seinem Begleiter ein Transparent des „Deutschland muss leben e.V.“, einem neonazistischen Hilfsnetzwerk, das in ganz Deutschland aktiv ist. Szene- und (ehemalige) Parteigrößen wie Udo Voigt zeigen sich gerne mit den Mitgliedern und man fordert offen „Freiheit für Ursula Haverbeck“, eine bekennende Holocaustleugnerin.
Eben jener Maik Spiegelmacher geriet nun mit einigen Personen aneinander, die ihm dieses Banner entreißen wollten, was in einem Handgemenge mündete, welches die Polizei zu unterbinden versuchte und dabei beide Lager trennte. Währenddessen sahen sich die Arndt-Befürworter mit den Gegendemonstranten überfordert und es entbrannten hitzige Wortgefechte. So wurden BI-Mahnwachen-Teilnehmer mehr als einmal als Nazis und Antisemiten betitelt.
Das alles führte zur OZ-Überschrift „Antifa Demo trifft auf Arndt-Mahnwache“. Ein Titel, der im vorbeilesen des Artikel den Eindruck erschafft, ein linker Trupp hätte sich aufgemacht, um den Omis und Opis an der Mahnwache den Gar auszumachen. Ist dem so gewesen? Nein. Die kurzzeitige Eskalation der Situation beruhte allein auf der Anwesenheit Spiegelmachers. Nach wenigen Minuten kehrte, bis auf die Sprechchöre, Ruhe ein und viele Menschen diskutierten oder gingen einfach weiter. Die Howard-Carpendale-Fraktion um BI-Gründerin Grit Wuschek war von Übergriffen o.ä. nicht betroffen.
In zweifelhafter Gesellschaft
Interessant ist aber eine andere Frage zu dem Thema: Könnte man nun also von einem Zufall sprechen, dass die linken Demonstranten gleichzeitig auf einen vorbestraften Neonazi und gleichzeitig die Pro Ernst-Moritz-Arndt Kundgebung trafen? Mitnichten, denn Spiegelmacher ist, auch mit dem Logo seines Vereins, kein unbeliebter Gast auf den Veranstaltungen des Bündnisses. Gleiches gilt übrigens auch für lokale Neonazikader wie René H. und Max. B. Letzterer war zufälligerweise auch gestern mit dem Senatsmitglied und Aktivistin der Identitären Bewegung, Franziska Gerbe, vor Ort.
Aber gut, wenn man fair ist, spricht man in dem Fall von einer unübersichtlichen Situation, in der solche Überschneidungen schnell irrtümlich entstehen können. Deswegen hier nochmal ein paar mehr Zufälle der letzten Monate. Sei es Spiegelmacher mit Transparent und später eingereiht, René H. mit rotem Cap mitten in der Demo, Spiegelmacher und Co. mit Transparent bei der Demo und beim Abschlussbild. Ein Schelm, wer da böses denkt.Es gibt keinen Artikel oder Pressebericht der sich mit eben jener Problematik auseinandersetzt. Es fehlt seit Jahr und Tag eine kritische Einordnung der Personen, die die oben genannte Bürgerinitiative betreiben. Ob nun antisemitische Ausfälle, von denen man in den eigenen Kommentarspalten nichts mitbekommen haben will, eine Diskussionskultur unterhalb der Gürtellinie, mit „Karikaturen“ und eine Prangerrede auf dem Marktplatz gegen Bürgerschaftsabgeordnete, die gegen Arndt stimmten.
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt
Wer für diese Rede verantwortlich war? Axel Hochschild, seit Menschen Gedenken lokaler CDU-Hitzkopf. Auch nach den Ereignissen des 1. Mai ließen er und sein Stadtverband es sich nicht nehmen, die Stimmung weiter anzuheizen. Als Ziel hat man sich Bürgerschaftsmitglied und Verantwortliche des Stadtjugendrings, Yvonne Görs, rausgepickt. Diese äußerte sich in besagtem OZ-Artikel auf Nachfrage positiv und war erfreut, dass junge Menschen sich um ihre Zukunft Gedanken machen. Genau hier liegt laut CDU der Skandal:
Wie könne sie denn derartige Dinge, wie z.B. den gewaltsamen Übergriff auf Spiegelmacher und das Anspucken eines Bürgerschaftsmitgliedes der CDU gutheißen und noch öffentlich unterstützen?
Hatte sie das getan? Mitnichten. Befragt wurde sie zum Demogeschehen, dass weit vor den Ereignissen in der Innenstadt stattfand. Die CDU verdreht ihr also bewusst die Worte im Mund, um hier den Umstand zu konstruieren, dass sie sich wohlwollend zu den Vorgängen nach Auflösung der Demo geäußert hätte.
Dem setzt Axel Hochschild dann die Krone auf, indem er zwanghaft versucht, einen Zusammenhang zwischen Demoanmeldung, Yvonne Görs und dem Stadtjugendring herzustellen. Wenn man keinen Skandal hat, muss man einen erfinden. Während Axel Hochschild ja schon länger das politische Fingerspitzengefühl zum Schafott führt, ist es doch erschreckend wie sehr der Stadtverband in diese, bewusst mit Lügen und verdrehten Tatsachen besetzte Argumentation einstimmt. Man schaffte es so, eine dreistündige Demo, mit vielen verschiedenen Themen, auf eine kleine Eskalation am Ende zu reduzieren, um sich so bewusst um die inhaltliche Auseinandersetzung drücken zu können.
Das Fest auf dem Markt hatte sich laut CDU übrigens auch schon im Vorfeld „disqualifiziert“, was Toleranz angeht. Hintergrund: das Bündnis „Greifswald für Alle“, Veranstalter des Festes, lehnte eine Teilnahme der Arndt-Befürworter u.a. aus den oben aufgeführten Gründen ab.
„Hausbesuche bei der Antifa“
Das wäre ja alles ganz lustig, wenn es nicht so brandgefährlich wäre. Die Bürgerinitiative ist sich nicht zu schade, sich mit Neonazis und zweifelhaften Persönlichkeiten zu umgeben. Diese rechte Querfront setzt sich bis weit in die Kommentarspalten des Internets fort. So werden in internen Foren Hausbesuche bei Linken und Antifa gefordert und Kristian Salewski, verantwortlich für die vielen geistreichen und pietätvollen Karikaturen, forderte öffentlich: „Dieses degenerierte Pack schadet dem Ruf unserer Stadt und gehört ausgewiesen“. Im Nächsten Absatz implizierte er dann, dass „die“ ja nichts anderes außer Gewalt als Antwort verstehen. Da fragt man sich, warum die CDU uns vor den Leuten mit „schwarzen Kapuzen und Sonnenbrillen“ warnt, aber nicht vor den Brandstiftern aus den eigenen Reihen?
In Greifswald entsteht, im Schatten dieser Querfront, seit längerem schon eine gesellschaftliche Stimmung, die bewusst von einem wir („die Greifswalder Bürger“) und die („Studenten/Wessis/…“) lebt. Einfach Feindbilder, die uns zeigen sollen wer gut und böse ist. Feindbilder, die aus kritischer Betrachtung und wissenschaftlicher Sorgfalt, „linksgrünversiffte Ideologie“ machen.
Dass aus eben jender Gruppe nun aber der Aufschrei kommt, weil eben jene als Nazis (sie tolerieren Neonazis in ihren Reihen) und Antisemiten (sie verteidigen, abseits jeder Argumente, Arndt und seinen Antisemitismus und spielen diesen runter) betitelt wurden, ist doch reichlich irritierend. „Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus“, wurde mir früher immer gesagt. Wäre vielleicht ja mal eine Überlegung wert, bevor man andere als „faule Studenten“ und „linksgrünversiffte Wessis“ beschimpft und dann verwundert ist, wenn es Widerspruch gibt.
Wir werden die Debatte weiter verfolgen, werden es uns aber auch nicht nehmen lassen mit kritischem Blick zu urteilen. Denn eine gemeinsame Diskussion über den Namen der Univiersität kann es nur auf Augenhöhe geben. Diesen Anspruch hat die BI schon lange aufgegeben und stellt damit eigentlich schon länger keinen ernstzunehmenden Vertreter der Pro-Arndt-Fraktion mehr dar. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die Hexenjagd weiter geht oder ob alle Beteiligten doch nooch was aus den Ereignissen lernen.
Eine letzte Anmerkung:
Diese Aufarbeitung der lokalen Situation war lange überfällig und sollte eigentlich in die Hände bezahlter Journalisten fallen. Wenn diese jedoch die Teilnehmerzahl einer Demo anscheinend nach deren Auflösung zählen und ansonsten auch jegliche kritische Distanz zu den geistigen Brandstiftern unserer Gesellschaft, ob kleine BI oder große AfD, vermissen lassen, stellt sich die Frage, von wo eine objektiv-kritische Berichterstattung letztlich kommen soll?
Wir hätten die Ostesee Zeitung gerne positiv zitiert, wenn dies möglich gewesen wäre.
EDIT: Im ursprünglichen Artikel nahmen wir in der Anmerkung den Nordkurier mit in die Aufzählung. Als regionaler Nachrichtenlieferant für die südliche Region Vorpommerns, der Uckermark und Brandenburgs, kann man der Zeitung keinen Strick daraus drehen, wenn sie nicht jede Provinzposse genau beleuchten, insbesondere außerhalb ihres geografischen Schwerpunktes.
© Titelbild: Strassentalk (https://www.flickr.com/photos/strassentalk/) Alle Rechte vorbehalten
Bearbeitung: webmoritz
„Das Fest auf dem Markt hatte sich laut CDU übrigens auch schon im Vorfeld „disqualifiziert“, was Toleranz angeht. Hintergrund: das Bündnis „Greifswald für Alle“, Veranstalter des Festes, lehnte eine Teilnahme der Arndt-Befürworter u.a. aus den oben aufgeführten Gründen ab.“
Wirklich witzige Konstellation: Axel Hochschild, der höchstpersönlich für seine Prangerrede auf dem Marktplatz (https://blog.17vier.de/2017/03/06/axel-hochschild-greifswald/) verantwortlich ist, spricht dem Fest von GfA die Legitimation ab, weil die Arndt BI u.a. aufgrund seiner Prangerrede ausgeladen wurde.
Die BI wurde nicht ausgeladen. Die BI wurde gar nicht eingeladen. Frau Wuschek hat öffentlichkeitswirksam um eine Teilnahme am Fest gebettelt.
Dasz sich die BI nicht mit einem Stand am Fest beteiligen durfte, wurde nicht aus-schlieszlich an der Prangerrede Axels festgemacht. Äuszerungen und deren Duldung aus den Reihen der BI fuehrten ebenfalls zu der Entscheidung. Dieses kann in der ausführlichen Begründung eines Antwortschreibens auch nachgelesen werden. Wenn man moechte.
Danke für den ausführlichen Kommentar. Langsam wird aus der Provinzposse ein Trauerspiel – besonders die CDU zeichnet sich durch populistischen Opportunismus und bewusst gestreute Fehlinformationen aus.
Das Spiel der OZ habe ich noch nicht ganz verstanden, aber um seriösen Journalismus kann es sich nicht handeln und bei Frau Wuschek spare ich mir den Kommentar.
Unser Offener Brief an den CDU-Stadtverband Greifswald: https://www.facebook.com/sjrgreifswald/posts/1826965094266213
Hab leider keinen Autorennamen gefunden, daher auf diesem Weg: Lieber webMoritz lass uns doch mal drüber reden, wie objektiv-kritischer Journalismus funktioniert, wie er noch objektiver und noch kritischer werden kann, was genau ihr euch von „bezahlten Journalisten“ erwartet und warum ihr eigentlich die Erwartungshaltung hegt, dass die „lokale Situation“ von Redaktionen aufgearbeitet wird, die 40 Kilometer weit weg sitzen. Viele Grüße aus Anklam
Maik S. würde auf dem Kunturfest ebenfalls gesichtet. Auf Facebook sind Bilder von ihm zu sehen, wie er in seiner dml-Hose über das Fest spaziert. Warum berichtet der webmoritz nicht davon? Warum schreibt der webmoritz keinen Artikel zu der Vergangeheit eines Senatsmitglieds, das Kontakte zu Rechtsextremen pflegte und sich bei der lokalen Antifa engagierte? Daran scheint sich der webmoritz nicht zu trauen.
Ach Herr Emil. Für Sie und für Frau Wuschek, die ebenfalls seit Tagen versucht, dem Kulturfest rechtsextreme Nähe anzudichten:
Ja Herr Spiegelmacher liesz sich auf dem Fest sehen und wurde gewaltfrei von freundlichen TeilnehmerInnen des Bündniszes Greifswald für alle, vom Platz geleitet.
Weil es bekannt ist, welche Vergangenheit maik s.
Du musst nur mal bei Google seinen Namen eingeben und du bist sehr erfolgreich 😉
Leider wird in lokalen Medien oftmals (nicht immer) den Leserinnen und Lesern entsprechend geschrieben. Was nicht heisst, dass es schlecht ist. Was aber schon heisst, dass es auf eine bestimmte Leserschaft ausgerichtet ist, die monatlich in einem Abo oder täglich einen Groschen dafür abwirft. Noch dazu braucht man in der Onlineredaktion möglichst viele Klicks, weshalb man zu den üblichen Themen, die (leider) niemals in Vorpommern enden, immer wieder thematisiert. Es hat schon Gründe, warum besonders junge CDU-Politiker oder alternative Parteien einen „Aufschwung“ bekommen haben. Wenn ich mir da Jürgen M.’s „Artikel“ durchlese, weiß ich, dass das auch ein hausgemachtes Problem ist,welches man nicht mit irgendeiner örtlichen Distanz zum Thema/Geschehen erklären sollte.