In Deutschland leben etwa 20 Prozent aller minderjährigen Kinder in Familien, bei denen Mutter oder Vater alleinerziehend sind. Das macht 1,6 Millionen alleinerziehende Eltern (Statistisches Bundesamt, 2010). Nur jeder zehnte davon ist männlich.
„Papaaa, ich muss mal Kaka“, ertönt es kurz nachdem ich die Familienwohnung der Universität betreten habe. Mamas müssen heute leider draußen bleiben. Dieser Nachmittag ist einzig und allein alleinerziehenden Vätern gewidmet. Seit etwa zweieinhalb Jahren gibt es die Familienwohnung schon. Regelmäßig finden dort Veranstaltungen für Studierende mit Kindern und Eltern aus der Mitarbeiterschaft der Uni statt. Zwei Räume, eine kleine Küche und ein kindergerechtes Bad bieten beste Voraussetzungen dafür. Als ich den Raum betrete, ist der Boden bereits mit Duplo-Steinen gesät, zwei Kinder bauen munter an einem Zoo und auch die gemütliche Kuschelecke springt mir sofort ins Auge. Langsam taste ich mich heran und bin verwundert über das mannigfaltige Duplo-Sortiment, das es zu meiner Zeit definitiv noch nicht gab.
Ich komme schließlich ins Gespräch mit Martin*. Der zweiunddreißigjährige Lehramtsstudent hat seine Kinder heute nicht mitgebracht. „Meine Große ist schon zwölf und beim Training“, verkündet er und auch sein acht Jahre alter Sohn ist gerade anderweitig versorgt. Martin ist sehr offen und schon bald stecken wir tief in der Story, die ihn – zumindest auf dem Papier – zum alleinerziehenden Vater machte. Schon mit 20, während seiner Zeit bei der Bundeswehr, ist er zum ersten Mal Vater geworden. Von seiner Seite aus ungewollt, bei seiner Ex-Frau ist er sich da mittlerweile nicht mehr so sicher. Schon früh traten Probleme in der Beziehung auf, aber nicht zuletzt wegen des gemeinsamen Kindes blieben die beiden zusammen. Seine Freundin wurde ein zweites Mal schwanger. Bei Untersuchungen zeigte sich, der ungeborene Sohn Tim* würde mit einem Geburtsfehler das Licht der Welt erblicken. Weil nicht sicher war, ob er es überhaupt schaffen würde, heiratete Martin seine Freundin schließlich. „Ich wollte, dass im Falle des Falles mein Name auf dem Grabstein steht“, erzählt er mir. Nach der Geburt brach eine schwere Zeit über die junge Familie herein.
„Er ist dem Tod mehr als einmal von der Klinge gesprungen.“
Tim schaffte es schließlich und ist heute wohlauf. Martins Ex-Frau brach irgendwann ihr Studium ab und machte eine Ausbildung – und er begann sein Lehramtsstudium. Trotz zweier gemeinsamer Kinder hielt die Beziehung den Spannungen irgendwann nicht mehr Stand, die beiden trennten sich. „Das ist jetzt sechs oder sieben Jahre her“, berichtet mir Martin. Es entfachte ein Rosenkrieg, die Mutter hätte Martin am liebsten den Kontakt zu den Kindern untersagt. Aber das konnte sie nicht, Martin war und ist rechtlich der Vater seiner Kinder. „Sogar die Geburtsurkunde meiner unehelich geborenen Tochter wurde nach unserer Hochzeit umgeändert. Es ist, als hätte sie nie einen anderen Nachnamen gehabt“, meint Martin mit ein wenig Stolz. Schon bald nach der Trennung war Martin wieder in einer neuen Beziehung, die bis heute anhält. Seine neue Freundin ist wie eine Mutter für die Kinder. „Meine Tochter Emma*, die eh schon immer eher ein Papa-Kind war, sagt zu ihr sogar ‚Mama‘. Ihre leibliche Mutter ist für sie einfach ‚Claudia‘*“, berichtet Martin. Seit etwa einem Jahr wohnt Emma sogar bei ihm und seiner Freundin. Sie habe sich bei der Mutter, die Martins Aussagen zufolge viel mehr mit ihren eigenen Hobbies beschäftigt ist, nicht mehr wohlgefühlt. Tim wohnt noch bei ihr, ist aber alle zwei Wochenenden bei ihm. „Wir haben uns eine ruhige 4-Zimmer-Wohnung in Schönwalde genommen. Da hat jedes Kind sogar sein eigenes Zimmer“, erzählt Martin mir „Alle tun immer so, als sei das der ‚Gaza-Streifen Greifswalds‘. Mir gefällt es dort ganz gut“, schmunzelt er.
Ich frage mich, wie viele alleinerziehende Väter im Spagat zwischen Kind und Uni es wohl in Greifswald gibt und erkundige mich. Der anwesende Erzieher Till, der auch in der Notfall- und Randzeitenbetreuung der Familienwohnung tätig ist, berichtet mir: „Ich kenne drei oder vier. Aber die Dunkelziffer ist viel höher. Ich schätze es gibt circa 50 bis 60 alleinerziehende studierende Männer hier an der Uni.“ Damit hätte ich nicht gerechnet. Alleinerziehende Väter sind eben immer noch ein etwas ungewöhnliches Familienmodell.
Ich erkundige mich schließlich bei Martin, welche Herausforderungen ihm schon so begegnet sind, ob er sich beispielsweise schon einmal in der misslichen Lage wiederfand, seiner Tochter die Fingernägel lackieren zu müssen. „Das nicht“, meint er, „aber vor kurzem hatte sie ihre ersten Regelblutung und rief mich ganz aufgeregt an. Erst wollte sie am Telefon nicht mit der Sprache rausrücken, dann verstand ich aber, was los war. Ich war perplex und wusste im ersten Moment nicht, was zu tun ist. Schließlich habe ich ein Handtuch auf den Autositz gelegt und bin losgedüst. Als Mann weiß man ja nicht, wie stark sowas ist“, grinst er, „zu Hause hat meine Freundin ihr dann alles rund um das Thema erzählt, da war ich echt froh. Irgendwie bin ich eben doch ‚nur‘ auf dem Papier alleinerziehend.“
4-Zimmer-Wohnung, zwei Kinder, Studium, Ausbildung…
Ich überschlage das in meinem Kopf und komme zu dem Entschluss, dass das wohl keine finanziell einfache Situation sein kann und will von Martin wissen, wie er das hinbekommt. „Zum Glück unterstützen uns meine Eltern. Da bin ich auch sehr dankbar drüber. Ich hatte schon ein paar Nebenjobs, zum Beispiel habe ich mal eine Zeit lang im Callcenter gejobbt, das war aufgrund der Arbeitszeiten ganz praktisch. Meine Eltern wollen jetzt aber lieber, dass ich mit dem Studium fertig werde, deswegen helfen sie aus. BAföG bekäme ich ohnehin nicht.“ Auf meine Nachfrage, ob es in Fällen wie seinem auch staatliche Unterstützung gäbe, teilt mir Martin mit, dass er auch Wohngeld erhalte. „Außerdem haben meine Ex und ich jeweils Unterhaltsvorschuss beantragt. Sie für unseren Sohn und ich für unsere Tochter“, ergänzt er. „Etwas problematisch ist allerdings, dass das nicht mehr lange so funktioniert. Der Unterhaltsvorschuss wird nur bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres, beziehungsweise maximal sechs Jahre gewährt.“
Der Unterhaltsvorschuss ist eine soziale Leistung für Kinder unter zwölf Jahren, die deren alleinerziehende Mütter oder Väter beim Jugendamt beantragen können, „wenn der andere Elternteil keinen oder einen unterhalb des Unterhaltsvorschusssatzes liegenden Unterhaltsbeitrag leistet, also nach Einberechnungen des Kindergeldes der Mindestunterhalt nicht gesichert ist“. (Quelle: wikipedia.de) Der Unterhaltsvorschuss kann gegebenenfalls von dem anderen Elternteil zurückgefordert werden, wenn dieses leistungsfähig ist oder war.
Daneben mache er für seine Tochter vom sogenannten „Bildungs- und Teilhabepaket“ Gebrauch. „Das stellt auch eine Erleichterung für uns dar. Zum Beispiel muss ich pro Mahlzeit in der Schule so nur noch einen Euro bezahlen. Außerdem gibt es pro Monat zehn Euro für einen Sport- oder Musikkurs und die Schul-Skifahrt meiner Tochter neulich wurde auch zu großen Teilen übernommen. Das hätte ich mir sonst schwerlich leisten können.“
Auf die Frage, wie gut er in dieser Gesamtsituation mit seinem Studium vorankomme, räumt Martin ein, dass er sich zwar nicht mehr innerhalb der Regelstudienzeit befände, aber voraussichtlich im kommenden Jahr fertig werde. Ich frage ihn, wie er das allgemein mit der Erziehung unter einen Hut hat bringen können. Er berichtet, dass das ganz gut geklappt hätte. Die Zeiten, zu denen er Vorlesungen gehabt habe, hätten im Großen und Ganzen so gelegen, dass seine Kinder in Schule oder Kindergarten gewesen wären. Nachmittags habe er dann Zeit für sie gehabt. „Ich hoffe sehr, dass es dann nächstes Jahr mit einer Referendariatsstelle in der Nähe klappt. 30 Kilometer Umkreis wären kein Problem, ich
habe ja ein Auto“, aber seine Kinder aus dem gewohnten Umfeld herausreißen käme für ihn auch nicht in Betracht, versichert Martin, „zumal meine Ex das ‚erlauben‘ müsste. Schließlich haben wir ein geteiltes Sorgerecht. Da kann ich nicht einfach meine Kinder nehmen und abhauen.“ Bei Sebastian*, dem anderen anwesenden alleinerziehenden Vater, mit dem Martin sich vorher unterhalten hat, sei das anders: „Der hat das alleinige Sorgerecht.“
So schön es auch sein mag, Vater oder Mutter zu sein, stelle ich mir die Frage, wie es mit den eigenen Interessen aussieht. Martin kommt mir zwar sehr glücklich in seiner Vaterrolle vor, mehrmals hat er mir während unseres bisherigen Gespräches schon stolz Fotos von „seinen beiden“ gezeigt, aber bei den eigenen Hobbies muss man wohl schon einbüßen, denke ich mir. Martin berichtet von einer kürzlich aufgetretenen Situation: „Meine Freundin und ich wollte mal wieder abends ins Kino gehen. Das ging gar nicht. Wir waren noch nicht lange da, da klingelte das Telefon und meine Tochter fragte, wann wir denn wieder nach Hause kämen, sie fürchtete sich alleine. Oder: Eigentlich gehen wir auch mal ganz gerne in den Studentenclub Kiste, gleich nebenan und trinken ein Bier, oder mehrere. Aber das geht auch nicht so einfach. Man will dann ja auch nicht nach Hause kommen und seinem Kind im betrunkenen Zustand begegnen, falls es aufwacht.“
Ich möchte von Martin schließlich wissen, ob er gemeinsam mit seiner neuen Freundin noch weitere Kinder plant. „Wir wollen auf jeden Fall. Wer erstmal zwei Kinder hat, wird eh nicht mehr reich“, zwinkert er, „aber uns ist beiden klar, dass wir erstmal mit Ausbildung und Studium fertig werden und im Beruf ankommen wollen. Dann sehr gerne. Ich bereue das auch überhaupt nicht, dass ich schon so früh Vater geworden bin. Ich habe einfach nur die richtigen Kinder mit der falschen Frau bekommen.“ Ganz zuletzt kommen wir noch einmal auf die Frage über die Situation zur moralischen Unterstützung alleinerziehender Väter zu sprechen.
„Ich fühle mich oft nicht richtig ernst genommen“,
beklagt sich Martin, „bei den Ämtern zum Beispiel. Meine Ex geht da einmal hin und dann wird die Sache geregelt. Wenn ich was will, werde ich ständig hin und her geschickt oder muss nochmal antanzen. Ein anderes Beispiel: Neulich wollte ich meine Tochter ummelden. Da wird man als Vater schräg angesehen. Das ist für die einfach nicht normal, dass ein Vater seine Tochter ummeldet. Ich musste die Einverständniserklärung meiner Ex einholen. Bei Müttern fragen die nicht mal danach.“ Ich erkundige mich bei Martin, ob es denn seitens des Jugendamtes oder anderer Stellen Unterstützungsangebote, was rechtliche oder logistische Fragen oder einfach schwierige Alltagssituationen anbelangt, gibt. „Das Jugendamt hat diesbezüglich mittlerweile allerlei Verantwortung an die Caritas abgegeben. Aber von denen bin ich auch nicht gerade begeistert. Eine Mitarbeiterin von denen hat mal Informationen an meine Ex weitergegeben. Daraufhin habe ich mich beschwert. Die Dame arbeitet jetzt nicht mehr dort.“
Nach dem einstündigen Gespräch bin ich ziemlich beeindruckt. Beeindruckt von den vielen schwierigen Situationen, mit denen Martin schon fertig werden musste und den Herausforderungen, die ihn noch erwarten. Unvorstellbar für mich der Gedanke, jetzt schon ein dreijähriges Kind und die damit verbundene Verantwortung und Verpflichtung zu haben.
* Anm. d. Red.: Namen geändert
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