von Lorenz Lang

Was passiert, wenn man sechsjährige Kinder vor die Wahl stellt zwischen einem Marshmallow sofort oder zwei Marshmallows nach einer kurzen Wartezeit? Diese Frage stellte sich der heute weltberühmte Psychologe Walter Mischel in den Sechzigerjahren.

Nicht nur die Ergebnisse dieses Experimentes, das als „Marshmallow Test“ auf beispielsloses mediales Interesse weit über die gewöhnlichen Sphären der wissenschaftlichen Arbeit hinaus stieß, sind verblüffend, sondern auch die immense Weiterentwicklung des Verständnisses um das menschliche Verhalten das es ermöglichte.

Walter Mischel, 1930 in Wien geboren, musste im Alter von 8 Jahren mit seiner Familie aus Nazideutschland fliehen. Er war zu diesem Zeitpunkt also etwas älter als die Kinder, die Mischel 25 Jahre später als Dozent an der Stanford University dem Marshmallow Test unterzieht. Mischel will die menschliche Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Belohnungsaufschub erforschen, vor allem welche Auswirkungen sich durch die stark oder weniger stark ausgeprägte Befähigung hierzu für das spätere Leben der Kinder ergeben.

Selbstkontrolle und Erfolg

Den Kindern, denen es gelingt durch verschiedenste Ablenkungsstrategien beide Marshmallows zu ergattern, sind im späteren Leben wesentlich erfolgreicher und glücklicher als diejenigen, die ihre Ungeduld nicht bezähmen können und sofort zuschlagen. Ausgehend von diesem ersten Experiment, das von Mischel anschaulich und unterhaltsam aufbereitet wird, beschäftigt sich „Der Marshmallow Test“ facettenreich mit der Frage, wie die anscheinend so wichtige Fähigkeit zur Selbstkontrolle erlernbar ist.

Eine Grundidee die sich als roter Faden durch das Buch zieht sind Mischels Forschungen bezüglich des „heißen“ und des „kalten“ Wahrnehmungssystems des Menschen. Die Kinder, die es nicht schafften abzuwarten, konzentrierten sich auf die „heißen“ Eigenschaften des Marshmallows beispielsweise dessen Geschmack. Mischel fand heraus, dass es sofern die Kinder angeregt wurden, die kühlen Eigenschaften des Marshmallows, so wie dessen gegenständliche Beschaffenheit in den Vordergrund zu stellen oder sich das Marshmallow als Bild vorzustellen, es ihnen gelang, erheblich länger zu warten. Ausgehend von diesen Beobachtungen entwickelt und testet Mischel Techniken, die Selbstkontrolle erlernbar machen sollen.

Kein Aufruf zur Selbstkasteiung

Mischels Darstellung faszinierender psychologischer Erkenntnisse, aus denen konkret nachvollziehbare Methoden der Förderung der Selbstkontrolle abgeleitet werden, macht den besonderen Reiz dieses Sachbuches aus. Ohne dass naturwissenschaftliche Vorkenntnisse von Nöten sind, vermittelt Mischel Wissen, das Verhaltensforschung, Genetik und Psychologie umfasst. Darüber hinaus mag der ein oder andere Erkenntnisse über sein eigenes Verhalten oder seine Mitmenschen erlangen.

„Die größte Herausforderung für uns alle – nicht nur für Kinder – besteht wohl darin, dass wir herausfinden müssen, wann wir auf weitere Marshmallows warten und wann wir die Glocke läuten und sie einfach genießen sollten.“

Wer befürchtet, es handele sich bei dem Buch um einen 350 Seiten langen Aufruf zur Selbstkasteiung, kann also beruhigt werden.

 

Buchtitel: Der Marshmallow Test
Autor: Walter Mischel
Verlag: Siedler Verlag
Seitenanzahl: 350 Seiten

Bildquelle: habitgym.de