Kürzlich habe ich mir den Film „Poor Things“ von Yorgos Lanthimos angesehen. Ich kann leider nicht behaupten, dass ich mit allen Filmen dieses Griechen vertraut bin, aber „The Lobster“ und „The Killing of a Sacred Deer“ waren mir zu dem Moment bereits bekannt.
Ich muss zugeben, dass ich auf diesen Film gewartet habe seit ich den Trailer zum ersten Mal gesehen habe. Die Anwesenheit von Schauspielern wie Emma Stone und Willem Dafoe hat meiner Vorstellung nach den Erfolg dieses Films praktisch im Voraus garantiert. Kleiner Spoiler: Meine Erwartungen an den Film wurden erfüllt.
Was passiert?
Die Handlung des Films basiert auf einem Buch von Alasdair Gray. Bereits zu Beginn des Films werden die Zuschauenden mit dem neurodivergenten Prototypen von Frankenstein – Bella Baxter in einem weißen Nachthemd – bekannt gemacht, begleitet von einer quasi Kinderschwester und unrealistischen gekreuzten Tieren in einem großen Haus, das halb Wohnhaus, halb Versuchslabor ist. Neben den Tieren wird sie auch von einem Medizinassistenten namens Max McCandles begleitet, der Protokoll über ihren täglichen Fortschritt führen soll. Jedoch stellt der Junge ständig Fragen über Bellas Herkunft aufgrund ihres abnormen Daseins. Nicht unwichtig ist die Figur ihres Patrons Dr. Godwin Baxter, dem das Haus gehört und der Max engagiert hat, um sich um Bella zu kümmern. Man könnte natürlich viel über die Handlung erzählen, aber ich möchte hier darauf eingehen was mich an dem Film so angesprochen hat.
Eine deutliche Tendenz ist im Film zu erkennen. Gleich zu Beginn ist der Film schwarz-weiß und einige Szenen werden gelegentlich entweder durch Fischaugenoptik oder blutendes Bokeh gezeigt, als ob man sich in einem Traum befände.
Auch das Aussehen der Hauptcharaktere, die in dem Haus leben, ist eigenartig. Bella trägt täglich neue Outfits, die weder barock noch modern sind (manchmal sogar kinky). Dr. Godwin Baxter ist normal gekleidet, aber sein Gesicht ist schwer als „gewöhnlich“ zu bezeichnen. Die vielen unförmigen Narben könnten sogar ein leicht gruseliges Gefühl vermitteln bevor man sich daran gewöhnt. Während des Essens wird deutlich, dass sein Körper nicht nur äußerlich „komisch“ ist, sondern auch seine Essgewohnheiten und seine Gesundheit allgemein. Bella nennt ihn „God“, was die Dissonanz verstärkt und die Konzepte von Schönheit und Gut/Böse gut hervorhebt. Später erwähnt „God“ die Kastration, die sein Vater bei ihm vorgenommen hat. Diese Erfahrung nach Freuds psychoanalytischer Theorie könnte zu seiner emotionalen Distanzierung geführt haben, da er versucht sich vor emotionalen Verletzungen zu schützen, indem er seine eigenen Emotionen unterdrückt. Dies wiederum könnte erklären warum er immer versucht Bella wie ein Versuchskaninchen zu behandeln, was letztendlich eine Herausforderung für ihn darstellt. Ähnlich wie die Nietzsche’sche Debatte darüber, ob Gott böse ist, weil er Leiden zulässt oder weil er die Menschen kontrolliert.
Die Darstellung eines Traums ist nicht zufällig, da seine Wahrnehmung kindlich ist und gut zeigt wie Kinder die Dinge durch ihre Gefühle betrachten.
Im Vergleich dazu sind die Menschen aus der äußeren Welt nur kleine Zeichnungen, die hinter der Haustür der normalen Welt existieren. Man könnte sich natürlich fragen, ob Dr. Baxter später aus diesem Grund mit Max einen Vertrag abschließt, um ihn länger in diesem „Wunderland“ wie Alice zu halten.
Als der Anwalt, der den Vertrag abschließt – Duncan Wedderburn – auftaucht, beginnt für Bella eine neue Phase ihres Lebens, die den Film plötzlich mit Farben erfüllt. Dies wird dadurch bestimmt, dass sie anfängt die Pubertät zu erleben, was aber ironischerweise durch übermäßiges „Fortpflanzungsbegehren“ revolutioniert wird. Außerdem zeigt sie sich ganz pubertär, indem sie Fernweh verspürt und trotz aller Redflags sich selbst und die Welt entdeckt und sich auf eine Reise begibt, unterstützt vom Frauenheld Duncan Wedderburn.
Genau wie Bellas Kleidung demonstriert auch die Umgebung ihre innere Metamorphose. Jedes Reiseziel wird originell und ungewöhnlich präsentiert. Man bemerkt viele surrealistische und Steampunk-Elemente, die die Landschaften erfüllen. Trotz Bellas einfacher Sprechweise teilt sie sehr tiefgründige Gedanken zu vielen Themen über soziale zwischenmenschliche Beziehungen. Diese Entwicklung wirft Fragen auf über Liebe und Ethik sowie Männlichkeit auf, was man anhand von Duncans anständigem Kampf, wie in Tanzszenen, sowie wörtlich gegen alle und gegen Bella selbst, wegen ihrer Liebe und Anerkennung, gut ablesen kann. Dies ist wieder ein ironisches Kontrastspiel das zeigt wie „eine starke Figur“ versucht ihr empfindliches Inneres durch Dominanzschichten zu verbergen. Neben der sehr förmlichen Hauptlinie des Plots zeigt „Poor Things“ auch die Bedeutung von Frauen in der Gesellschaft, was ähnlich in der neuen Barbie-Erscheinung erwähnt wurde, auf.
Was kann ich abschließend sagen?
Der Film lohnt sich nicht nur, weil er spannend und unterhaltsam ist, wenn man die Entwicklung der Hauptfigur betrachtet, ähnlich wie in „Flowers for Algernon“ von Daniel Keyes oder „Heart of a Dog“ von Mikhail Bulgakov, sondern auch, weil er wichtige Gedanken zum Nachdenken anregt. Auf jeden Fall ist der Film für mich zu einem meiner Lieblingsfilme geworden.
Beitragsbild: Wendy Scofield auf Unsplash