Ich war früher nie gut in Kunst. Habe schlechte Noten und enttäuschte Blicke gesammelt, mit Anderen und über meine eigenen Schöpfungen geschmunzelt, gelächelt, gelacht. Ich war nie ein Künstler: einfach nicht geboren zum Malen, einfach nicht kreativ oder vielleicht auch einfach plump ungeschickt – vermutlich bin ich es immer noch nicht, will mich jedenfalls nicht so nennen. Bezeichnungen haben etwas vom Durchschnitt Losgelöstes – ich bin „Künstler“ sagt: ich bin kein „Mensch“ – jedenfalls kein einfacher.

Wer Kunst im schulischen Rahmen erlebt, wird selten ihre liebevollen Seiten kennenlernen. Der bittere Geschmack anstehender Benotung und drohender Mittelmäßigkeit begleitet hier jeden Pinselstrich. Deadlines, konkrete Aufgaben und Kriterien lehren keinen gesunden Umgang mit Kunst. Muss ich ein Selbstportrait malen (dabei haben mich abstrakte Bewegungen mehr angesprochen), ist Kreation Arbeit – und Arbeit weiche ich aus. Unterricht lehrt ein Konsumverhältnis zur Kunst, einen Handelswert. Aber wie viele Hobby-Künstler verkaufen schon zielstrebig ihre Gemälde? Und wie viele beginnen ihre Reise mit dieser Intention?

Was ist Kunst?

Kunst nimmt ihren Anfang alltäglich, ohne diese sein zu wollen. Wer gerne telefoniert, oder noch lieber in Lern- und Lauschsituationen abschweift, sich mit dem Kugelschreiber am Rand des Papiers statt dem Anschluss des letzten Buchstaben verirrt, findet auch ohne großartige Ausbildung oder Sinn zum Entstehenden eine Aktivität im Malen – eine Beschäftigung. Der Bleistift am Blockrand ist Kaugummi fürs Gehirn. Das Entstehende ist meist nebulös, kein konkretes Werk, hat keinen Bedarf aufgehangen zu werden. Es wird weggeschmissen, verliert sich unter zahlreichen Blättern und Bleistiftstrichen. Ihre Wertlosigkeit aber macht aus der Kunst plötzlich etwas leichtfälliges – sie hat keinen Anspruch, keine Forderung – und reiht sich Beschäftigungen wie dem Singen im Auto, Tippen der Füße oder Selbstgesprächen ein. Kleine Beschäftigungen – „low effort“ – die den Geist entlasten.

Nimmt ein Mensch sich vor, eine Kurzgeschichte zu verfassen – oder sogar einen Roman – ist der Weg im Gegensatz unübersichtlich steinig. Wie fange ich an? Wo will ich hin? Klingt der Satz gut? Ist das holprig, unschön, unverständlich? Wie heißt mein Charakter? Was treibt ihn an? Was ist Moral, Lehre? Zu große Ideen bringe ich selten umrissen aufs Papier, und noch seltener werden sie fertiggestellt. Ein Tagebuch auf der anderen Seite kann wohl jeder schreiben. Es geht um das eigene Leben – Geschichten hat der Mensch, wie auch visuelle Eindrücke, in seinem Alltag schließlich genug. Es geht um das Niederschreiben, die Handhabung von Stift und Herz – kaum jemand achtet, zurecht, auf Artikulation und rhetorische Figuren. Wer Tagebuch schreibt, schreibt zum Verarbeiten, vom Tag, für sich, schreibt fürs Schreiben. Ich muss es nicht wieder lesen, kann verrotten lassen oder wegschmeißen. Ich kann es verachten und vergessen. Das Buch hat seinen Job getan – seine Berufung erfüllt.

Malen im Rückenwind

Zuhause versuche ich mir einen Teil der Magie des Vorlesungs- oder Telefonatmalens anzueignen und vom Tagebuch zu lernen. Fühle ich mich danach, will ich mich ausdrücken oder einfach etwas tun, wähle ich ein paar halbwegs passende Farben aus, nehme die Leinwand und trage Paste auf, wo ich es gerade fühle. Hier ein Klecks, ein Strich, ein Ast – dann kratz ich es ab, starte neu, verstreiche das Meiste, mische ungezielt, ein Strich, ein Bogen, ein Kreis – ein Berg? – ein Abkratzen. Ich dreh mich weg, sehe Gesichter, starte neu – stehe auf und greife weitere Farben. Entdecke ich auf meiner Leinwand etwas, das ins Auge sticht, arbeite ich es heraus – erweitere das Feature, oder strecke es unter neuen Pigmenten nieder. Aufhören tue ich, sobald ich keine Lust mehr habe. Ohne den Druck, dass etwas bestehen soll, meine investierte Zeit anderen zur Bewertung offenliegt, wird man entspannter – traut sich mehr, trägt Emotionen dick auf – und erschafft manchmal etwas umso Schöneres.

Genau so will ich malen: für den Moment, für das jetzt, für mich. Sich voller Optimismus von Erwartungen zu lösen, keine Ansprüche zu setzen, lässt sich mit Kunst lernen – und auf das Leben anwenden. Ein wenig Übung kann dementsprechend nie schaden.

Also lebt euch aus: Malt Tagebücher und schreibt Bilder.


Beitragsbilder: Florin Strehle