Einen Bernstein wollen sicherlich viele einmal am Ostseestrand finden. Wenn man besonders Glück hat, sind im Stein sogar Insekten eingeschlossen. Dass solche Funde nicht nur schön, sondern auch wissenschaftlich interessant sind, zeigt die Greifswalder Forscherin Christine Kiesmüller.
Besonders groß ist der Bernstein nicht, den Christine unter dem Kamera-Aufbau platziert. Aber im versteinerten Harztropfen sind die Überreste von Leben konserviert. Die verstorbenen Insekten geben Hinweise darauf, welche Lebewesen die Erde einst bevölkerten und wie diese sich im Ökosystem verhielten. In einer ihrer letzten Publikationen hat die Forscherin einen Bernstein untersucht, in dem eine Wespe eine Käferlarve sticht. Eine 100 Millionen Jahre alte Momentaufnahme.
Die Wespe im Bernstein konnte Christine als Plattwespe bestimmen. Diese Familie von Hautflüglern ist etwa 150 Millionen Jahre alt und existiert heute noch. Die etwa drei Millimeter großen Insekten leben parasitisch. Das heißt, sie sind auf andere Organismen, die Wirte, angewiesen, um ihre Ernährung zu sichern. Dabei geht die Wespe nicht unbedingt sanft mit ihren Wirten um. Die Käfer- oder Schmetterlingslarven, auf die es die Wespe abgesehen hat, werden erst gestochen und damit paralysiert. Die Larve wird also handlungsunfähig gemacht, aber nicht getötet. Dann werden die Wespeneier auf ihrer Haut abgelegt. Manchmal wird dabei auch noch ein bisschen Haut abgeknabbert. So fällt es den kleinen Wespen leichter, sich nach dem Schlüpfen von der Wirtslarve zu ernähren. Diese stirbt dann erst, wenn sich die kleinen Wespen verpuppen. Der ganze Prozess dauert je nach Art ungefähr zwei Wochen bis zwei Monate.
Ob der Käferlarve vielleicht sogar Leid erspart wurde, indem sie im Bernstein gestorben ist, kann heute niemand mehr sagen. Denn wie es die Doktorandin formuliert: „Wir können aus dem Fossil nur eine Ahnung bekommen, wie das Verhalten der damaligen Lebewesen war.“ Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass im Fossil der paralysierende Stich konserviert wurde, wie wir ihn bei heutigen Plattwespen beobachten können. Der untersuchte Bernstein selbst kommt nicht vom Ostseestrand, sondern aus Myanmar. Ein privater Sammler hat das seltene Stück der Arbeitsgruppe zur Verfügung gestellt.
Die Methode, mit der Christine forscht, nennt sich Makrofotografie. Dabei werden mehrere Fotos des Bernsteins mit verschiedenen Fokusebenen gemacht und diese dann zusammengesetzt. Im Endergebnis hat man ein umfassend scharfes Foto des Stückes. Mit ihrer Erfahrung kann die Biologin daraus bestimmen, um welche Insekten es sich handelt und welches Verhalten vermutlich konserviert wurde. Erfahrung hat Christine viel. Bereits während ihres Bachelorstudiums in München hat sie die Begeisterung für Insekten gepackt. Diese hat sie bis heute nicht losgelassen. „In der Paläontologie bin ich eher Quereinsteigerin“, sagt sie rückblickend. Als Biologin ist sie sich auch der Bedeutung der heutigen Insekten bewusst. Sie würde sich für die Zukunft mehr Aufmerksamkeit für die kleinen Krabbeltiere wünschen. Immerhin gibt es davon viel mehr Arten als beispielsweise bei den Säugetieren. Für ihre eigene Zukunft wünscht sie sich, weiter wissenschaftlich arbeiten zu können. Gern auch weiter mit Bernsteinen.
Beitragsbilder: Lilly Biedermann, Christine Kiesmüller