Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns (meistens) sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.

Eine Online-Sitzung läuft. Ich müsste eigentlich zuhören, bin aber am Festnetztelefon und sitze gleichzeitig vor Zahlentabellen, die wir besprechen müssen. Ich wechsle kurz die Fenster zu BBB für eine Wortmeldung, in dem Moment klingelt mein Handy, durch die Synchronisation klingelt auch mein Laptop – mein Mikro ist noch an, ich kann die Antwort noch nicht mal verstehen, die Teekanne äußert quietschenden Protest, beim Festnetztelefon geht der Akku leer und piept jetzt ernsthaft auch noch alle paar Sekunden, aufladen geht aber gerade nicht. Mein Laptop ist ebenso überfordert wie ich und fängt an zu rauschen, Nachrichten-Pop-Ups blinken an Laptop und Handy auf – die eine ist wichtig, ich muss schnell einen Teaser lektorieren, die nächste Online-Sitzung schließt sich direkt an, es geht um ein Projekt nach dem Master und ich würde echt gerne zuhören, aber eigentlich muss die Mail mit den Tabellen noch raus, am piependen Telefon bin ich immer noch, mein Kopf ist heiß, ich muss gleichzeitig rechnen und reden und zuhören und denken, alles ist laut, das ist zu viel, viel zu viel.

Tag 1: Freitag

So. Ich beschließe, einen „digital detox“ zu machen und schalte mein Handy um 18 Uhr aus. Ich wollte eigentlich nur ohne Ablenkung nebenbei einen Online-Vortrag hören, aber im Laufe des Abends entsteht der Gedanke zum Selbstexperiment, um für längere Zeit solch überladene Situationen zu vermeiden. Denn kaum laufen die ersten Minuten des Vortrags an, wechsle ich automatisch die Fenster und beginne, meinen Desktop aufzuräumen. „Halt!“, unterbreche ich mich direkt, meine Hand zuckt aber gewohnheitsmäßig noch sieben Mal zum Touchpad, um das Fenster erneut zu wechseln. Einfach nur zuzuhören und nicht ganz kurz nebenbei etwas zu machen, führt dann aber dazu, dass ich vor lauter Erschöpfung während des Vortrags wegdämmere, upsi.

Abends lese ich noch, irgendwann wird mir aber langweilig (spricht entweder nicht unbedingt für das Buch oder für mein sonst gewohntes Reizlevel) und ich sehne mich danach, etwas am Handy zu scrollen. Ich überwinde mein Reizbedürfnis aber eisern und lese doch noch weiter, das hätte ich normalerweise wahrscheinlich nicht gemacht.

Tag 2: Samstag

Ich bin momentan in der Heimat und wir fahren zur Familie. Normalerweise bin ich immer mal zwischendurch am Handy während der Autofahrt, habe es heute allerdings irgendwann aus- und uns einen Podcast angemacht. Trotzdem kann ich kaum zuhören und vermute, dass das an meiner Konzentrationsüberlastung der letzten Zeit liegt. Den ganzen Tag mit der Familie bleibt mein Handy aus, manchmal verspüre ich den Impuls, aber schließlich möchte ich im Moment bleiben.

Die Rückfahrt hat es dann aber in sich: Nach zwei Stunden im Oldieversum aus NDR 90,3 und NDR 1 (Weeelle Nooooord – Konnte das jemand mitsingen?) begebe ich mich doch lieber in die doppelten Reize zurück und setze meine Kopfhörer auf. Wenn das Radio die eine Aufgabe ist, auf die ich mich konzentrieren muss, ja, dann möchte ich nicht mehr. Zugegebenermaßen ist es aber tatsächlich ganz schön anstrengend, „Always on My Mind“ tönen die Oldies, sobald meine Musik mal kurz leiser wird. Daher richte ich meine volle Aufmerksamkeit auf die musikalischen Elemente und den Text meiner Lieder, was ich viel zu selten so bewusst mache und die Musik dadurch viel intensiver aufnehme.

Tag 3: Sonntag

Ich sitze im Zug zurück nach Greifswald und sinniere über meine bisherigen Tage des Selbstexperimentes. Dass ich Multitasking vermeiden möchte, heißt bisher offensichtlich oft nur, nicht am Handy zu sein. Ist ja auch irgendwie logisch, schließlich ist der aufblinkende Bildschirm häufig das, was den Moment gerade unterbricht. Ich fühle mich nach den letzten zwei Tagen insgesamt viel disziplinierter, schaue abends noch einen Film mit meiner Mitbewohnerin und finde es gar nicht mehr so anstrengend, gegen das Bedürfnis anzugehen, gleichzeitig mein Handy sichtbar neben mir haben zu wollen. Da unser WLAN momentan eh kaputt ist (hier finde ich das noch gut), lese ich zum Einschlafen einfach. Ich merke: Mein Kopf kühlt sich immer weiter ab.

Tag 4: Montag

Los geht’s mit der Woche. Für das Selbstexperiment schalte ich morgens meine Mitteilungen am Handy auf nicht mehr vollständig lesbar. Ich schaffe es nicht, sie ganz auszustellen, aber auf diesem Wege sehe ich immerhin nur, dass etwas gekommen ist und bin inhaltlich nicht direkt woanders. Ich muss aber sagen, dass mich das ziemlich stört, ständig muss ich auf die Apps klicken und schauen, ob gerade etwas Wichtiges dabei ist.

Ich bin außerdem so müde, dass ich beim Fertigmachen Musik höre – Ist das jetzt schon Multitasking? Das überfordert mich zwar nicht, aber eigentlich flute ich mich ja wieder mit Reizen. Auch in der Bib mache ich mir gewohnheitsmäßig irgendwann Musik an und beginne, die Literatur durchzugehen, überwinde mich dann aber zur Stille. Ich höre zum Jammen häufig Musik beim Arbeiten und komme gut damit klar, frage mich aber regelmäßig, wie viel Energie es mich unterbewusst eigentlich kostet, nicht zu sehr die Wörter aus dem Lied, sondern die aus dem zu lesenden Text aufzunehmen.

Da unser WLAN immer noch kaputt ist (…), muss ich für meinen Schwedischkurs ins Grüne. Auch wenn ich mein Handy eisern aus hatte, ist das Reizüberflutung pur. Ständig laufen Leute vorbei, zwischendurch rede ich mit einer Freundin. Irgendwann bin ich wahnsinnig müde und würde so gerne am Handy scrollen, um mich etwas wach zu halten, aber ist diese Gewohnheit nicht total doof? Schließlich kommen dann noch mehr Reize, die ich mit der wenigen Energie verarbeiten muss und richtig zuhören kann ich dann erst recht nicht. Gefühlt muss ich aber mehr Energie aufbringen, weiterhin zuzuhören und nicht ans Handy zu gehen; der innere Kampf bleibt also doch noch bestehen.

Tag 5: Dienstag

Meine Mitteilungen stelle ich heute Nachmittag wieder auf lesbar, das ist mir dann doch zu anstrengend. Dafür lege ich mein Handy wieder häufiger komplett zur Seite, trage es auch nicht aus Routine immer mit durch die Wohnung und lasse den Ton auf stumm.

Abends ist StuPa-Sitzung und ich muss zwischendurch kurz mit einer Freundin schreiben, aber auch weiter zuhören. Nach einigen Minuten bin ich schon überanstrengt. Auf dem Rückweg merke ich, dass sich die Umgewöhnung der letzten Tage aber gelohnt hat: Ich schalte mein Handy erst wieder in der Wohnung an, bin mit meiner Mitbewohnerin vorher noch spazieren und habe nicht das Bedürfnis, schon mal kurz nach den Nachrichten der letzten Stunden zu schauen.

Tag 6: Mittwoch

Ich habe ein Präsenzseminar und führe regelrecht einen körperlichen Kampf aus, nicht in das Mailpostfach als Ablenkung zu schauen. Es ist mir ein so schlimmes Bedürfnis, irgendeinen, auch nur irgendeinen Tab an meinem Laptop zu öffnen, dass ich schon bald das Gefühl habe, mich auf meine Hände setzen zu müssen. Multitasking ist verführerisch.

Ich überlege, in was für Situationen ich ein ähnlich starkes Bedürfnis habe. Dazu gehört auf jeden Fall essen (wenn nicht mit der WG oder Freund*innen, habe ich immer mein Handy, Buch oder Netflix dabei), irgendwo hinlaufen (in der Regel mit Musik) oder das einschlafen und aufstehen (leider immer mit Handy). Das ist natürlich nicht immer verwerflich, aber mehr Stille auszuhalten, ist doch eine Überwindung.

Tag 7: Donnerstag

Neben der Tatsache, dass wir wieder WLAN und ich mehr Zugang zu dem verführerischen Scrollen habe, habe ich eine Art Gewohnheit entwickeln können: Ich lebe mehr in Blöcken. Wenn ich nach Hause gehe, dann gehe ich nur und höre nicht nebenbei Sprachnachrichten. Wenn ich am Handy bin, bin ich am Handy und nehme mir die Zeit. Wenn ich auf Essen warte, warte ich einfach usw.

Abends bei der digitalen Redaktionssitzung werde ich dann aber doch nachlässig und schreibe im BBB-Chat nebenbei mit anderen. Das ist eigentlich doof, immer wieder verpasse ich ein paar Sätze, aber manchmal macht Multitasking eben auch Spaß, was sich dann auch wieder auf eine positivere Stimmung für die eigentliche „Task“ auswirkt.

Tag 8: Freitag

Nachts schaue ich mir Konzerte bei YouTube an und bin ergriffen von der Stimmung aus dem Video und den Klängen – *paplimm* und eine Mail kommt als Pop Up mitten in den Moment hinein. Die Entscheidung fällt also doch noch: Die Mitteilungen werden jetzt vollkommen ausgestellt. Ist es nicht immer so, dass Pop Ups uns total aus dem Moment, dem Gedanken oder dem Gefühl rausholen? Ich finde die Vorstellung gerade total anstrengend, vielleicht liegt das aber auch nur an meinem verschärften Blick durch das Selbstexperiment.

Tag 9: Samstag

Und siehe da: Ich komme besser ohne Mitteilungen klar, als ich erwartet hätte. Es ist eh nicht viel, was abgesprochen werden muss und doof wäre zu verpassen, daher schaue ich zwischendurch einfach immer mal wieder Whatsapp, Telegram und Signal durch. Zugegebenermaßen habe ich aber, während ich die web.woche erstelle, nebenbei einen Film laufen. Das ist natürlich nicht der Inbegriff vom Onetasking, muss ich ehrlich zugeben, aber da ich heute so handyfrei lebe, fühle ich mich trotzdem total ruhig.

Tag 10: Sonntag

Ja okay, die Mitteilungen für Signal und Telegram sind doch wieder an, es kommt dann irgendwie doch darauf an, wie sehr man gerade im Chatflow ist oder nicht. Aber all die anderen Apps, die den ganzen Tag aufgeblinkt haben, bleiben weiterhin aus: Mails, Nachrichten, YouTube usw. hatten einen ziemlich großen Anteil bei den Pop Ups über den Tag und ohne sie ist es bereits wesentlich stiller.

Meine Hauptproblematik liegt, denke ich, darin, immer erreichbar sein zu wollen – per Mail und bei allen drei Chatapps führt das zum ständigen Aufblinken oder eben dem Bedürfnis des kurzen Nachschauens. Das wiederum führt dazu, dass nur davon schon viele Gedankenstränge bei irgendwelchen anderen Sachen sind, immer mehr parallel abläuft und mich auf meine eigentliche, große Aufgabe zu konzentrieren durch die ganzen kleinen nebenbei immer schwieriger wird.

Fazit

Multitasking zu vermeiden ist tatsächlich für die Umgewöhnungsphase fast genau so anstrengend, wie es auszuleben (funktionieren tut es ja eben eh nicht). Ich muss sehr selbstkritisch feststellen, dass ich weitaus süchtiger bin, als mir das bisher bewusst war. Dieses Bedürfnis halte ich jetzt aber immer öfter einfach aus und merke, wie es für viele Situationen weniger wird, suche bewusst nach mehr Stille und Ruhe – auch wenn der entstandene Freiraum erstmal dazu verleitet, ihn mit Reizen zu füllen.

In kommunikativer Hinsicht hatte ich keiner Person mitgeteilt, dass ich das Experiment mache und teilweise keine Nachrichten sehen kann, um realitätsnah zu schauen, was für Nachrichten ich nicht mitbekommen habe. Und habe ich etwas verpasst? Ja schon, aber in den meisten Fällen war das eher Situationskomik. Nichts ist wirklich schief gelaufen, aber ich war natürlich auch nicht völlig weg vom Radar – Ich hoffe also, dass sich mein Bedürfnis zur Erreichbarkeit auf so ein Kompromisslevel einpendeln wird.

Inzwischen, zwei Wochen nach dem Experiment, bin ich streckenweise in alte Muster zurückgefallen: Ich habe es manchmal regelrecht genossen, mich jetzt nicht mehr so anstrengen zu müssen, wirklich nur bei der einen Aufgabe zu bleiben. Multitasking muss ja auch nicht immer schlecht sein. Aber immer wieder die Disziplin aufzubringen, mehr im Moment und bei sich zu sein, hat mir persönlich eine spürbare Verbesserung und Erholung gebracht. Meine Mitteilungen sind auch nach wie vor für fast alle Apps ausgeschaltet, lediglich Chats und Nachrichten dringen zu mir durch.

Ein Blick auf die Wissenschaft, den ich im Rahmen des Experimentes für meine eigenen Gedanken und Erfahrungen erstmal bewusst weggelassen hatte, zeigt mir abschließend, wie groß die Problematik hinter Multitasking eigentlich ist. Und dass ich auf lange Sicht meine etablierten Gewohnheiten der letzten drei digitalen Semester definitiv ändern werde.

Beitragsbild: Annica Brommann
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