Wir vermissen es, entspannt durch Greifswald zu bummeln, dort mit Freund*innen spontan einen Kaffee trinken zu gehen und anschließend kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Wehmütig denken wir an die Zeit zurück, an denen solche Nachmittage so selbstverständlich waren und schätzen umso mehr, was wir hatten. Wir zehren von der Hoffnung, dass nächsten Sommer vielleicht alles wieder so wie “vor Corona” ist. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass viele Einrichtungen zur Zeit um ihre Existenz kämpfen und Veranstaltungen oder der „spontane Kaffee“ nach der Coronakrise vielleicht nicht mehr so selbstverständlich sein werden. Wir haben mit der STRAZE und dem Café Küstenkind gesprochen und gefragt, wie es ihnen in der jetzigen Situation geht.

Die Interviews stammen vom 23. und 24. November 2020.

Wie geht es eurer Einrichtung?

Küstenkind: Unser Café leidet. Durch den To-Go Verkauf von Kaffee und Kuchen unterstützen wir jene Mitarbeiter*innen, die dringend auf das Gehalt angewiesen sind. Wir versuchen uns flexibel an die immer neuen Regeln anzupassen und Konzepte zur Aufrechterhaltung des Verkaufs zu entwickeln. Dies bedeutet aber trotz teilweiser Schließung und weniger Umsatz sehr viel Arbeit. Laufende Kosten, wie die Miete sind gleichbleibend hoch und stehen damit nicht mehr annähernd im Verhältnis zu den momentanen Einnahmen.

STRAZE: Für uns ist die aktuelle Situation bittersüß. Die STRAZE konnte nach siebenjähriger Bau- und Vorbereitungsphase eröffnen. Wir haben uns vor über einem Jahr den 15. Oktober 2020 als Termin gewählt, mit einem großen Knall an den Start zu gehen. Und natürlich war es eine große Zitterpartie: Ist das zu schaffen? Wird es überhaupt möglich sein? Kommt der zweite Lockdown pünktlich zur Eröffnung? Das zweieinhalbwöchige Eröffnungsprogramm stand seit Monaten fest und wurde wieder und wieder umgebaut, um auf die aktuellen Entwicklungen zu reagieren. Aus dem großen Knall wurden sechs kleinere Knalle: Um möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, teilzunehmen, haben wir zwei Tage durcheröffnet. Und Glück im Unglück: Dieses Eröffnungsprogramm lief bis zum 1.11. – am 2.11. mussten wir wieder schließen. Natürlich hatten wir auch schon eine Menge für den November geplant, aber wir sind doch glücklich, immerhin dieses extrem aufwändige Programm durchgeführt zu haben.

Was ist die derzeit größte Herausforderung?

Küstenkind: Geduld zu bewahren. Wir hören oft: „Aber euer Café ist doch vorher so gut gelaufen.“ Als würde es uns deshalb nicht treffen. Oder: „Ihr bekommt doch 75% des Umsatzes gezahlt.“ Ja, so sieht das alles gar nicht so schlimm aus. Aber die Anträge sind noch nicht einmal verfügbar und bei uns ist noch nichts angekommen. Wir rechnen nicht vor dem neuen Jahr mit einer tatsächlichen Unterstützung. Es ist eine große Herausforderung der Angst vor dem finanziellen Ruin im Alltag nicht zu großen Raum zu geben.  

STRAZE: Die Situation ist, den Umständen entsprechend, einigermaßen tragbar. Ein unfassbar großer Teil der Arbeit im Haus ehrenamtlich läuft – an dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an die unzähligen Helfer*innen, die die Vision eines selbstorganisierten Kultur- und Bildungszentrum mit so viel Herzblut mittragen und ohne die hier gar nichts gehen würde – bleiben wir handlungsfähig, ohne gleich an den Rand des Ruins getrieben zu werden. Gleichzeitig müssen aber natürlich laufende Kosten gedeckt werden – wer schon bei uns im Haus war und den Saal gesehen hat, wird sich denken können, dass beim nahenden Winter einiges an Nebenkosten ins Haus steht – und auch Kredite wollen bedient werden. Uns fallen durch die fehlenden Ticket- und Getränkeverkäufe die meisten Einnahmequellen weg, das Café rotiert seit Wochen und erarbeitet ein Konzept, das am 23.11. live gegangen ist und worauf wir sehr gespannt sind: Es wird ein Take-Away-Mittagstisch etabliert, mit hochwertigem Essen aus nachhaltiger Bio-Landwirtschaft.

Was konntet ihr aus dem ersten Lockdown lernen?

Küstenkind: Dass weniger manchmal mehr ist. Während des ersten Lockdowns hatten wir fast jeden Tag ein Angebot an herzhaften und süßen Speisen. Wir haben diese auch geliefert, mussten aber natürlich dafür auch mehr Mitarbeiter*innen zahlen. Nun bieten wir nur noch 4x die Woche für ein paar Stunden nachmittags Heißgetränke und Kuchen an. Das Arbeitspensum ist damit für uns nicht mehr so belastend, sodass wir, wenn eventuell auch finanziell angekratzt, mit gesunder Psyche aus der Krise hervorgehen.

STRAZE: Für den aktuellen Betrieb haben wir aus dem ersten Lockdown nicht so viel lernen können, weil wir da noch in einer ganz anderen Situation waren, nämlich mitten in der heißen Endphase der Baustelle. Auch die war zentral angewiesen auf selbstorganisierte DIY-Aktionen, ehrenamtliche Subbotniks, einen großen Teil der Baumaßnahmen haben wir gemeinsam gewuppt. Was wir dabei gelernt haben, ist, dass sich Wände hochziehen, Parkett verlegen, Streichen, Verputzen, Mörteln, Schleifen, Spachteln echt schlecht aus dem Home Office regeln lässt. Das hat uns erheblich in Verzug gebracht, neben allem anderen was noch so anstand. So haben Menschen sich nächtelang die Köpfe zerbrochen, um zur Eröffnung ein dreißigseitiges Hygienekonzept vorlegen zu können, das in engster Abstimmung mit dem Gesundheitsamt abgesegnet und minutiös umgesetzt wurde. Besucher*innen-Lenkung im Einbahnstraßensystem, Online-Ticket-Vorbuchung mit Kontaktdatenerfassung, um Trauben am Einlass zu vermeiden, mit dem Zollstock vermessene Abstände zwischen den Sitzplätzen bei jeder einzelnen Veranstaltung. All das, um nach nicht einmal drei Wochen, und keinem einzigen in unserem Haus gemeldeten COVID-Fall, doch wieder schließen zu müssen.

Es hinterlässt einen sehr bitteren Beigeschmack, als Kultureinrichtung offensichtlich so verzichtbar zu sein, dass ungeachtet all dieser Bemühungen, die unsere Szene da vorgelegt hat, in einem Rundumschlag wieder alles in den Lockdown geschickt wird – „light“ ist der für viele andere Branchen, für unsere ist er hart, obwohl wir und viele andere Einrichtungen sehr tragfähige Hygienekonzepte vorgelegt und umgesetzt haben. Hier wünschen wir uns mehr Augenmaß und auch eine Haltung in der Politik, die nicht nur Marktinteressen in den Blick nimmt sondern überprüft, welcher Stellenwert einem Theaterstück, Konzert, Vortrag beikommt für das öffentliche Leben und das geistige Wohlergehen. Es geht dabei nicht nur ums Geld – wir machen das ja vor allem, weil es für uns zentraler Antrieb ist, diesen von uns als so wichtig erlebten Inhalten eine Plattform zu geben und Menschen den Zugang dazu zu ermöglichen.

Welche Unterstützung wünscht ihr euch von der Regierung?

Küstenkind: Dass die Einschränkungen gleichermaßen verteilt werden. Dies ist eine Krise, die von allen getragen werden sollte. Mit 75% des Umsatzes auszukommen heißt für uns 25% aus eigener Tasche zu zahlen. Es gibt Einkommensklassen, die könnten dies leichter tragen als die Gastronomie, die Kulturschaffenden oder Solo-Selbstständige. Wir alle haben mit unseren Tätigkeiten eine Relevanz für unsere Gesellschaft. Das medizinische Personal, auf das wir mehr denn je angewiesen sind, ist mit seinen Kräften bald am Ende. Die momentane finanzielle Entlohnung kann dies nicht aufwiegen. Die Kulturbranche, Gastronomie und der Tourismus, die unsere Gesellschaft sonst so lebenswert machen, sind finanziell ausgelaugt. Es gibt sehr schwere Portemonnaies in Deutschland, die in dieser Zeit noch schwerer werden und keinen Beitrag zum Überwinden dieser Krise leisten müssen. Das ist zum Verzweifeln.

STRAZE: Natürlich geht es auch um Geld: Wir wollen bei den nächsten Lockerungen weiterhin am Start sein können. Es braucht da unbürokratischere Direkthilfen, um über solche Durststrecken zu kommen. Uns bringt es nichts, wenn Hilfszahlungen in Aussicht gestellt werden, die 75 % des Vorjahresmonats umfassen – da gab es bei uns noch keinen Betrieb. Und wir kennen Menschen in der Branche, die seit Jahrzehnten dabei sind, und denen das genauso wenig bringt. Freiberufliche Tontechniker*innen beispielsweise: Als Soloselbstständige können nur Geschäftsausgaben geltend gemacht werden, die es aber so in der Regel gar nicht gibt. Da gibt es keine Büroräume, Dienstwagen, Arbeits-PCs, das wird alles von zu Hause am privaten Handy geregelt. Diesen Menschen, diesen vielen Soloselbstständigen, ohne die der Kulturbetrieb komplett baden geht, bleibt in solchen Zeiten nur der Rückzug auf die Grundsicherung via Hartz 4, oder aufzugeben und die Branche zu wechseln. Die bisherigen Hilfsprogramme unterstützen vor allem die großen Player unter den Kulturinstitutionen, die aber allesamt auf unsere „Freien“ (Anm. d. Red.: Freiberufliche Kulturschaffende) angewiesen sind. Und auch diese großen Institutionen stehen vor riesigen neuen Problemen, wenn die dazu gezwungen werden, sich krisensicher neu zu orientieren.

Welche Lockdown-konformen Angebote gibt es bei euch zur Zeit?

Küstenkind: Take away Service und kleine Freuden wie einen Café Küstenkind Adventskalender. Wenn der Lockdown anhält, schauen wir, welche weiteren kleinen Weihnachtsaktionen wir organisieren können.

STRAZE: Aktuell bieten wir den oben erwähnten Take-Away-Mittagstisch an. Außerdem werden wir immer besser in Streaming-Angeboten. Einige der für November geplanten Filmvorführungen plus Gespräche konnten wir über Videokonferenzen realisieren, es wurde ein Ein-Personen-Theaterstück von zu Hause aus übertragen, und in Kooperation mit radio 98eins haben wir eine wunderschöne Show aus dem Saal auf die Beine gestellt, mit Livemusik und Gesprächen mit den Künstler*innen.

Was wünschen ihr euch von den Greifswalder*innen?

Küstenkind: Dass sich alle an die Maßnahmen halten, auf sich, ihre Lieben und alle im Abstand von 1,50m achten, damit dies alles schnell ein Ende hat. Wir möchten aber auch danke sagen an alle lieben Greifswalder*innen, die uns mit ihren warmen Worten motivieren weiterzumachen, mit Ihrem Kauf von Gutscheinen an die Zukunft des Café Küstenkind glauben und ihren Kaffee weiter auch to go bei uns trinken.

STRAZE: Von den Greifswalder*innen wünschen wir uns, dass sie uns die Bude einrennen, sobald wir wieder aufmachen. The show must go on, aber ohne euch ist es nicht dasselbe <3

Das Café Küstenkind hält euch über Facebook und Instagram auf dem Laufenden.
Auch die STRAZE könnt ihr über Facebook, Instagram oder die Website verfolgen. Dort könnt ihr auch den Mittagstisch bestellen.

Auf dem webmoritz. findet ihr außerdem ein Interview mit dem CDFZ und dem Pommerschen Landesmuseum, der Tanzschule D&D und dem Freizeitbad, der Boulderhalle und dem Paintballbunker sowie den Studiclubs Kiste, Club 9 und Geographenkeller.

Beitragsbilder: Lilli Lipka