Wenn du zu einer Mahn- und Gedenkstätte fährst, dann ist das kein gewöhnlicher Wochenendausflug. Du machst es bewusst. Du fährst in dem Bewusstsein, dass nach so einem Tag immer etwas zurückbleibt. Vielleicht bricht ein Teil in dir und vielleicht gewinnst du einen Teil dazu. Wirklich beeinflussen kannst du es nicht. Heute jedenfalls möchte ich dir von meiner Exkursion zur Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück erzählen.
Ravensbrück ist nicht die erste Mahn- und Gedenkstätte, welche ich besuche. Als in der achten Klasse das Thema ,,Nationalsozialismus“ behandelt wurde, fuhren wir zur Gedenkstätte Bergen-Belsen. Wer das Tagebuch von Anne Frank gelesen hat, weiß, dass in diesem Konzentrationslager neben vielen anderen bekannten Häftlingen auch Anne und ihre Schwester Margot Frank inhaftiert waren und ihren Tod fanden. Wer das Tagebuch noch nicht gelesen hat, sollte dies unbedingt tun!
Damals wie heute ist der Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers für mich jedes Mal eine neue Erschütterung. Ja, das Wort ,,Erschütterung“ trifft es sehr gut. Lange habe ich ein passendes Wort gesucht, um dieses Gefühl ausdrücken zu können. Das Wort ,,Schock“ empfand ich als ziemlich unpassend. Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftige ich mich mit dem Thema ,,Nationalsozialismus“, habe unzählige Bücher gelesen, ungefähr jede Doku gesehen und studiere mittlerweile Geschichte. Abgestumpft hat mich das alles nicht. Jede Gedenkstätte ist anders. Jede Gedenkstätte macht diese Verbrechen an der Menschheit fassbarer als jedes Buch und jede Doku.
Letztes Jahr war ich auf Exkursion in Prag. Auch hier besuchten wir eine Gedenkstätte: die Gedenkstätte Theresienstadt. Bergen-Belsen und Theresienstadt könnten nicht unterschiedlicher sein – es ist schwierig zu beschreiben. Wenn ihr die Chance habt, einmal eine Mahn- und Gedenkstätte eines ehemaligen Konzentrationslagers zu besuchen, dann macht es!
Ravensbrück ist nochmal ganz anders als Theresienstadt und Bergen-Belsen. Vieles ist in Ravensbrück nicht mehr erhalten. Zu DDR-Zeiten war nur ein kleiner Teil begehbar. Erst seit ein paar Jahren wird versucht, die Gedenkstätte wieder aufzubereiten. Wirklich gut erhalten sind jedoch die Häuser der Aufseher. Heute befinden sich darin Schlafmöglichkeiten und eine Kantine. Kannst du dir vorstellen da zu schlafen und zu essen, wo bis vor ein paar Jahrzehnten Nazis geschlafen und gegessen haben? In meiner Vorstellung ist das sehr makaber …
Ich hatte das Glück mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Frau Bärbel Schindler-Saefkow dort zu sein. Frau Schindler-Saefkow ist nicht nur Historikerin, sondern auch eine Zeitzeugin. Ihr Vater Anton Saefkow war Kommunist und baute eine große Arbeiterwiderstandsgruppe auf. Er wurde durch die Nationalsozialisten hingerichtet. Ihre Mutter Aenne Saefkow war ab 1944 in Ravensbrück interveniert. Die Schilderungen von Frau Schindler-Saefkow stammen also aus erster Hand. Ich kann es schlecht anders beschreiben, aber eine Führung mit Zeitzeugen ist immer etwas ganz Besonderes. Du kannst dir sicherlich vorstellen, was ich damit sagen will.
Diese Skulptur steht auf einem hohen Sockel und ragt über dem Schwedtsee auf. Auch die Menschen im Konzentrationslager konnten über den Schwedtsee Fürstenberg erblicken – die Kleinstadt, die direkt an das Konzentrationslager angrenzt. Die Bewohner*innen von Fürstenberg haben die Menschen auf dem Weg zu Arbeitseinsätzen durch die Stadt gehen sehen. In Schilderungen berichten die Bewohner*innen, dass sie von ,,nichts gewusst hätten“ … Interessant an der Skulptur ist die Geschichte dahinter. Bei einer Art ,,Appell“ mussten die Frauen lange stehen und verharren. Dies zerrte natürlich an den Kräften der Frauen, sodass sie nicht selten aus Erschöpfung zusammenbrachen. Das Zusammenbrechen war das sichere Todesurteil. Eine Frau jedoch zeigte Solidarität und trug die entkräftete Frau auf Händen. Aber es half nichts. Am Ende wurden beide Frauen getötet.
Stufen ragen in den Schwedtsee hinein. Auch in Ravensbrück wurden Menschen vergast. Da die Nazis nicht wussten wohin mit der Menge an Asche, wurde sie in den Schwedtsee gekippt. Um dem zu gedenken, legten wir Blumen auf die Wasseroberfläche nieder während Schwäne ihre Kreise zogen.
Unter einem großen Rosenbeet liegen weitere unzählige Frauen und Kinder in Asche begraben. Jedes einzelne Land, aus dem die getöteten Menschen stammten, züchtete eine eigene Art von Rose, um sie in Ravensbrück zu pflanzen. Nur in Ravensbrück gibt es diese speziellen Rosen. An der dahinterliegenden Mauer stehen in einzelnen Abschnitten die Namen der über 40 Länder. Ungefähr 28.000 Menschen wurden in Ravensbrück ermordet.
Da wir wieder in düsteren Zeiten leben, verzeihe mir folgende Abschlussbemerkung: Ja, Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, dennoch ist ein erneuter Holocaust möglich. Wer daran nicht glaubt, vergisst die alltäglichen Unmenschlichkeiten auf der Welt. Siehe nicht weg! Siehe hin und sage entschlossen: ,,Nein!“.
Beitragsbild: Ada Berg