Im Rahmen der sechsten Ferienwoche fand im Demokratiebahnhof Anklam die sogenannte Bauwoche statt. Die Gemeinschaftsräume sollten renoviert und aufgehübscht werden, weiße Farbe und frischer Wind in das alte Bahnhofsgebäude einkehren.
Bis zum Freitag erstrahlten die Wände in neuem weiß, für den Anfang der darauffolgenden Woche hatten sich die vielen Helfer*innen das Auf- und Umräumen vorgenommen. Am Montag folgte dann jedoch der Schock. Da über das Wochenende niemand vor Ort war, bemerkten die Verantwortlichen erst jetzt, dass Unbekannte in den Bahnhof eingedrungen waren.
Drucker, Bildschirme, Boxen und weitere Technik und Utensilien wurden beschädigt oder ganz zerstört. Im ganzen Bahnhof fanden sich eine Vielzahl von Tags, u.a. mit „Heil Hitler“ versehen. Von den mangelnden Fähigkeiten der Angreifer im Umgang mit Stift und Dose abgesehen, sorgten insbesondere die billigen Kopien des bekannten 1UP-Tags für viel Hohn und Fremdscham in den Kommentaren der Sozialen Medien. Ganz nebenbei sei erwähnt, dass sich eben jenes Sprayer-Kollektiv aus Berlin eindeutig zum Thema Geflüchtete Menschen in Deutschland geäußert hat.
Die Polizei war mit Kripo und Spurensicherung vor Ort und ermittelt nun. Es ließen sich viele Vermutungen anstellen, welche an dieser Stelle jedoch nicht weiterhelfen. Von wem man aber seit Jahren Hass und Gewalt entgegengeschleudert bekommt, ist kein Geheimnis.
Fuck Charity – Love Solidarity
Nicht nur bei den Verantwortlichen und ehrenamtlichen Menschen vor Ort, für die es nicht der erste Anschlag war, sitzt der Frust tief. Auch die vielen Kinder und Jugendlichen, welche den Bahnhof regelmäßig nutzen und sich auch an der Neugestaltung ihrer Gemeinschaftsräume beteiligt haben, sind schockiert. Öffentlich gemacht wurde der neuerliche Angriff auf der Instagram-Seite des Demokratiebahnhofes. Anstatt jedoch mit Wut und Polemik zu reagieren, sprachen aus dem Beitrag insbesondere Liebe für das eigene Projekt und viel Kraft weiterzumachen. Das in Greifswald ansässige Katapult-Magazin teilte diesen Beitrag wiederum auf ihrer Instagram-Seite. Mit Hilfe der beachtlichen Reichweite ihrer 82 Tausend Follower wurden viele Menschen auf die aktuelle Situation aufmerksam und zeigten sich solidarisch mit dem einzigartigen Projekt in Anklam. Doch nicht nur finanzielle, sondern auch materielle Unterstützung landete direkt vor Ort, wie etwa Farbe für die Neugestaltung der beschädigten Wände. So konnte man bei all dem Frust bereits gestern wieder einen großen Teil des Bahnhofes neu gestrichen vorzeigen, weswegen wir mit unserem Beitrag auch bis heute gewartet haben.
Der Rechtsruck ist schon lange vollzogen
Denn, wie viel zu oft, könnte man den Täter*innen und ihren vermeintlichen Motiven eine Bühne bieten. Vielmehr zeigt sich aber auch bei diesem erneuten Angriff, dass die Akteure vor Ort, die etwas aufgebaut haben, etwas verändern wollen, andere Menschen mit einbinden möchten, sich nicht aus der Deckung holen lassen. Wie schon zuvor werden sie weiter ihre Aktionstage veranstalten, offene Nachmittage organisieren und versuchen, sich in der Anklamer Stadtgesellschaft einzubringen. Auf dieser Ebene ist es das wohl effektivste Mittel um allen, die von einem „linksextremistischen Zentrum“ sprechen oder anderweitig mit platten Parolen Stimmung machen, zu zeigen, worum es wirklich geht. Miteinander, Mitbestimmung, gleichberechtigter Umgang auf Augenhöhe. Werte und Normen, welche insbesondere von NPD und AfD allzu gerne dämonisiert werden. Mit der Folge, dass Jugendzentren in der Provinz gewalttätigen Angriffen ausgeliefert sind. Eine Realität, welche aktuell noch weit weg zu sein scheint, die uns aber alle betreffen wird, wenn Projekte wie der Demokratiebahnhof in Anklam alleine gelassen werden.
Fotos: Demokratiebahnhof Anklam