Ja, ich gebe zu. Am Samstag habe ich mir auch das Spiel der DFB-Auswahl gegen Schweden angesehen. Wäre es meine Mannschaft, wäre ich wohl total stolz auf die Leistung gewesen. Einsatz und Kampfbereitschaft beeindruckten – auch das muss ich anerkennen. Für das Gehalt, was diese Leute bekommen, sollte das auch schon so sein. Ich war gespannt, wie sie unter Druck stehend reagieren werden. Nach einem WM-Vorrunden-Aus lechzten ja viele Fans.

Seit 2012 konnte ich mich bisher erfolgreich den WM- und EM-Spielen entziehen. Meistens bieten sich ja noch Amateurspiele an, die ich nur empfehlen kann, um authentischen Fußball zu erleben. Ausgesprochen gernnutzte ich die Bibliothek, während die Nationalmannschaft ein wichtiges Spiel austrug. Genau zwei Studenten und zwei Studentinnen schrieben und lasen damals im großen grünen Gebäude am Beitz-Platz. Eine himmlische Ruhe!

Dann war da noch dieses WM-Finale vor vier Jahren. Sehr passend kam ein angesetztes Freundschaftsspiel eines befreundeten Vereins in Przemyśl. Im Anschluss grillten wir im Schatten der Hexenhaus-Tribüne. Das bedeutet mir sehr viel mehr als diese Spiele. Das war aber nicht immer so: mal ein Länderspiel hier und da, wenn es sich angeboten hat. Ich stehe also später am Haltepunkt Przemyśl-Zasanie, also am Tor zur Ukraine, und in Gedanken gehe ich diese schreckliche Zeit vor und nach der EM 2012 durch. Während der Zug tuckert, läuft das Finale, das das DFB-Team gewinnen wird. Die Sonne schenkt dem Vorkarpatenland die letzten Strahlen des Tages. Südafrika 2010 hatte ich mir damals noch angesehen. Dann verschärfte sich die Lage in Polen und die Übergriffe von Polizei und Verband auf Fans wurden stärker. Nach einer kleinen Auseinandersetzung beim Pokalfinale im Mai 2011 in Bydgoszcz wurde dem ganzen Land verboten, Auswärtsspiele zu besuchen! Die Gründe dafür sind bis heute unbekannt. Nun hat ein Fan aus Olsztyn z.B. nichts mit Fans aus Warszawa oder Poznań zu tun. Aber es war einfach so. Das betraf mich natürlich auch. Als neutraler Zuschauer fehlt dir die Beschallung aus dem Gästesektor einerseits, andererseits konntest du diese Spiele nicht zusammen mit Freunden besuchen. Und so sahen damals Auswärtsspiele aus: Eine Halbzeit des einen Spiels gab ich mir noch auf den Rängen. In der zweiten Halbzeit gesellte ich mich dann zu den Freunden außerhalb des Platzes. Keiner von ihnen traute sich mit seinem verratenden Personalausweis ins kleine Stadion. Konsequenzen waren damals schwer abschätzbar. Nach kleineren Vergehen musste man sich über Wochen fast täglich auf dem Revier melden. Mach das mal dem Arbeitgeber klar! Die Polizei patrouillierte jedenfalls die ganze Zeit, während wir an den Autos standen, quatschten, Musik hörten und Sonnenblumenkerne knabberten. Beim nächsten Spiel in der Ferne wurden wir mutiger. 30 Leute ohne Schals und T-Shirts irgendwo auf dem Dorf. Eine Halbzeit verharrten wir auf den Holzbänken, dann wollten wir singen. Sofort waren Polizei und Ordnungsamt zur Stelle. Wahnsinn! Unter dem Strich war das zwar beängstigend, aber im Gegensatz zu anderen Fahrten noch sehr entspannt. Die Vorfreude auf die EM war natürlich futsch. Kein Fan hatte mehr Lust, weshalb die Spiele stimmungstechnisch arg langweilten. Alles nur kommerzieller Zirkus. Außerdem drangen Geschichten über verbrannte Straßenhunde in der Ukraine durch. Ähnliche Sachen wurden im Rahmen der WM 2018 vor ein paar Tagen auch bei uns öffentlich gemacht. Mal sehen, was es dazu zu lesen gibt. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass das abgedruckte Foto gar nicht aus Russland stammte. Die russischen Medien werteten das als Streuung von falschen Nachrichten. Nicht alle. Ein großer Artikel in russischer Sprache schrieb ebenfalls über Aktionen gegen Hunde. Die Überprüfung ergab, dass die Zeitung Gelder aus den Staaten erhält, weshalb auch hier nicht gesagt werden kann, ob nun etwas an dieser Geschichte mit den Hunden dran ist oder nicht. Wir haben leider keinen Korrespondenten dort. Ich kann nur sagen, Straßenhunde sind im Osten Europas noch weit verbreitet. Ich hatte es schon mit beiden Situationen zu tun. Manche Hunde laufen in größeren Gruppen einfach an dir vorbei, andere agieren aggressiv. Sie zwingen dich, Umwege zu nehmen, belagern Autos. Die Erfahrung machte ich in Griechenland an einer stark frequentierten Kreuzung. Die Gefährlichkeit dieser Tiere sollte man nicht unterschätzen, obwohl sie häufig nur einfach irgendwo herumliegen. Neulich fragte ich vor einem Spiel in Bulgarien beim Anblick dieser Hunde einen Einheimischen, der mir versicherte, dass sie alles andere als gesund seien. Schon deshalb ist es möglich, dass sie ein Dorn im Auge derjenigen sind, die durch Welt- und Europameisterschaften Geld machen möchten.

Eigentlich geht es doch nur noch um das Geld. Den Skandal von vor der WM 2018 mit den zwei Spielern möchte ich an dieser Stelle nicht noch einmal wiederkäuen. Die Unsummen, die gezahlt werden, stellen irgendwie die Vorbildfunktion der Spieler infrage. Schon im Jugendbereich merkt man den Einfluss dann, wenn der Nachwuchs abgeworben wird. Später stellt der Top-Stürmer die Forderung nach zusätzlichen 1000 € – einfach so zwischendurch. Sonst ist er weg! In der 8. Liga trotz laufendem Vertrag! Ein Zirkus! Für diese Fälle gibt es dann noch Gönner, die zahlen und natürlich ihre Schützlinge sehen wollen. Da ist die Beteiligung beim Training nebensächlich. Ein Trainer hat’s nicht leicht. Doch ich will nicht alles schwarz malen. Es gibt auch Lichtblicke. Ich fragte vor einer Weile mal einen jungen talentierten Spieler, dessen Verein durch Fusion verschwand, für welchen Verein er nun spielt. „Ich werde für keinen anderen spielen, außer für meinen! Eher höre ich auf. Das habe ich gemacht!“ Diese Einstellung wünscht sich jeder Fan.

Das Bild des Stadionbesuchers hat sich verändert. Die 90er Jahre mit den Feldzügen und Verwüstung sind vorbei. Es existieren zwei Bilder: Auf der einen Seite konsumierend, teilweise naiv-blöd – auf der anderen rebellisch, idealistisch und ein Ärgernis. Das Volk in den Sektoren ist nicht das dümmste. Teilweise übernehmen die Ultras Funktionen von Sozialpädagogen. Dennoch ist der Fan Streitbegriff im deutschen Fußball. Und jetzt komme ich an den Punkt, weshalb das Team um Kroos und Neuer nicht so gut ankommen. Vielleicht noch weniger als dieses Kommerz-Turnier selbst. Auch eine Russland-Delegation der Uni kam mit den Preisen der WM in Kontakt. Der Westen hat’s ja!

Zunächst muss hervorgehoben werden, dass die Nationalmannschaft bei den Fans in der Hierarchie unter dem eigenen Verein steht. In Polen ist es anders. Da steht das Land über dem Verein. Es hängen bei den Spielen praktisch keine deutschen Fahnen. Außerdem betrachten deutsche Fans das Nationalteam als Auswahl des DFB, mit dem sie schon seit Jahren nicht gut können. Der Grund dafür ist die zunehmende Kommerzialisierung einschließlich zerstückelter Spieltage, Regionalligarelegation, Chinas U20 im Spielbetrieb, mangelnde Transparenz bei Strafen, Kollektivstrafen und letztendlich auch die Korruptionsaffäre. DFB und DFL (Deutsche Fußballliga) werden gleichgesetzt. Somit stieß auch das Sicherheitspapier vor einer Weile übel auf. Außerdem gab es Einschränkungen bei den Fanutensilien und noch weitere Punkte. Die landesweiten DFB-Stützpunkte stehen auch in der Kritik. Zu wenig Unterstützung kommt beim Ehrenamt an, das viel Drecksarbeit machen muss und dafür noch „Tritte” kassiert.

Diese Gedanken schwirren im Kopf herum, wenn es um das National-Team geht. Der Stefan Kuntz erzählt etwas vom heutigen Heldenstatus der Spieler. Schon lange gibt es den so nicht mehr. In Fankreisen hat sich die Meinung verfestigt, dass die Spieler genormt sind – Träume jeder Schwiegermutter. Sogar über Illoyalität wird hinweggesehen. Normalität. Wären da nicht die beiden, die vor der WM aus der Rolle fielen. Aber auch dort herrscht jetzt wieder Friede, Freude, Eierkuchen.

Und der Held des Spiels vom Samstag  ist natürlich Toni Kroos, der jetzt vielleicht wieder als Namenspatron der Uni ins Spiel kommt. Mit dem Erfolg füllt sich die Geldbörse. Damit ließen sich einige Mängel in der Lehreinrichtung beheben.

Fotos: Michael Fritsche