Am heutigen Donnerstag feiert die Dokumentation „Über Leben in Demmin“ ihre Premiere in Demmin. Martin Farkas möchte mit seiner 90 minütigen Dokumentation erst auf MV und dann Deutschlandtour gehen und einen Einblick in die Geschichte und Gegenwart Demmins liefern.
800 Einsatzkräfte der Polizei, 200 Neonazis, 500 GegendemonstrantInnen – eine Stadt die lahmgelegt ist. Demmin polarisiert am 8. Mai seit vielen Jahren die Region zwischen Greifswald und Neubrandenburg. Doch wie kommt die eigentlich unauffällige Stadt, in der Peene, Tollense und Trebel zusammenfließen zu einer derartigen Aufmerksamkeit ?
Der 8. Mai dürfte einer der einschneidensten Termine in der europäischen Geschichte sein: der Tag an dem der 2. Weltkrieg in Europa endete. Mit dem Einmarsch der Allierten, also den amerikanischen und britischen Kräften im Westen und den sowjetischen Einheiten im Osten, auf deutsches Gebiet war es Anfang 1945 nur noch eine Frage der Zeit, dass dieses vermutlich grausigste Kapitel der Menschheitsgeschichte sein Ende findet. Nicht nur, aber insbesondere in Demmin warf dieser Tag dunkle Schatten vorraus. Die deutsche Propaganda lieferte neben den klassischen Durchhalteparolen auch immer wieder neue Horrorgeschichten über die „bolschewistischen Bestien“. In einer Stadt, die schon bei den Reichtstags- und Kommunalwahlen 1933, 50% ihrer Stimmen der NSDAP gab, fielen diese Geschichten auf fruchtbaren Boden. Die Illusion der Volksgemeinschaft dürfte jedoch spätesten im Angesicht der flüchtenden Parteikader und Soldaten zu bröckeln begonnen haben. Die ach so heroische Wehrmacht versuchte ihre eigene Haut zu retten, nahm sich dafür die lokalen Löschfahrzeuge, Pioniere sprengten unter Aufsicht der SS die Brücken nach und aus Demmin heraus. Die anrückende sowjetische 65. Armee, welche eigentlich nach Rostock weiterziehen sollte, wurde unmittelbar durch deutsche Panzer und Geschützstellungen unter Beschuss genommen. Nachdem russische Einheiten übersetzten und die letzten Scharmützel in der Stadt beendet waren, stauten sich die endlosen Kolonnen an Militärmaterial in und um Demmin. Deutsche Flüchtlinge aus dem Osten, DemminerInnen und sowjetisches Militär saßen zusammengepfercht auf einem Haufen fest. In den folgenden Tagen kam es durch die russischen Soldaten zu Vergewaltigungen und Plünderungen. Mehrere Tage lang brannten viele Gebäudezüge in der Stadt und immer mehr Menschen suchten in den Flüssen den Tod. Das Regionalmuseum geht von einer belegbaren Zahl von 500 Toten aus. Andere Quellen sprechen je nach Quellenlage von 600 bis über 1.000 Toten. Man wusste vermutlich sehr gut, welche Verbrechen Väter, Söhne und Brüder auf ihrem Ostfeldzug begangen hatten, wie viele Frauen von deutschen Soldaten vergewaltigt, wie viele Menschen ermordet wurden und wie viele in den Konzentrations- und Arbeitslagern sterben mussten. Daneben zerbrach das nationalsozialistische Weltbild und man war mit den realen Schrecken des Krieges konfrontiert. Mit den Verbrechen der sowjetischen Soldaten kombiniert erschuf dies ein Klima, in welchem, auch in anderen Teilen des Landes, viele nur den Tod als Ausweg sahen.
„Heutzutage wird ja alles als Nazi abgestempelt“
Diese Geschichte ist heute in Demmin nur noch am 8. Mai wirklich sichtbar. Regionale Neonazis und BürgerInnen, angeführt von der NPD, ziehen jedes Jahr mit Fackeln als „Gedenkmarsch“ durch die Stadt. Am Hafen folgt die Abschlusskundgebung und Kranzniederlegung in die Peene. Begleitet wird dieser geschichtsrevisionistische Aufmarsch seit vielen Jahren von hartnäckigem Gegenprotest. Antifa-Gruppen, BürgerInnenbündnisse und Parteien organisieren seit vielen Jahren Mahnwachen, Feste und Stadtspaziergänge in Demmin. Nicht selten werden die GegendemonstrantInnen als die Störenfriede angesehen. Nicht vorhandene Aufarbeitung zur DDR- und Nachwende-Zeit, sowie der strukturelle Zerfall der Region waren der optimale Nährboden für neonazistische Ideologien. Vorpommern, eine Region in welcher sich sowohl NPD als auch AfD sehr wohl fühlen und wissen, welche Töne sie anschlagen müssen, um die Menschen vor Ort zu erreichen.
„Die Täterschaft wird nicht so gern weitererzählt, wie die Opferschaft“
Martin Farkas möchte objektiv alle Seiten betrachten. Er trifft ZeitzeugInnen, AnwohnerInnnen und möchte ein Gefühl der angespannten Situation vor Ort vermitteln. Drei Jahre lang war er in der Peene-Stadt aktiv. Hat Interviews geführt, den jährlichen Aufmarsch gefilmt und angefangen die Region zu verstehen. Schafft es die Doku mehr zu sein, als nur eine Plattform für wehklagende Neonazis ? Mehr zu sein als nur eine Geschichtsstunde, welche ein traurig-dystopisches Bild der vorpommerschen Einöde liefert? Ob Farkas seinen Ansprüchen gerecht werden konnte, kann man bei den verschiedenen Terminen in und um MV selbst herausfinden. Bei den ersten Veranstaltungen im März wird der Regisseur bei den Vorstellungen auch vor Ort sein. In Greifswald ist die Premiere morgen Abend um 20 Uhr im Cinestar.
Wer sich weiter über das Thema informieren möchte, dem sei insbesondere „Kind, versprich mir, dass du dich erschießt“ von Florian Huber empfohlen, welches in ausreichender Stückzahl auch im lokalen Buchhandel zu finden ist.
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