Das Spiel ist aus. Die EM 2016 ist vorbei. Portugal ist Europameister. Auch der webmoritz ließ sich vom Fußballfieber anstecken und war bei der Partie Polen – Portugal in Marseille im Stadion.

Autorin: Juliane Jahn

Proppenvoll von Viertefinaltouristen brütete die Stadt in der sommerlichen Hitze Südfrankreichs. Schon in den frühen Vormittagsstunden fanden sich erste Fangruppen  in den örtlichen Kneipen ein und übten ihre Fangesänge für den Abend. Übrig gebliebene Fans anderer Nationen, deren Mannschaften es nicht ins Viertelfinale schafften, wurden kurzerhand mit eingebunden. Die Polizei verursachte kurzzeitig einen Verkehrsstau am Hafen, als sie vorab einen Wasserwerfer in einer Nebenstraße in Stellung brachte. Hier wollte man wohl angesichts vorangegangener Ausschreitungen kein Risiko eingehen. Ansonsten hielt sich die Polizeipräsenz in Grenzen, nur in der Metro patrouillierten mehrköpfige, schwer bewaffnete, Einsatztruppol-por3pen. Ein Anblick, der mehr verunsicherte als dass er ein Gefühl der Sicherheit schuf. Vorm Stade Vélodrome gab es wider Erwarten kaum Kontrollen. Man kam problemlos bis auf den Vorplatz des Stadions, wo sich die Fans schon Stunden vor dem offiziellen Einlass versammelten. Es war eine bunte Mischung von Fußballfans, die ihre Trikots trugen wie andere den besten Sonntagsanzug. Sie diskutierten über den Spielausgang, posierten für gemeinsame Photos und warteten voller Vorfreude auf den Einlass.

Endlich im Stadion verteilten sich die Fans dann nach und nach in die Fankurven. Auf Plätzen mit bestem Blick auf den polnischen Fanblock konnte man einen guten Einblick bekommen, was es heißt, mit ganzem Herzblut Fan zu sein und bei einem großen Turnier mitzufiebern. Vielfältige Sprechchöre und die frühe Führung Polens sorgten für eine ausgelassene Stimmung. Mittendrin konnte dennoch unbehelligt für Portugal gejubelt werden. Im späteren Verlauf traute man dem Frieden aber wohl nicht mehr so ganz. Vor dem polnischen Fanblock baute sich eine Mauer aus Polizisten samt Schlagstöcken und Schutzschildern auf.

Polnische Fans machen untereinander Bambule

Die Unruhen fanden jedoch auf der gegenüberliegenden Seite statt und lenkten die Zuschauer für ein paar Minuten vom Geschehen auf dem Rasen ab. Blutverschmierte Personen nach dem Spiel deuteten auf die Schlägerei hin, die im Stadion stattfand. Es ging um die Hooligangruppe  Wisła Sharks. Sie trafen vor Ort auf ehemalige Mitglieder der Jude Gang (Anm.: offizielle Bezeichnung der Krakauer Hooligan-Gruppe des Vereins Cracovia). Ein paar hätten „vor’s Brett” bekommen, schrieben sie im „offiziellen“ Bericht. Der andere Teil flüchtete. Später wären sie mit Ordnern an der Hand wieder gekommen. Polnische Fans bei der Europameisterschaft gegeneinander? Die Fanszene in Polen dominiert ein kompliziertes Bündnis-System der aktiven Fangruppen. Sie unterteilen sich in Picknick-Fans und Pseudo-Fans. Pseudo-Fans haben den Charakter einer Mischform aus Hooligans und Ultras. Vor dem Turnier zerbrach eins der beiden Dreier-Bündnisse. Krakau hat jetzt neue Bündnisse geschlossen (mit Widzew Łódż und Ruch Chorzów). Die Kämpfe mit den Ex-Freunden verlagerten sich nach Frankreich. Die Polen bekämpften sich damit untereinander, was es schon seit vielen Jahren nicpol-por2ht mehr gab. Früher war es normal, dass bei Länderspielen große Streitereien und Kämpfe ausgetragen wurden. Eine Weile war es ruhig und man machte zusammen die Stimmung. Die Nationalmannschafts-Fahrer setzten sich aus beiden Gruppen zusammen – Pseudo-Fans und Picknick-Fans. Die Euro war für die Polen auch wieder die Chance, befreundete Ungarn zu treffen. Polen-Ungarn gelten als Brüdernationen.

Insgesamt war es aber eine friedliche Begegnung. Ein paar Chaoten fallen zwar am Ende mehr auf und bieten die besseren Pressebilder, geben aber nicht die harmonische Zusammenkunft wieder, wie sie bei einem Turnier wie der EM zu sehen ist. Nach dem Abpfiff gab es noch ein paar spontane Jubelausbrüche auf der Treppe samt Abklatschen mit den portugiesischen Fans und eine späte, ruhige Zugfahrt zurück mit den polnischen Fans. Manchmal braucht es erst einen Stadionbesuch, um die Faszination einer solchen Veranstaltung verstehen zu können.

 

Fotos: Juliane Jahn, Ultras Karlino ’11