Die Ankündigung einer städtischen Bundesfreiwilligendienststelle (Bufdi) durch den Oberbürgermeister Dr. Stefan Fassbinder (Grüne) erregte so manche Gemüter. Ein kurzer Rückblick.
Der Bundesfreiwilligendienst ist bundesweit seit 2011 ein wichtiger Bestandteil in der freiwilligen, gemeinnützigen und unentgeltlichen Arbeit. Er soll die bestehenden Freiwilligendienste im sozialen und ökologischen Bereich unterstützen, die Aussetzung des Zivildienstes kompensieren und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger fördern. Kurzum: eine größere gesellschaftliche Basis als wichtige Unterstützung in verschiedenen Bereichen wie Integration schaffen. Wären da nicht die persönlichen Belange, welche sich gegen bestimmte bewerbende Personen richteten. Fatal: Aus Integration wird Intrige.
Nach einer Informationsveranstaltung zur neuen Geflüchtetenunterkunft in der Brandteichstraße (Stadtrandsiedlung) im März kündigte der Oberbürgermeister Dr. Stefan Fassbinder an, eine Bufdi-Stelle in der Stadt (§ 13 HS HGW) zu schaffen, um die Arbeit der zuständigen Integrationsbeauftragten, Nadine Hoffmann, zu unterstützen. Sie ist zuständig für alle Grundsatzfragen der Integrationspolitik Greifswalds, kooperiert mit städtisch-wichtigen Institutionen und ist Teil des „Netzwerks Migration Greifswald“, welches seit 2000 verschiedene integrationsfördernde Projekte zur Förderung von Toleranz und Akzeptanz durchführt. Außerdem verwaltet sie dementsprechende Gelder zur Durchführung und Erhaltung weiterer Integrationsprojekte.
Der Aufschrei beginnt
Nachdem bekannt wurde, dass sich eine bestimmte ehrenamtliche Geflüchtetenhelferin auf diese Stelle bewarb, begann der eigentliche Eklat. In der Öffentlichkeit entwickelte sich aus der Thematik der Intregration und Notwendigkeit einer Hilfsstelle für die städtische Integrationsbeauftragte nach und nach eine persönliche Auseinandersetzung mit der Bewerberin. Ihr Engagement in der Notunterkunft der Feldstraße im Oktober und November letzten Jahres, ihre Meinung zur Lage der Geflüchteten und deren Situation in der Turnhalle wurde aufgegriffen, sowie persönliche und öffentliche Facebookposts als Grundlage für eine intrigenartige Positionierung gegen sie verwendet. Nachdem sie sich, wie auch viele andere, im vergangenen Jahr vom „Integration Erwachsener, Jugendlicher und Kinder mit Migrationshintergrund Vorpommern-Greifswald e. V.“ (INTEG e.V.) löste und fast täglich an der Notunterkunft zusammen mit anderen Ehrenamtlichen half, wurde sich ihrer kritischen Einstellung gegenüber der Notunterkunft und INTEG ergötzt. Nach einem Bericht der Ostsee-Zeitung vom 30. März diesen Jahres äußerte sich der Integrationsbeauftragte des Landkreises und Vorstandsvorsitzende vom INTEG e.V., Ibrahim Al Najar (Mitglied der SPD-Fraktion der Greifswalder Bürgerschaft) negativ zur Personalangelegenheit um die Bufdi-Stelle der Stadt. Darin heißt es, dass er eine Zusammenarbeit mit der betroffenen Person als schwierig ansehe und die Stadt sich deshalb überlegen sollte, ob sie die geeignete Person für die Stelle wäre. Aufgrund der fehlenden Zuständigkeit gab es jedoch keine offizielle Stellungnahme des Landkreises.
Christlich-Demokratischer Schall
Auch die hiesige CDU-Bürgerschaftsfraktion meldete sich zu Wort. In der Frage um die geplante Bufdi-Stelle äußerte sich Fraktionschef Axel Hochschild sehr kritisch zur Personalangelegenheit und richtete am 29. März eine kleine Anfrage an den Oberbürgermeister. Darin wollte man u.a. wissen, ob „durch den Oberbürgermeister eine Stelle nach dem BFDG im Bereich der Integrations-/Ausländerbeauftragten geschaffen und besetzt worden ist“ und falls Ja, „Nach welchen Kriterien wurden die Bewerber ausgewählt?„. Darauffolgend kommt der springende Punkt: in den weiteren 9 Fragen des Katalogs geht es lediglich um die betroffene Person. Es wird u.a. hinterfragt:
Welche der unter Ziff. III.3. genannten Kriterien sprachen für die ausgewählte Bewerberin? (…) Ist der Oberbürgermeister der Auffassung, dass jemand, der polariserend aktiv politisch wirkt, in der Lage ist, objektiv seiner Aufgabe bei der Unterstützung der Integrationsbeauftragten der UHGW nachgehen zu können? (…) Trifft es zu, dass Frau Schulz bei der Aktion in der Notunterkunft in der Sporthalle in der Feldstraße, bei welcher aus Protest gegen die angeblich schlechten Unterbringungsbedingungen in der Sporthalle die Betten aus der Halle herausgetragen worden sind, anwesend war und/oder sogar an der Aktion unterstützend oder initiierend beteiligt war?
(Auszug, Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion, vom 29. März 2016)
Aus der eigentlich gewünschten inhaltlichen Thematisierung um eine Bufdi-Stelle zur Verbesserung von Integration und zur Unterstützung der städtischen Integrationsbeauftragten entwickelte sich zunehmend eine intensive Beschäftigung mit einer bestimmten Bewerberin. Nächstenliebe sieht anders aus. Dass diese persönliche Diskussion in der Öffentlichkeit angekommen war, war nicht zuletzt auf die direkte Thematisierung durch die CDU-Anfrage und dem danach folgenden Ostsee-Zeitungsartikel vom 30. März zurückzuführen.
Doch auch in den immer wichtigeren sozialen Netzwerken diskutierte man. In einer Greifswalder Facebookgruppe erschien folgender Post, in dem um ein Meinungsbild zur Personalangelegenheit der Bufdi-Stelle gebeten wurde. Darin heisst es, dass die CDU wohl eine kleine Anfrage gestellt hätte und die Stelle angeblich besetzt worden wäre. Auch die Bewertungsfrage zur betroffenen Person wird gestellt und das Eignungs- und Auswahlverfahren der Stadt zumindest infrage gestellt. Darunter reihten sich eine Vielzahl von Kommentaren, bei denen es um die betroffene Person, die Gesamtsituation der Geflüchteten in Greifswald sowie der allgemeinen Thematisierung „Flüchtlinge“ ging. An diesem Punkt musste man sich spätestens die Frage stellen, wie man wohl am einfachsten die in der Öffentlichkeit angekommene Diskussion weiter entfachen könne – da ist ein Facebookpost ein weiteres, allseits beliebtes, Mittel. Interessant in diesem Aspekt ist zudem das Datum: Bereits fünf Tage vor der kleinen Anfrage der CDU gibt jemand den zusammenfassenden Wortlaut wieder. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.
Rückendeckung von Links
Öffentliche Unterstützung in Form von eigenen Stellungnahmen oder Pressemitteilung zur Thematisierung um die betroffene Person zeigten hingegen nur die Alternative Liste für Greifswald und Vorpommern-Greifswald sowie Die Linke. Gregor Kochhan (AL), Mitglied des Kreistages und des zeitweiligen Sonderausschusses für Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten, zeigte sich entsetzt über das Verfahren der CDU, wie man aus einer Diskussion um eine wichtige Hilfsstelle für die Stadt eine persönliche Anprangerung einer Bewerberin verwandelte. Auch zum Integrationsbeauftragten des Kreises, Ibrahim Al Najar (SPD), äußerte er sich.
Es ist schlicht eine Unverschämtheit, eine Personaldiskussion öffentlich zu führen. Hier geht es zudem nicht um eine politisch sensible Stelle als Amtsleiter, Dezernent oder ähnliches, sondern – ohne das Engagement der Bundesfreiwilligen in Frage stellen zu wollen – nur um eine Bufdi-Stelle. Es wird nur deutlich, dass es der CDU nicht um die Stelle an sich geht, sondern darum, eine Person in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Die angeblichen Vorwürfe, selbstverständlich in Frageform gekleidet, um nicht angreifbar zu sein, gehen an der Sache vorbei und sind im Wesentlichen auf Hörensagen begründet. Aus eigener Anschauung kann ich bestätigen, dass sich die Stellenbewerberin dort eher mäßigend und um Lösungen bemüht zeigte. Im fraglichen Zeitraum war ich nahezu täglich dort und habe das Engagement der Ehrenamtlichen schätzen gelernt. Die Bürgerschaftsmitglieder der CDU, aber auch den Integrationsbeauftragten des Kreises habe ich dort nie bis sehr selten gesehen Der Integrationsbeauftragte des Kreises sollte sich mit seiner persönlichen Meinung über die Stellenbewerberin zurückhalten – umso mehr, als er nicht beruflich mit ihr zusammenarbeiten wird, da sie sich bei der Stadt und nicht beim Kreis bewirbt.
(Gregor Kochhan (AL), Mitglied des Kreistages und des zeitweiligen Sonderausschusses für Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten, in: Personaldiskussion in Inhalt und Form verfehlt, 30. März 2016)
Auch Mignon Schwenke (Die Linke), Bürgerschaftsmitglied und Vorsitzende des Ausschusses für Sport, Soziales und Jugend, deckte der Bewerberin den Rücken und wies darauf hin, dass trotz der Polarisierung der Gemüter sie gleichermaßen behandelt und respektiert werden sollte. Sie würdigte außerdem ihr Engagement in der Geflüchtetenhilfe Greifswalds.
Es besteht kein Zweifel, die Flüchtlingsfrage polarisiert in der Gesellschaft und da mögen zwischen den Auffassungen von Frau Schulz und Mitgliedern der CDU-Fraktion große Unterschiede sein. Aber kann das ein Grund sein, dass Frau Schulz eine solch befristete auf dieses konkrete Aufgabengebiet bezogene Stelle verweigert werden soll? Frau Schulz gehörte von Beginn an zu den aktiven freiwilligen Helferinnen der Flüchtlinge, hat dabei nicht auf die Uhr gesehen, Menschlichkeit bewiesen und sich dazu auch politisch positioniert. Das mag einigen in dieser Stadt nicht passen. Aber genau das qualifiziert sie für diese Stelle. Denn diese Arbeit soll sie leisten – helfen und Vertrauen schaffen.
(Mignon Schwenke (Die Linke), Bürgerschaftsmitglied und Vorsitzende des Ausschusses für Sport, Soziales und Jugend, in: Leserbrief zu den kleinen Anfragen der CDU betreffend Frau B. Schulz, 15. April 2016)
Das letzte Wort hat Bigi Schulz
Auch wenn es zunächst gelungen scheint, meine Existenz sicher zu gefährden, wenn nicht sogar ihr längerfristig erheblichen Schaden zuzufügen – immerhin stellen sich potentielle Auftrag- und Arbeitgeber die Frage, ob sie vieeleicht fürchten müssen von Herrn Hochschild ähnlich vorgeführt zu werden, wenn sie mich beschäftigen – ziehe ich ein positives Fazit. Viele Menschen betrachten das Thema Integration von der menschlichen Seite, hinterfragen auch öffentlich die Flüchtlingsarbeit des Landkreises und das, was in den letzten Monaten versucht wurde unter den Teppich zu kehren. Das kann am Ende nur zum Vorteil der geflüchteten Menschen reichen, die nun endlich auch gehört werden.
(Bild: Bigi Schulz, 16. November 2015, Notunterkunft Feldstraße)
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