Autor: Michael Fritsche
Als uns neulich eine Gesandte der Pharmazie das Leid über unzumutbare Zustände in einem Hörsaal in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße klagte, ließ ich mich nicht lange bitten und nahm mich dieser Sache an. Ich stehe auf alte Gemäuer und lustige Baumängel. Hier geht es um den Hörsaal Ost in der Jahnstraße 15. Dort lauschen angehende Apotheker und andere Naturwissenschaftler den Worten der weisen Vortragenden. Die Gesandte berichtete, dass es im Winter dort bitterkalt und im Sommer unerträglich heiß sei.
Ich habe keine Vorurteile gegenüber Pharmazeuten, aber der Name des Hörsaals sagt doch schon alles. Ost – Das bedeutet sibirische Kälte in den Wintermonaten und Wüsten-Hitze, wenn es auf die Klausuren zugeht. Je näher ich diesem Hörsaal an jenem Donnerstag kam, um so mehr trat die unerklärliche Arroganz eines Veteranen aus mir heraus: „Ach ihr verweichlichten Pharmazeuten! Wenn euch kalt ist, dann baut euch doch Tabletten dagegen! Ihr wisst doch, wie das geht! Wir haben noch Legia Warschau gegen ŁKS Łódź im sinnlosen Ligapokal bei minus 23 °C miterlebt! Erzählt uns nichts von Kälte!“ Nebenan studieren die Geographen und die Geologen im selben Gebäude. Und? Kein Flehen, kein Weinen, kein Jammern! Letztere gelten ja sowieso die Härtesten auf diesem Planeten.
Die alten Gemäuer wirken schon recht seltsam. Ich hätte auf die dreißiger Jahre als Entstehungszeit getippt, aber sie wurden wohl in den fünfziger Jahren errichtet. Das kann hinkommen. Eisenhüttenstadt sieht ähnlich aus.
Innen riecht es nach Krankenhaus. Hier wurde auch das Genlabor untergebracht. Vielleicht kommt es daher. Sicherheitszone II in roter Umrandung und das noch riskanter wirkende schwarz-gelbe Gefahrensymbol der Biogefährdung schaffen nicht gerade eine Wohlfühlatmosphäre. Dann betrete ich den Raum. Es ist klingt nach Klischee, aber soeben lief ich gegen die häufig zitierte Wand eines wohltemperierten, atmosphärischen Widerstands. Der Blick auf die Uhr: Kurz nach acht. Der Raum füllt sich so langsam, aber sogar jetzt merkt man schon deutlich, dass hier was nicht stimmt. Spätestens nach einer halben Stunde müsste auch dem Wetterresistentesten auffallen, dass man hier sehr leicht ins Schwitzen kommt. Gelegentlich spüren die Leute in den obersten Reihen einen Windhauch, da zwei der drei Türen permanent offen stehen. Fenster gibt es auch. 40 Minuten sind erst vergangen und ich will hier schon wieder weg. Zum Glück ist es nur eine 45-minütige Veranstaltung. Die armen Biologen, die danach kommen, müssen es hier 90 Minuten überstehen. Haltet aus!
Es ergibt sich sogar noch ein kleines Gespräch mit dem Vortragenden. Das oberste Gebot lautet hier: Wehe dem, der die Fenster öffnet! Das wurde sogar schriftlich an der Wand festgehalten. Mir wird verraten, dass sich die Rollläden lösen würden, wenn der durch geöffnete Fenster entstehende Luftzug durch den Raum pfeift. Mein Blick geht in Richtung Lüftungsanlage. Die scheint genauso alt zu sein, wie das Gebäude. „Hören Sie was?“, werde ich gefragt und ich muss passen, „ich auch nicht. Es fehlt eine intakte Lüftung. Früher konnte man hier sogar was riechen. Das kam von den sanitären Anlagen“. Klar, dass das kein Blütengeruch gewesen sein wird, wie im aktuell farbenfrohen Arboretum nebenan.
Anscheinend regt sich nun Widerstand und mir wurde ein Kontakt zum Fachschaftsrat Pharmazie vermittelt. Die Fachschaft hat im Dezember eine Unterschriftensammlung ins Leben gerufen. Es ist ein Anfang. Aber Sammlungen sind auch nicht das Gelbe vom Ei. Ottonormalverbraucher geht normalerweise sparsam mit seinen Daten um und außerdem muss stets eine relativ hohe Zahl angestrebt werden, was auch schon bei der am Ende doch noch glimpflich ausgegangenen Ukraine-Krise an der Slawistik trotz massiver Mobilisierung nicht gelang. Die aktuelle Unterschriften-Zahl der Pharmazeuten würde zwar ganz gut den Hörsaal füllen, aber reicht für ein öffentliches Interesse nicht annähernd aus. Man erhofft sich die Hilfe der anderen Fachschaften, da auch die Geographen und Biologen den Hörsaal nutzen, der bereits seit den fünfziger Jahren permanent in Betrieb ist. Die Zahl 2017 schwebt durch die alten Gemäuer. Ab da könnte es vielleicht, wahrscheinlich, so ungefähr, być może, mal sehen konkreter werden in Sachen Baumaßnahmen, wenn nicht schon vorher etwas passieren sollte. Bis dahin heißt es im Sommer „1, 2, 3 Oberkörper frei!“ und Winter „Mantel an!“.
Der FSR hat hier sogar noch Temperaturen gesammelt und stellt weitere Infos zur Verfügung.
Fotos: Michael Fritsche