Autoren: Isabel Kockro und Michael Bauer
Alejandro González Iñárritu konnte mit seinem Film Birdman im Jahr 2015 gleich neun Nominierungen und vier Oscars, unter anderem mit der Auszeichnung als bester Film, abräumen. Entsprechend hoch dürften die Erwartungen des Kinopublikums an das neue Werk des Filmemachers sein. Mit The Revenant präsentiert uns Iñárritu einen Western der Extreme: Survival Story trifft auf Rache-Epos, ein herausragender Leonardo DiCaprio auf einen ebenfalls durchweg überzeugenden Tom Hardy.
Es ist ein kurzer Augenblick der Stille und des Friedens, der Ruhe. Die Familie schläft. Er wird vertrieben von Szenen der Tötung einer Frau, des Feuers, das ein Kind zur Hälfte verbrennt, eines Mannes, der diesem Kind, seinem Kind, immer wieder zuflüstert. „Atme.“, sagt er seinem Sohn, „Atme weiter.“ Die Visionen von seiner toten Frau und dem Tag des Überfalls, vielleicht sollte man sie lieber Erinnerungen nennen, suchen Hugh Glass, der von Leonardo DiCaprio verkörpert wird, im Verlauf des Filmes noch des Öfteren heim. Wir befinden uns im Amerika des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Es ist Winter, ein sehr kalter. Es ist still als Hugh Glass sein Gewehr entsichert, das Knacken ist deutlich zu hören. Sein Sohn ist nun fast erwachsen und man sieht ihm an, dass seine Mutter Indianerin war. Sie sind auf der Jagd nach Wild. Schließlich ertönt das Knallen des Schusses und das Tier fällt zu Boden. Ein paar hundert Meter entfernt schrecken ein paar Männer fluchend auf. Sie sind nervös, packen die letzten Felle zu Paketen zusammen ehe die Fahrt über den Fluss zurückgehen soll, um dort für ihre Ausbeute entlohnt zu werden. Die Gegend ist weitgehend unerforscht, die Männer kennen sie nicht gut. Die Indianer hingegen kennen das Land. Die Jäger ahnen noch nicht, dass sie bereits so gut wie umzingelt sind. Dann trifft der erste Pfeil sein Ziel und der Kampf entbrennt. Bereits an dieser Stelle wird dem Zuschauer klar: An Brutalität mangelt es weder dem Menschen noch dem Film. Es wird erschossen, erstochen, erwürgt und zerhackt. Und die Kamera ist dabei so nah dabei, dass man sich glatt als Teil des Getümmels fühlt.
Vom Kampf ums Überleben
Und darin zeigt sich ein wesentliches Merkmal von The Revenant. Der Zuschauer soll den Film nicht nur sehen, sondern auch darüber hinaus wahrnehmen können. Die nahe Kameraführung, die großartigen Naturaufnahmen, bei denen sich Zeit gelassen wird, damit sie wirken können, die Konzentration auf Szenen, die Bilder von physischem wie psychischem Schmerz, von großen Anstrengungen zum Erzielen nur kleiner Erfolge zeigen, lassen den Beobachter tatsächlich mitfühlen. Nein, in der Zeit will man nicht gelebt haben, zumindest nicht dort. Und nein, auch den Qualen, die Hugh Glass erleidet, möchte man sich nicht unterziehen. Wenn also Gewalt genauso wie die verschneiten Wälder und vereisten Ebenen in diesem Film umfangreich dargestellt werden, dann nicht nur, weil so mancher Kinogänger vielleicht eine Vorliebe für actiongeladene, brutale Szenen hat, sondern weil der Kampf ums Überleben dem Zuschauer ein Stück weit nachempfindbar präsentiert werden soll. Dieser Kampf ist es, der sich wie ein roter Faden durch den Film zieht. Sicher, der ausschlaggebende Punkt der Handlung ist Hughs Wunsch nach Rache an dem habgierigen John Fitzgerald, ebenfalls Mitglied der Jägergruppe, gespielt von Tom Hardy. Warum und wieso soll hier nicht erläutert werden, um Spoilern vorzubeugen. Nur so viel sei gesagt: Wirklich sympathisch waren sich die beiden von Beginn an nicht. Der Kampf gegen die Gewalten der Natur und der Menschen untereinander aber, machen den größten Teil von The Revenant aus. Den ausgemachten Bösewicht gibt es dabei nicht wirklich. Die Indianer kämpfen um Land zum Leben, das einst ihnen gehörte, und darum, entführte Personen wiederzufinden und zurückzuholen. Ihre weißen Rivalen um ihren Lebensunterhalt. So brutal die gezeigten Handlungen auch sein mögen, die Beweggründe der Figuren sind dennoch meist nachvollziehbar. Selbst John Fitzgerald ist kein bitterböser Charakter. Raffgierig und skrupellos ja, aber sonst auch eher nur um seinen Verbleib besorgt.
Durchweg überzeugendes Schauspiel
Dass die Strapazen des Hugh Glass so realistisch wirken, ist vermutlich vor allem den Bedingungen geschuldet, unter welchen die Dreharbeiten stattfanden. Denn gedreht wurde in der Natur, so wie sie gezeigt wird. Das bedeutet: klirrende Kälte, vereiste Wälder, eiskalte Flüsse, in die DiCaprio sich begab, echte Tierkadaver, in die sich gelegt wurde, um zu drehen, wie sich Hugh Glass über Nacht vor dem Erfrieren schützen will. Der Schauspieler und Mitarbeiter des Sets gaben an, häufig an ihre körperlichen und psychischen Grenzen gestoßen zu sein. Doch die Mühen haben sich gelohnt. Leonardo DiCaprios Schauspiel ist absolut überzeugend. Das gilt aber ebenso für den Rest der Besetzung. Es gibt keine Szene, keinen Dialog und keine Geste oder Mimik, die nicht authentisch rüberkäme. Man zweifelt keine Sekunde lang an der Wahrheit des Gesehenen. Es ist höchstens ein Minimum an Animationen, die ins Auge stechen und dem Zuschauer wieder ins Bewusstsein rufen, dass die Welt vor ihm nicht die wirkliche ist. Aber wie will man auch beispielsweise den Kampf eines Mannes mit einem Bären ohne Animationen drehen, zumindest wenn er so schlimm verläuft. Für Bär und Mann. Aber solche Animationen beschränken sich glücklicherweise aufs Geringste. Man denke zurück an die Hobbit-Trilogie, die so vollgestopft mit offensichtlichen und dadurch völlig störenden Computertricks war, dass einem die Lust vergehen konnte. The Revenant macht es anders und setzt fast ausschließlich auf Realaufnahmen. Selbst das Licht soll völlig natürlich sein.
Eine zu dünne Story?
Diesen Vorwurf muss sich Iñárritu bezüglich seines Letztwerkes des Öfteren gefallen lassen. Ein Vorwurf, der uns ein wenig absurd erscheint. In The Revenant geht es um Überlebenskampf, um Isolation in der extremen Natur. Darum, alle Reserven aufzubringen, die einem bleiben, nur um sich überhaupt am Leben erhalten zu können. Darum, dieses Gefühl mit den Zuschauern zu teilen, es ihnen aufzuzwingen, damit sie es nachleben können und eine Vorstellung von einem anderen Leben erhalten können. Das Rache-Epos ist sozusagen nur der Mantel, der diesen Körper umhüllt. Und wir empfanden es durchaus als erfrischend, einmal keine künstlich in die Handlung gezwängte Liebesgeschichte vorzufinden, wie es sie in jedem Streifen gemäß dem Hollywoodbaukasten 08/15 gibt. Die genannten Vorwürfe erscheinen also ein wenig so, als werfe man einem Film, der von der Isolation von Häftlingen handelt, vor, er zeige zu viele Gitterstäbe und ein zu kleines Zimmer.
Wie ist The Revenant nun also zu bewerten? Nun, wer auf Filme steht, die eher dem typischen Hollywoodraster, dem lange Szenen, in denen wenig gesprochen wird und die auch nicht mit Action aufwarten, wird an diesem Film wohl keine Freude haben. Allen anderen, die sich am Anblick von Naturaufnahmen erfreuen und blutige Szenen verdauen können, sei eine absolute Empfehlung ausgesprochen. Am Ende ist es natürlich eine Frage des Geschmacks, ob ein Film gefällt oder nicht. Aber allen Negativkritiken zum Trotz halten wir The Revenant für einen der besten Filme der letzten Jahre.
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