Autoren: Constanze Budde, Julia Schlichtkrull, Philipp Schulz und Katerina Wagner

Alle Jahre wieder… geht es mit dem Zug an Weihnachten nach Hause zu der Familie, den alten Freunden und dem leckeren Essen von Mami. Zwischen all dem Schönen und mir liegen jedoch noch über zehn Stunden Zugfahrt. Es überrascht mich immer wieder, wie viel es auf einer Zugfahrt zu erleben und zu entdecken gibt. 

Aber sie sagt es ohne Worte. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich die erste Hälfte meiner Heimfahrt hinter mir habe. Halbzeit! Hier erscheint mir diese Fußballmetaphorik durchaus sinnvoll. Ich muss grinsen, je näher ich der Heimat komme, desto fröhlicher und ausgelassener werden meine Gedanken. Ich atme tief ein, bis sich meine Brust hebt und mit einem „Hchmm“ atme ich wieder aus.

Ich sollte es schaffen, wenigstens noch ein Stündchen Schlaf zu bekommen, die letzten Abende in Greifswald waren voll mit Weihnachtsfeiern und sämtlichen Housepartys, vor Weihnachten will einfach jeder noch einmal die Partysau rauslassen… Ich zücke mein Ticket und studiere, wie lange ich noch Zeit habe, bis ich umsteigen muss. Zwei Stunden, bestimmt halten wir nicht mehr allzu oft. Ich packe mein Buch, das immer noch auf dem Tisch liegt, zurück in die Tasche. Meine Jacke stopfe ich noch in die Gepäckablage über mir, so dass ich den Platz einigermaßen ordentlich verlasse. Die Omi nickt mir lächelnd zu und versichert mir, sie wird ein Auge auf meine Sachen haben. Bewaffnet mit Handy und Kopfhörern mache ich mich auf den Weg durch den Zug, in eines der letzten Zugabteile, in der Hoffnung dort einen ruhigen Platz und etwas Schlaf zu finden.

Nach einer Wanderung, die gefühlt eine Ewigkeit dauert, finde ich ein Abteil, in dem wenige Fahrgäste sitzen, zielstrebig halte ich auf den Zweisitzer in der vorletzten Reihe zu. Mir ist etwas frisch – ich hätte doch meine Jacke mitnehmen sollen! Ich stöpsle die Kopfhörer ans Handy, mach meine Lieblingsplaylist an und setze mich mit Rücken zum Fenster. Ich winkle meine Füße, die ich auf den Sitz am Gang gestellt habe, an. Mit geschlossenen Augen lausche ich der Musik, und dem gleichmäßigen Rattern, das die Räder des Zuges auf den Schienen veranstalten.

Ein Frösteln lässt mich hochschrecken. Der Zug hält gerade, die Türen sind offen, Passagiere steigen zu, andere aus. Der frische, kalte Luftzug, der nun durch den großen Wagen strömt muss mich wohl geweckt haben. Hektisch werfe ich einen Blick auf mein Handy – puh, der Wecker ist gestellt und ich hab noch zwanzig Minuten, die ich ganz entspannt hier sitzen kann. Ein schriller Ton ertönt, die metallische Durchsage wird sofort im Anschluss abgespielt, leblos wie ein Roboter rattert die Person im Lautsprecher herunter, dass alle sich aus dem Bereich der Türen entfernen sollen und dann schließen diese sich mit einem Rums. Erstaunlicherweise hat niemand unser Abteil betreten, so dass das geschäftige bis hektische Treiben, das immer einhergeht mit der Platzsuche und dem Kofferverstauen, ausbleibt. Wobei, „erstaunlicherweise“ ist nicht ganz ehrlich formuliert. Ich sitze ja extra in einem der letzten Zugwaggons, weil ich meine Ruhe haben will.

Nun öffnet sich die Abteiltür doch und herein kommt eine junge Frau in Tarnkleidung. An den Schultern sind Deutschlandfahnen angenäht. Stiefel und ein Sack über der Schulter, das alles sieht verdächtig nach Wehrdienst aus. Aber sie ist so jung!?

Meine Müdigkeit ist verflogen, ich setzte mich auf. Sie setzt sich auf den Zweier mir gegenüber, nur der Gang ist zwischen uns. Mit Leichtigkeit stämmt sie den Sack, der für mich recht schwer aussieht, über den Kopf und verstaut ihn in der Ablage. Dann setzt sie sich genau wie ich mit Rücken zum Fenster. Wir schauen uns also an. Ich überlege, ob es wohl zu frech wäre, sie anzusprechen, da nimmt sie mir diese Entscheidung ab.

„Na, auch auf dem Heimweg?“ „Ja genau,“ mehr fällt mir fürs Erste nicht ein.

Sie wirft einen Blick in die Gepäckablage über mir. „Du hast kein Gepäck dabei?“ „Oh, nein.“ Ich muss lachen. „Ich sitze eigentlich viel weiter vorne, ich wollte mir ein wenig Ruhe verschaffen und bin deshalb auf ‚Wanderschaft‘ in dieses Abteil gelangt,“ erkläre ich.

„Na dann, ich dachte du reist mit Luft und ohne Jacke.“ Sie hat Humor, das muss man ihr lassen.

„Bist du bei der Bundeswehr?“ „Ja, aber noch mache ich freiwilligen Wehrdienst.“ „Noch? Heißt das, du willst Soldatin werden?“

„Ich weiß es nicht. Aber es gefällt mir bei der Bundeswehr. Ursprünglich wollte ich nach der Schule einfach etwas machen, das nicht allzu üblich ist. Ich mag Leistungs- und Kampfsport sehr gerne und dachte, das könnte ich beim freiwilligen Wehrdienst vereinen. Der Umgang mit Waffen war neu für mich, aber diese Erfahrung finde ich nach wie vor gut. Nachdem ich jetzt knapp anderthalb Jahre dabei bin, würde ich gerne meine Berufsausbildung bei der Bundeswehr machen.“

Ich bin erstaunt. Von diesem schlanken, blonden Mädchen – so jung, wie sie aussieht – hätte ich nicht so eine Ansage erwartet.

„Was willst du denn machen bei der Bundeswehr?“ Sie lächelt mich an: „Du hast dich damit noch nicht beschäftigt, oder?“ Ich bin etwas verlegen. „Nein, merkt man das?“ „Ja schon, aber das ist ja nichts Schlimmes. Viele sind erstaunt, wenn sie hören, was man alles machen kann bei der Bundeswehr. Ich will beispielsweise studieren. Management und Medien, das wird bestimmt interessant und ich werde in Hamburg wohnen.“ Sie hat einen verklärten Gesichtsausdruck. Hundegebell – mein Wecker erinnert mich daran, dass ich auf meinen Platz zurück sollte. „Ich muss bald umsteigen, ich wünsche dir eine gute Heimfahrt, das war ein interessantes Gespräch.“ „Danke, ich dir auch und frohe Weihnachten!“ „Das wünsche ich dir natürlich auch.“

Mit diesen Worten erhebe ich mich und mache mich auf den Rückweg zu meinem Platz. Für mich wäre das nichts.

 

Beitragsbild: Claude Monet: Train in the Snow (1875) (public domain), bearbeitet von Philipp Schulz