geschrieben von Diana Rümmler
Was Tarifverhandlungen, Ausbildungsqualität und schlechtes Timing gemeinsam haben.Die Universitätsmedizin heißt nicht nur so, weil es gut klingt, sondern weil sie als Bestandteil der Universität neben der medizinischen Versorgung auch einen Lehr- und Forschungsauftrag hat. Hochquallifiziertes Personal soll die Ausbildung diverser natur- und wirtschaftlichen Fachrichtungen vorantreiben. Doch wenn der betriebliche Ablauf ins Wanken gerät, wer soll dann noch ausbilden?
Der ganzer Platz voll gelber Warnwesten und jede Menge Trillerpfeifen. Dieses vertraute Bild der letzten Monate konnte kürzlich auch in Greifswald vermehrt beobachtet werden. Vor dem Haupteingang des Universitätskrankenhauses versammelten sich am Donnerstag, den ersten Oktober 2015 schon zum dritten Mal mehrere hundert Gewerkschaftsmitglieder und Angestellte des Universitätsklinikums Greifswald, organisiert von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.
Es geht um das, worum es meistens geht: Geld. Befasst man sich jedoch näher mit der Materie, wird schnell klar, dass es um sehr viel mehr geht als nur das liebe Geld und den Unmut einiger Krankenschwestern. Der Hintergrund dieses Tauziehens ist die geplante Anpassung des regionalen Tarifvertrags von Greifswald und Rostock an den Tarifvertrag der Länder (TV-L). Doch während Rostock ungeduldig, mit den Füßen scharrend darauf wartet, endlich die Verträge unterzeichnen zu können, finden die Greifswalder nicht einmal ihre Startposition.
Das große Kräftezehren
Dem Krankenhaus ist es gelungen im vergangenen Jahr ein sattes Minus von 14 Millionen Euro zu erwirtschaften. Wie das geschehen konnte, sei an dieser Stelle mal dahin gestellt. Erklärungsversuche beziehen sich auf zu hohe Personalkosten, besonders im Medizinisch Technischen Dienst und der Verwaltung. Hätte man bei dieser Argumentation den Pflegebereich mit eingeschlossen, würde die Glaubhaftigkeit gleich flöten gehen, denn dass bundesweiter Personalnotstand in diesem Sektor herrscht, ist kein Geheimnis. Andrea Moder, Gewerkschaftssekretärin bei ver.di kann diesen Ansatz keineswegs nachvollziehen, denn Anhand der Jahresabschlussbilanz seien Mehrkosten im Personalwesen keineswegs ersichtlich.
Traurig ist es, dass bei den Debatten all zu oft die Schuldfrage in den Vordergrund rückt. Fakt ist, dass irgendwas schief gegangen ist. Die Frage ist nun jedoch, wie dieses Problem gelöst wird, ohne das es auf Kosten der qualitativen Versorgung der Greifswalder geht.
Als Lösung schlägt der Arbeitgeber vor, unter anderem die Arbeitszeit zu verkürzen und den Arbeitnehmer mit einer höheren Selbstbeteiligung bei der Altersvorsorge zu beteiligen. Denkt man diesen Ansatz nochmal quer, bekommt man Falten im Gehirn: Übersetzt soll das heißen, dass die Arbeitnehmer weiterhin ihre „40 Stunden-plus“-Woche arbeiten, offene Stellen nicht mehr besetzt werden, womit die Arbeitsbelastung zunimmt oder zumindest gleich hoch bleibt, aber nur noch 38 Stunden bezahlt werden und das alles unbefristet. Wenn man sich mit den Streikenden unterhält, donnert einem ein wahres Schimpfgewitter entgegen: „Wir sind doch daran nicht schuld! Warum sollen wir die Misswirtschaft deckeln?! Nach 38 Stunden einfach gehen, ist bei der jetzigen Personaldichte nicht drin!“ Damit aber noch nicht genug. Das „Lohnplus“ durch die Anpassung der Tarifverträge geht durch den höheren Altersvorsorgeanteil direkt wieder baden. In diesem Kontext braucht man sich wohl nicht mehr wundern, wenn auf den Stationen „Land unter“ eher die Regel als die Ausnahme ist.
Wenn alle zu beschäftigt sind…
…wer bildet dann noch aus? Früher oder später trifft es jeden Auszubildenden: Erster Tag im Praktikum, alles ist neu und ungewohnt. Wer nach der viel zu kurzen Einweisung am neuen Arbeitsplatz noch weiß, welchen Namen das zu schnell sprechende Gesicht hatte, hat einen guten Start erwischt. „Ich bin genervt, wenn mich jemand was fragt. Dafür habe ich gar keine Zeit mehr.“ erzählt eine der Streikenden und führt weiter aus: „Oft müssen wir die Studenten ohne Beschäftigung stehen lassen, weil die Arbeit sonst nicht zu bewältigen wäre. „Der Tisch darf nicht kalt werden!“ paraphrasiert eine Krankenschwester der Radiologie ihren Chef.
Glücklich ist mit der Situation keiner. Auch wissenschaftliches Personal, Ärzte und Patienten finden sich zwischen den Trillerpfeifen wieder. Viel Geduld wurde allen in der Vergangenheit abverlangt, als schon frühere Fehlkalkulationen auf Kosten der Arbeitsplatzqualität gedeckelt wurden. Hochqualifiziertes Personal wandert ab und hinterlässt unschließbare Lücken in der Versorgung, Ausbildung und Forschung.
Dass es bisher noch keine Kommunikation zwischen studentischen Gremien und ver.di gab, liegt daran, dass ver.di nur direkt von den Tarifverhandlungen betroffenes Personal zum Streik aufrufen darf. Auszubildende jeder Art haben einen eigenen Tarifvertrag sobald sie in irgendeiner Form des Beschäftigungsverhältnisses zum Klinikum stehen. Dieser sollte dringend einmal bestreigt werden, da er schon seit 2008 gilt, ist aber nicht Bestandteil der jetzigen Verhandlungen. „Es gibt am Klinikum mehrere hundert Auszubildende, aber nur 20 organisieren sich über die Gewerkschaft. Damit sind uns die Hände gebunden.“ bedauert Bernd Gembus, Geschäftsführer der hiesigen Bezirksverwaltung von ver.di. Obgleich die Auszubildenden bei diesem Aufruf keinen finanziellen Nachteil hätten, wenn die Verhandlungen scheitern, betrifft es aber in nächster Instanz direkt die Ausbildungsqualität. Es wäre also reiner Eigennutz wenn sich die Studierendenschaft solidarisch zeigt. „ver.di würde die Unterstützung der Studierenden sehr begrüßen.“ sagt Bernd Gembus weiter und bekräftigt „ großes Interesse daran, die Kommunikation zu den Gremien zu verbessern“.
Wer in den nächsten Wochen krank wird, sollte das gut timen!
Nachdem das letzte Angebot des Arbeitgebers eine weitere Verschlechterung der ursprünglichen Positionierung war, stellen Kompromisse nun keine Verhandlungsgrundlage mehr dar, erläutert Moder. „Mit einem Einlenken des Arbeitgebers ist in Kürze nicht zu rechnen“. Sollte diese Einschätzung zutreffen, resultiert am elften Oktober eine Urabstimmung, bei welcher über einen Generalstreik abgestimmt wird. Dieser wird den Betrieb des Krankenhauses grundlegend lähmen. Die Stationen werden dann mit Wochenendbesatzung laufen, womit die stationäre Versorgung gewährleistet werden kann, aber ambulante Eingriffe und Untersuchungen gestrichen werden müssen.
Die Patienten haben bislang Verständnis und Unterstützung gezeigt. Klar ist aber, dass dieses Verständnis nicht ewig dehnbar ist – der gemeinsame Nenner also auch schnell verloren gehen kann, sollte eine Einigung längerfristig auf sich warten lassen.
Beitragsbild: Magnus Schult