Reportage von Aaron Jeuther.

Welche Religionen werden in Greifswald praktiziert? Dieser Frage ging das moritz.magazin im letzten Heft auf den Grund. Schon seit fast 15 Jahren etwa gibt es das Meditationszentrum für Diamantweg-Buddhismus. Was zuerst im privaten Wohnzimmer praktiziert wurde, wird nun in der Wiesenstraße den Greifswaldern näher gebracht. Der webmoritz. besuchte einen Vortrag.

Ich blicke auf die triste Fassade einer Wohnung direkt an einer Straßenkreuzung. Hausnummer 19. Die Adresse scheint zu stimmen. Viel Zeit zum Suchen bleibt mir ohnehin nicht mehr, denn um Punkt 20 Uhr, sprich in zehn Minuten, würde es losgehen. Ich lasse meinen Blick also ein letztes mal kreisen, doch Etwas erkennbar spirituelles oder wenigstens ein größeres Gebäude, in dem man einen Vortragssaal vermuten könnte, ist auch jetzt nirgends zu erkennen. Ich gehe ein paar Schritte näher heran und ein Blick auf das Schild an einem der Fenster verrät mir, dass ich nicht weiter suchen muss.

Ich trete ein, ziehe im Eingangsbereich meine Schuhe aus und treffe auf eine kleine Gruppe von Menschen, die bei einer lockeren, familiären Atmosphäre und netten Gesprächen gemeinsam essen. Für einen Moment frage ich mich, ob ich nicht doch im falschen Haus bin, doch die netten Begrüßungen und eine kurze Aufklärung belehren mich eines besseren. Ich nehme also Platz und lehne dankend das Angebot ab eine Kleinigkeit mitzuessen. Mit am Tisch sitzt Jutta Seiler, eine buddhistische Lehrerin, die regelmäßig Vorträge an den verschiedenen Buddhistischen Zentren in Deutschland hält. Mein Versuch Jutta zu siezen wird von der in ihrem „alten Leben“ – wie sie es nennt – an der TU Berlin arbeitenden Ingenieurin, im Keim erstickt, denn im buddhistischen Zentrum wird ein familiärer und persönlicher Umgang gepflegt.

Nach dem gemeinsamen Essen bewegen wir uns in einen etwa 20m² großen Raum. Weiße Wände, weißer Teppich, buddhistische Gemälde sowie Porträts der westlichen Lehrer des Diamantweg Buddhismus‘ geben dem Ort den typischen Flair. Ein altarähnlicher weißer Tisch, auf dem sich buddhistische Figuren, eine Kerze und ein Foto des Lama Ole Nydahl, dem ersten westlichen Vertreter und Gründer zahlreicher Diamantweg Zentren, befinden, runden den spirituellen Raum ab.

Vor den weißen Tisch setzt sich Jutta auf einen kleinen roten Teppich. Alle anderen setzen sich im ganzen Raum verteilt auf kleine Sitzkissen.

Das Grundproblem: Nichts ist von Dauer

Jutta erzählt von Buddha Siddharta Gautama, der vor Rund 2500 Jahren gelebt hat und als Gründer des Buddhismus gilt. Buddha habe damals das Grundproblem des menschlichen Daseins festgestellt. Nämlich, dass nichts von Dauer sei. Ruhm, Freude, Freunde, materielle Dinge. Alles sei veränderlich, von etwas abhängig und letztendlich vergänglich und somit mögliches Leid. Also fragte sich Buddha, ob es einen Weg zu dauerhaftem Glück gebe und begab sich auf die Suche, indem er unter anderem sehr viel meditierte. Auf seine Fragen suchte er praxisorientierte und lebensnahe Antworten, die im täglichen Leben anwendbar sind.

Die buddhistische Lehrerin Jutta Seidler.

Die buddhistische Lehrerin Jutta Seidler.

Buddha kam zu der Erkenntnis, dass es vier edle Wahrheiten gebe, die veranschaulichen wie Leid entstehe und wie man es einem möglich sei Leid zu überwinden, so Jutta. Nach Buddhas Lehren sind die Gründe des Leids einengende Angewohnheiten wie Gier, Hass, Verblendung etc. Diese Formen des Leides entstehen laut Buddha dadurch, dass die Menschen die Welt als eine duale sehen und somit sich selbst von allen anderen Menschen getrennt wahrnehmen. Diese Einteilung in „ich“ und „du“ ermöglicht erst die Distanz zu anderen Wesen, die Gier, Hass und Verblendung und damit Leid zulässt, erzählt die erfahrene Buddhistin. Dieser – wie Jutta ihn nennt – „prinzipielle Bauteilfehler“ stehe uns auf dem Weg zu einem dauerhaften Glück im Wege, denn jeder Mensch habe das Gleiche Potenzial zu „uferlosem“ Glück. Meditieren ist dabei im Buddhismus eine essentielle Methode, um zu lernen einengende Gedanken auszublenden bzw. „an sich vorbei ziehen zu lassen“ und damit den sogenannten Geist zu schulen. Mit unserem Geist sei es uns möglich zu erleben. Dieses Erleben könne erst durch das Überwinden aller einengenden Gedanken zu grenzenlosem Glück führen. Um den Zuhörern das zu verdeutlichen vergleicht Jutta die Menschen mit Gollum aus „der Herr der Ringe“, denn sie machen ihr Glück von einem Schatz abhängig und wollen an diesem verzweifelt festhalten. Jedoch solle man sich nicht an seinen Reichtum oder an einen Moment der Freude klammern, denn wenn der Reichtum bzw. der Moment vorbei ist, vergehe das Glück und es entstehe Leid.

Bleibender Eindruck vom Vortrag und dem Abend als Ganzes

Jutta fängt an, über Mitgefühl und Weisheit zu reden, dem eigentlichen Vortragsthema. Sie spricht davon, dass Liebe und Mitgefühl zum Besten aller Wesen zur Erleuchtung führe und dass man Menschen nicht in gläubig und ungläubig oder in mögen und nicht mögen einteilen solle, sondern sich viel mehr bewusst sein soll, dass alles nur Menschen seien. Demnach solle man auch Menschen die voller Hass und Zorn sind gute Wünsche entgegen bringen, fährt sie fort. Erstaunlich finde ich die Offenherzigkeit und Heiterkeit während des Vortrags. Es wird viel gelacht und Jutta zeigt sich für jede Zwischenfrage sehr dankbar. Sie erzählt nun von der Weisheit, die einem, wenn man sie erlangt hat, ermögliche immer das Passende zu sagen und zu tun.

Eine Weile später ist der Vortrag dann vorbei und es wird abschließend noch gemeinsam meditiert, bevor gemütliches Beisammensein angesagt ist. Es werden anregende Gespräche geführt und auch ich finde mich schnell in einem Dialog über Religionen und Dinge wie den Sinn des Lebens wieder. Nach einer Weile fällt mein Blick auf die Uhr. Bereits kurz vor 01 Uhr. Ich verabschiede mich und gehe nach draußen. Als mein Blick noch einmal zurückfällt, sehe ich wieder nur die äußere Fassade, die so gar nicht verrät, was einen dort drin erwartet.

Fotos: Aaron Jeuther