Bild1Ein Beitrag von Iwan Parfentev.

„Medien wie Computerspiele sind ein effektives Werkzeug für ethisches Lernen und können zur Persönlichkeitsentwicklung junger Heranwachsender beitragen“, so die These von Professor Roland Rosenstock, der am vergangenen Montag, den 03. November 2014, den Auftakt zur jährlichen Vorlesungsreihe „Universität im Rathaus“ bildete.Der Lehrstuhlinhaber für praktische Theologie, Religions- und Medienpädagogik sprach über ethische Herausforderungen in Computerspielen am Beispiel von „Grand Theft Auto (GTA V)“. Die Vorlesungsreihe existiert bereits seit zehn Jahren mit dem Ziel, die Forschung an der Universität Greifswald auch den Greifswalder Bürgern verständlich nahe zu bringen. Dementsprechend dominierten Nicht-Studenten den Kreis der Zuhörer. Auf die Frage hin, wer denn Computerspiele spielte, meldeten sich sodann nur ein halbes Dutzend der anwesenden Studenten. Da dem Großteil des Publikums das Internet ein Neuland zu sein schien, erklärte der Dozent die fortgeschrittene Medialisierung der Alltagswelt. Man kommuniziert über Facebook und Whatsapp, spielt zwischen den Vorlesungen Farmville oder Quizduell gegen Freunde, bezieht die Skripte zu den Vorlesungen aus dem HIS-Portal und erstickt jede aufkommende Wissenslücke mit einer Suchanfrage bei Wikipedia im Keim. Das Internet wird somit zu einem erweiterten sozialen Raum, in dem zusammen gespielt, gelernt, recherchiert und eingekauft wird, wobei eine Unterscheidung zwischen Realität und virtueller Welt weitgehend überholt ist.

Durch soziale Netzwerke, Youtube und Onlinespiele ist das Internet partizipationsoffen, jeder kann sich einbringen, sich selbst darstellen und mit anderen Menschen in Kontakt treten. In einer kürzlichen Veröffentlichung zum gleichen Thema in der Zeitschrift für evangelische Ethik führt Roland Rosenstock aus, dass im Gegensatz zu Büchern und Filmen der Konsument in Computerspielen durch die Handlungsmöglichkeiten viel stärker involviert ist. Unterstützt von einer komplexen Hintergrundgeschichte und einer künstlerisch anspruchsvollen, visuellen Umsetzung identifiziert sich der Spieler mit seinem Avatar, der Spielfigur, die das Subjekt seiner Handlungen im Spiel ist. Durch das aktive Handeln in Spielwelten werden vom Spieler auch moralische und ethische Entscheidungen abverlangt.

GTA V – Spiegel der US-amerikanischen Gesellschaft

Ein Wallpaper von GTA V.

Ein Wallpaper von GTA V.

Roland Rosenstock führte dies am Beispiel von „GTA V“ aus. Der 15. Titel der GTA-Reihe ist ein ökonomischer Superlativ: In den ersten drei Tagen nach Veröffentlichung brachte das Spiel dem Entwickler Rockstar Games eine Milliarde US-Dollar Umsatz, innerhalb eines Jahres sind mehr als 34 Millionen Kopien des Spieles weltweit verkauft worden. Mit dem Erfolg kam auch die Kritik, vor allem an einer bestimmten Mission, in der man als Trevor Philips, ein Antiheld und Psychopath, eine unschuldige Person foltern muss. Diese soll Informationen zu einer Zielperson verraten. Zeitlich parallel dazu springt der Spieler in die Rolle von Michael Townley, Ehemann und Vater, der aus finanziellen Gründen in seine kriminelle Vergangenheit abrutscht. Der Spieler bekommt als Michael die Informationen, die der Spieler als Trevor durch die Folter herauskriegt, per Telefon und soll anhand dessen die Zielperson erkennen und ausschalten. Nacheinander muss der Spieler als Täter vier Foltermethoden anwenden: Elektroschocks, mit schwerem Werkzeug auf das Opfer einschlagen, Waterboarding und mit einer Zange einen Zahn rausreißen. Währenddessen schreit das Opfer und beteuert seine Bereitschaft zu kooperieren, was von dem anwesenden Mitarbeiter eines Geheimdienstes, der die Folter anordnet, ignoriert wird.

Es gibt keine Möglichkeit diese Sequenz zu überspringen oder abzubrechen, ohne die Mission wiederholen zu müssen, man muss sich wortwörtlich durchquälen. Die ganze Szene ist so konzipiert, dass man den Sinn dieser Folter hinterfragt, da das Opfer ohnehin kooperieren möchte. Des Weiteren wird es dem Spieler durch die abstoßende Charakterdarstellung des Trevor Philips und durch die Handlungssprünge zu Michael sehr schwer gemacht, sich mit diesem Charakter zu identifizieren. Vor allem das Waterboarding muss als Gesellschaftskritik in Anspielung auf die damals legalen Verhörpraktiken von Terrorverdächtigen in der Ära von Bush verstanden werden. Der Geheimdienstmitarbeiter will am Ende, dass Trevor sich des Opfers entledigt. In einer Videosequenz widersetzt sich Trevor und fährt das Opfer zum Flughafen. Während des Gesprächs im Auto gibt Trevor zu, dass die Folter sinnlos war und schließt mit dem Satz: „Folter ist nur für den Folterer da, oder für denjenigen, der sie anordnet. Man foltert um des Spaßes willen. Wir alle sollten uns das eingestehen. Um an Informationen zu gelangen ist es nutzlos.“

„Was in einer fiktiven digitalen Realität interaktiv möglich ist, ist in der realen Welt unbedingt abzulehnen“

So kontrovers diese Szene auch ist, „GTA V“ wird in Deutschland dennoch unzensiert verkauft. Ein ähnlich kontroverses Spiel war „Call of Duty: Modern Warfare 2“ aus dem Jahr 2009. In einer Mission ist der Spieler als verdeckter Ermittler innerhalb einer Terrorgruppe auf einem russischen Flughafen und beteiligt sich an einem Blutbad an Zivilisten. In der US-amerikanischen Version kann der Spieler auf Zivilisten schießen, in der deutschen Version führt dies zum Spielabbruch, der Spieler muss zusehen oder darf die gesamte Mission überspringen.

Beide Spiele sind umstritten, beide Spiele thematisieren aktuelle Problemfelder: Terrorismus und die Missachtung von elementaren Menschenrechten. Das eine Spiel zwingt den Spieler in die Täterrolle, das andere erlaubt das Überspringen der verstörenden Mission. „Modern Warfare 2“ visualisiert unreflektiert ein Blutbad gegen Unschuldige, während „GTA V“ mehrere Denkanstöße liefert, das Gesehene zu hinterfragen. Trotz der brutalen Darstellung wird die Szene von Professor Rosenstock und vermutlich auch vom USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) als Mustererzählung gegen Folter mit abschreckender Wirkung angesehen. Nach dem griechischen Prinzip der Katharsis durchlebt der Spieler die Folter und erahnt, was es bedeutet gefoltert zu werden, um es in der Realität abzulehnen. Dass es einen gewissen Grad an Reife voraussetzt diese Stufe der Reflexion zu erreichen, ist unbestreitbar. Nicht umsonst ist das Spiel erst ab 18 Jahren erhältlich.

„Gehen Sie zu Ihren Enkeln hin und fragen Sie, was sie dort spielen“

Kontrolliert eingesetzt haben Computerspiele somit einen Platz in der Medienbildung, verlangen aber einen Austausch zwischen den Generationen, wenn sie nicht weiter auf „Killerspiele“ reduziert und als Zeitverschwendung betrachtet werden sollen. Leidenschaftlich animierte Rosenstock die älteren Zuhörer sich mit den Spielen ihrer Kinder und Enkel auseinanderzusetzen. In der von ihm mitbegründeten Computerspielschule in der Stadtbibliothek Hans Fallada ist ein generationsübergreifender Austausch über digitale Medien und Spiele möglich. Sie öffnet am Dienstag und Freitag von 13.30 bis 17.30 ihre Türen und steht jedem interessierten Spieler und Nicht-Spieler offen.

Foto: Oliver Böhm, Universität Greifswald (Prof. Roland Rosenstock)

Ein Wallpaper von GTA V.