Die Fotografin Ramune Pigagaite erzählt anlässlich ihrer Ausstellung in der Greifswalder Galerie Schwarz wie sie zu ihrer charakteristischen Kunst und nach Deutschland gekommen ist. Zudem verrät sie zukünftige Pläne, die uns Greifswald und ein paar Bewohner vielleicht bald in einem neuen Licht sehen lassen.
webMoritz: Wann haben Sie mit der Fotografie angefangen?
Ramune Pigagaite: Schon während meines Studiums als Schauspielerin habe ich mit der Fotografie nebenbei angefangen. Mein Opa war zwar Fotograf und mein Vater Familienfotograf, aber das war nie im Vordergrund für mich, weil ich immer nur Schauspielerin werden wollte.
Während des zweiten Semesters meines Studiums in Vilnius sah ich plötzlich die ganze Umgebung – wenn ich in den Pausen zwischen den Vorlesungen gelaufen bin – und die Welt in Bilder. Dort ist ein Ausschnitt, da ist ein Ausschnitt, dort ist es schön. Mir war irgendwie gar nicht klar, was mit mir passiert. Dann hatte ich ein Notizbuch genommen und mir alles notiert, was ich da gesehen habe, sowie ein bisschen gezeichnet. Bis ich verstanden habe, dass es viel einfacher ist eine Kamera zu holen. Genau das ist doch Fotografie! Das was ich das sehe sind meine Bilder.
So hat es dann angefangen, dass ich dann eine große FED-3-Kamera von meinem Vater bekommen habe. So eine russische Nikon-Nachahmung (lacht) und ich habe damit angefangen zu fotografieren. Das hat mich so gepackt, dass ich gleich mein Studium schmeißen wollte. Meine Eltern und Professoren überredeten mich allerdings, das Studium abzuschließen und ich bin tatsächlich vorerst Schauspielerin geworden. Aber parallel bin ich immer herum gelaufen und habe Bilder gesucht. Ich war so eine Art unruhige Reporterin.
Wie sind Sie dann hauptberuflich zur Fotografie gekommen und schließlich sogar nach Deutschland?
Später kam der politische Umschwung in der UDSSR, worauf Litauen unabhängig wurde und vor allem Kulturinstitutionen keine Finanzierungen mehr hatten. Nachdem das Theater vorläufig geschlossen wurde, zog ich zurück nach Vilnius und sah dies als Chance ernsthaft mit der Fotografie anzufangen. Deshalb bin ich nach Deutschland gegangen und habe in Frankfurt Fotografie studiert. Allerdings hat mein Schauspielstudium immer noch einen stärkeren Einfluss auf meine Fotografie, als das Fotografie-Studium. Wir hatten zwar ein bisschen Technik gelernt, aber mein Gefühl für eine fotografische Ästhetik oder für die Wahrnehmung der Welt wurde während des Schauspielstudiums geprägt. Der Mensch steht bei mir Vordergrund – so wie im Theater.
Wie haben sich bei Ihnen die Themen für die einzelnen Bilderreihen gefunden?
Ich bin in die Kunstwelt mit meinen freien Serien „Menschen, meine Stadt“ eingetaucht. Diese Serie war aus der Sehnsucht nach den Menschen in Litauen entstanden. Ich hatte mir überlegt, dass ich bei nächsten Mal zu Hause die Menschen dort fotografieren möchte. So wie ich mich an sie erinnere, als ich noch ein Mädchen war, sodass sie immer bei mir sind. Weil es in meiner Kindheitserinnerung keine Häuser oder Straßen gibt, sind die Bildhintergründe auch stets schlicht und nur die Person im Vordergrund. Diese Ästhetik hat sich dann in meinen Werken durchgesetzt und wurde auch immer mit meinem Namen verbunden.
Später habe ich dann den Auftrag von dem Krankenhaus bekommen, dass ich ein Betriebsporträt mit dieser Ästhetik erstelle. Aus dem Ruhrgebiet kam dann auch ein Auftrag von einer Wasserreinigungsfirma. So kam das dann Alles.
Mögen Sie Krankenhäuser?
Ich habe panische Angst davor und ich denke das sieht man auch. Das war für mich wie eine Art Therapie. Ich hatte die Anweisungen zu geben und nicht der mit der Spritze. Ich konnte entscheiden, wie sie die Spritze halten und wie sie sich benehmen. Und ich war sicher, mir passiert nicht. Und ich denke deshalb sind vielleicht auch die Personen irgendwie durch die Angstbrille gesehen. Ich habe immer noch Angst. Und das ist so wie eine kleine Rache, wie eine Abrechnung, wenn ihr das mit mir tut, dann tue ich… Ja, es ist vielleicht auch eine Kindheitserinnerung der Auslöser, weil ich in einem Pioniercamp war. Pioniercamp sagt euch was?
Ja, das kenne ich.
Und da wurde ich krank. Ich hatte sogar fast – oder denke ich jetzt – eine Lungenentzündung. Ich wurde ohne Wissen meiner Eltern von diesem Camp in ein naheliegendes Krankenhaus eingeliefert, eingesperrt und meine Eltern wurden nicht benachrichtigt, ich musste einfach geheilt werden. Diese panische Angst, dass mit mir etwas passiert, und keiner weiß was. Ich glaube, das war irgendwo der Ausgangspunkt meiner Angst vorm Krankenhaus und dieser Serie hier mit Spritzen und mit allen Geräten, die Schmerz zufügen.
Merken Sie das auch an den Reaktionen von den Leuten, die ihre Bilder sehen, dass sie einen andern Blickwinkel bekommen?
Ich weiß es nicht. Also ich finde die Leute schmunzeln viel, aber für mich ist wichtig – und das sagte der Galerist in der Rede – dass der Fotografierte seine Würde behält. Ich mache mich nicht lächerlich, auch wenn ich jetzt vor der Krankenschwester mit der Riesenspritze Angst habe. Ich könnte sie irgendwie grotesk darstellen. Mach´ ich nicht. Man steht halt vor der großen Spritze und sie wird irgendwann einmal eingesetzt. Also mit Respekt, mit Humor auf jeden Fall, aber der Mensch behält seine Würde immer. Die Person, die ich porträtiere, wenn sie das Bild so gesehen haben, sagen danach: So habe ich mich noch nie wirklich gesehen. Aber ja stimmt, so bin ich ja auch. Das ist wirklich einschönes Kompliment.
Wie sind sie zum Nordischen Klang gekommen?
Über die Galerie. Also mit der Galerie Schwarz sind wir schon seit 12, 13 Jahren in Verbindung. Ich hatte schon zwei Ausstellungen in den alten Räumen. Dann sollte ich noch in Ahrenshoop, in diesem Künstlerhaus Lukas, einen Monat verweilen, aber da ich mich schwer von meinem Hund trenne – ich sollte den ganzen Monat bleiben – wollte ich meinen Hund mitbringen, aber die Verwaltung hat es untersagt. Und zwar waren Begründungen „Allergien der folgenden Künstler“. Aber es ist alles irgendwie bürokratisch verlaufen und das bedaure ich sehr, weil dort vielleicht auch eine interessante Serie entstanden wäre. Ja, aber dadurch dann hat der Galerist die Ausstellung und einen kurzen Aufenthalt hier vorgeschlagen und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine Serie in Greifswald machen werde.
Warum möchten Sie eine Serie in Greifswald zu machen?
Die Stadt spricht mich richtig an. In der Stadt – also jetzt auch nicht nur wegen der Typen, was er (Galerist Hubert Schwarz) meinte -, sondern auch wegen der Architektur. Sie erinnert mich sehr an Riga und auch an Vilnius. Das ist so eine Hansestadt-Architektur und man denkt, da sind noch viele, viele Straßen, die so gebaut sind. Gibt aber keine. Das ist so eine kleine Stadt, aber die ist wirklich so angelegt, als wäre sie eine richtig große halbe Millionen-Bürger-Stadt. Und Vilnius ist auch so. Zum Beispiel, wenn ich hier stehe (deutet auf die Straße), das ist wie die Altstadt von Vilnius, also jetzt nicht die schönste Ecke vielleicht. Oder die Kirchen, diese runden Kirchen, absolut gleiche Kirchen gibt es in Kaunas, in Litauen. Also ich fühle mich hier richtig, wie zu Hause. Und die Stadt ist auffällig jung.
Stimmt, das ist mir auch aufgefallen.
Ich komme aus Frankfurt und ich musste mich erst einmal daran gewöhnen, dass nur junge Menschen da sind, keine Erwachsenen, nur Kinder und junge Leute. Die Stadt hat eine Energie, Potenzial und spricht mich richtig emotional an. Ich hatte schon mit ein paar Leuten gesprochen, die wären bereit, porträtiert zu werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine Serie über Greifswald mache.
Das Gespräch führten Jette Geiger und Wiebke Evers.
Artikelbild: Galerist Hubert Schwarz und die Künstlerin Ramune Pigagaite
Die Ausstellung ist noch bis zum 21.06.2014 in der Galerie Schwarz, in der Langen Straße 21 zu sehen. Die Galerie ist immer von Dienstag bis Freitag 13-18 Uhr geöffnet und am Samstag von 11-15 Uhr.
Fotos: Jette Geiger