Nördliche Mühlenvorstadt, Fleischervorstadt, Schönwalde… Greifswald hat zahlreiche Stadtteile. Einige sind als Wohnort heiß begehrt, wie die Innenstadt oder Fleischervorstadt. Andere gelten eher als Schmuddelkinder. Dennoch hat jeder Stadtteil seine Reize. Liebeserklärungen an die Greifswalder Stadtteile von Studierenden.
Von: Tobias Bessert, Florian Bonn, Lisa Klauke-Kerstan, Leonard Mathias, Timo Neder, Sabrina v. Oehsen, Natalie Rath, Sophie-Johanna Stoof & Marco Wagner
Schönwalde II
Liebes Schönwalde II,
du bist das wahre Herzstück Greifswalds. Ich weiß, dass einige nicht besonders gut über dich denken, aber das machen sie nur, weil sie dich nicht so gut kennen wie ich, glaub mir. Schönwalde – das liegt für viele Innenstadtbewohner fast schon jenseits von Greifswald. Doch in Wahrheit, liebes Schönwalde 2, liegst du im Zentrum – zwischen Innenstadt und Elisenpark, keine fünf Minuten vom Freibad entfernt und mit perfekten Busverbindungen. Und wenn man nicht Bus fahren will, bringst du einen dazu, Sport zu treiben – die Fahrten in die Innenstadt könnten fast schon als Ersatz für einen Hochschulsportkurs gelten.
Du, und nur du allein, beherbergst das Schönwalde-Center, das neben Zahnarzt, Kosmetikstudio, Reinigung, Schreibwarenladen, Drogeriekette und einer Bäckerei vielen weiteren Geschäften ein Heim bietet. Und wenn man nah genug an der Kiste wohnt, werden einmal die Woche gratis und unverbindlich die eigenen Gläser im Küchenschrank zum Vibrieren gebracht. Du siehst, liebes Schönwalde II, dass du es wert bist, dass man bei dir wohnt!
Deine Sabrina
PS: Besonders gut ist auch, dass Penny und Rewe bei dir bis 22 Uhr geöffnet haben – für vergessliche Menschen ein Geschenk.
Innenstadt
Wer am Puls der Zeit leben, jeden Straßenmusiker und sein Programm auswendig kennen und kurze Wege zu allen wichtigen Orten (außer dem Supermarkt) haben will, für den kommt nur ein Viertel in Frage: die Innenstadt. Doch egal wo man wohnt, das Phänomen Lärm ist nicht weit: entweder in Form lautstark krakeelenden Nachwuchsmusikern aus Pasewalk oder betrunkenen Kommilitonen um 6 Uhr morgens.
Diese Unterhaltung habe ich im Sommer, unbelehrbar mit offenem Fenster schlafend, vor dem Café Ravic gegen 3 Uhr nachts mitbekommen.
Junger Kerl 1: Hier, ähh… können wir nicht zu dir gehen? Ich wollte doch nur zu dir und einfach f**ken… Ups!!!
Mädel 1: „Hihi, hat der das grad wirklich gesagt?“
Mädel 2: „Haha, der Alkohol…“
Genau, der Alkohol. Wie das Phänomen der vielen zersplitterten Flaschen übrigens zustande kommt, habe ich selbst nach anderthalb Jahren über dem Café Ravic noch nicht herausgefunden. Fahrradläden, grantige Ur-Greifswalder oder Alkoholiker – es bleibt unklar.
Dein Leonard
Südliche Mühlenvorstadt
Klar, die Fleischervorstadt hat ihren Flohmarkt, die Innenstadt die Nähe und Schönwalde die Platte. Doch in meinem Viertel drehen sich die Mühlenflügel noch anders als im Rest der Stadt. Wenn ich durch die Franz-Mehring-Straße radele, auf einem ordentlich gemachten Fahrradweg, dann fühle ich mich zu Hause, dann spüre ich einen Hauch Großstadtflair. Man mag es mir nicht glauben, doch so schmeckt Berlin. Mit Ruhe und Gemütlichkeit mitten im Leben stehen, das kann man nur hier. In Häusern, die an die Mietskasernen unserer Hauptstadt erinnern, können wir Zwischenweltler gemütlich auf dem Holzfußboden mit den Beinen baumeln. Mal schnell aus der Haustür in den nächsten Supermarkt oder Bioladen fallen und trotzdem nicht weit ab vom Geschehen sein. Man wohnt nicht zu weit draußen, sodass Innenstadt-Freunde den Weg zu einem verschmähen würden, und die Mieten sind dennoch bezahlbar. Hier ist die WGG-Hood. Für Medizinstudenten ein ideales Terrain und für alle Kommilitonen vom alten Campus mit dem Fahrrad ein Katzensprung. Eine besondere Sehenswürdigkeit sind unsere Grünstreifen, die zwar ab und an auch eine Überraschung bereit halten und dennoch für Innenstadt-Bewohner eine ausgestorbene Spezies darstellen. Ein treuer Drahtesel ist hier natürlich wichtig, zum Glück findet man gleich um die Ecke die Fahrradwerkstatt der Diakonie, die einem für einen Appel und ein Ei weiterhilft. Wir treffen uns zwar nicht auf der Straße und in Hinterhöfen um alten Schrott loszuwerden, doch im Garten sonnen können wir uns trotzdem.
Deine Lisa
Steinbeckervorstadt
Die Steinbeckervorstadt wird oft unterschätzt – zugegebenermaßen wusste ich bis vor dieser Lobeshymne selbst nicht von ihrer Existenz, habe ich mich doch immer als Bewohner der Innenstadt gefühlt. Doch der sympathische Zipfel am Nordufer des reißenden Rycks lässt genug Grund für Lokalpatriotismus. Denn die Steinbeckervorstadt ist mehr als nur Yachthafen und Ortsausgang. Es ist ein Stück Hamburg in Greifswald! Nur, dass unsere Esso-Tankstelle nicht gefährdet ist, vom Kiez gerissen zu werden und es vor der Stralsunder Straße 10, zumindest seitdem ich hier wohne, keine brutalen Ausschreitungen gibt. Im Getränkemarkt gibt es für jeden Berufstrinker das richtige Werkzeug, für Studierende ab 18 Uhr sogar günstiger und hinter vorgehaltener Hand habe ich auch von einem Privatbordell erfahren. Stralsunder und Steinbecker Straße, zusammen sind sie Greifswalds Reeperbahn. Wer das nicht glaubt, muss sich nur einmal die Partybeleuchtung des Autohändlers angucken. Sicher, wer es ruhiger mag, wird hier nicht glücklich werden. Nachts hört es sich gerne mal so an, als würden sich Krankenwagen und aufgemotzte Motorräder Straßenrennen liefern. Das ist jedoch nur ein kleiner Preis, um hier wohnen zu dürfen. Steinbeckervorstadt – Tor zur Welt oder, na ja, Neuenkirchen.
Dein Timo
Ostseeviertel
Vorab: Ich wohne nicht in diesem Viertel, bin nur für jemanden eingesprungen. Der Stellvertreter. Dennoch ist das Ostsee-viertel ein Stadtteil, der unbedingt Erwähnung finden muss, auch wenn die Ryckseite bis auf einen mustergültig sanierten Plattenbau alles andere als schön aussieht. Wirklich lebenswert ist es vor allem in der Parkseite, in der sich überwiegend betreutes Wohnen befindet. Sie schließt sich dem Greifswalder Stadtpark an. Tja. Was gibt es hier eigentlich? Graue Plattenbauten, die Friedrich-Schule, ein paar Einkaufsmärkte und sonst nichts weiter? Ein paar Einfamilienhäuser stehen hier noch und bilden einen Kontrast zu den nicht mehr ganz so fit aussehenden Plattenbauten. Wirklich schön ist es hier nicht. Auf der Ryckseite (oder heißt es eher: Rückseite?) des Ostseeviertels. Doch es hat auch seinen Charme. Wer auf der Ryckseite wohnt, hat, wenn er entsprechend weit oben wohnt, einen schönen Ausblick auf Wieck, Eldena oder den Ladebower Hafen. Der Weg zum Strandbad ist auch nicht sehr weit: Maximal zehn Minuten braucht man mit dem Fahrrad dort hin. Ansonsten wäre noch der Treidelpfad am Ryck zu nennen, der zum Spazierengehen und anderen sportlichen Aktivitäten einlädt. Ganz zu schweigen davon, dass es Freunde des Angelns auch nicht so weit zum Fluss haben. Wer vielleicht noch ein Faltboot sein Eigen nennt, kann es sogar an einigen Stellen recht bequem einsetzen. Zum Kanu- und Ruderbootshaus ist es nicht weit. So trist es in diesem Viertel auf den ersten Blick auch sein mag: Es hat seine Reize. Und es ist ziemlich grün.
Dein Marco
Fettenvorstadt
Fettenvorstadt – hört sich ehrlich gesagt für mich erstmal nicht sehr einladend an. Und wenn man mich fragt, welches Gebiet genau zur Fettenvorstadt gehört, ganz ehrlich, ich hab keinen Plan. Ich wohne hier einfach, Bahnhof, da wo REWE, Aldi und Netto zu finden sind, die alte Chemie erst abgebrannt und jetzt frisch saniert für Studenten auf Wohnungssuche angeboten wird.
Schau ich aus meinen Fenster, habe ich einen ziemlich guten Blick auf den Botanischen Garten: „Die grüne Oase des Kleinods der Hansestadt“ – ich war hier aber noch nie. Von dem Hörsaal in der Botanik hab ich auch schon mal gehört: sehr studentenfreundlich soll ja da der Wein schon rein wachsen und es noch originalgetreu wie vor 100 Jahren aussehen – war ich aber noch nie. Wo von ich bisher auch nur gehört habe, sind die angeblich absolut „fetten hammer geilen“ Partys in der Grimmer Straße 88 und eine Nahrungsmittelkooperative – da war ich aber auch noch nie. Jetzt könnte man mich natürlich fragen warum ich mich hier überhaupt niedergelassen habe:
Obwohl ich nah zur Innenstadt wohne, wohne ich doch irgendwie für mich und bekomme eben nicht viel mit von dem eigentlichen Leben in der Innenstadt und im Stadtteil. Hier herrscht noch ein wenig Anonymität, ich persönlich empfinde das schon fast als Luxus hier in Greifswald. Eine Frage habe ich dann aber doch: Worauf ich seit Ewigkeiten warte: Der Mira-Club. Wann zieht der endlich unter mein Wohnheim ein? Da würde ich dann nämlich wirklich mal hingehen.
Deine Sophie
Fleischervorstadt
Die ersten Sonnenstrahlen. Man öffnet das Fenster, steckt die Füße raus, lauscht freudig der Musik eines weiteren Sonnenanbeters und gibt sich der Gelassenheit der Fleischervorstadt hin. Das Leben kann in der richtigen Umgebung so angenehm sein. Wo sonst wird einem bereits auf der Straße der Brief vom Postträger in die Hand gedrückt? Man kennt sich einfach. Wo sonst bekommt man nicht aufgrund des fehlenden Geräuschpegels, sondern wegen der auf der Straße gespannten Wäscheleine mit aufgehängter Babykleidung mit, das es scheinbar einen neuen Nachbarn gibt? Wo sonst werden einem beim winterlichen Spaziergang zur Uni mindestens zehn freundlichen „Hallo“s von schneeschippenden Nachbarn entgegengerufen?
Niemand denkt hier über den nächsten Umzug nach. Man möchte eigentlich gar nicht mehr weg. Mitfahrgelegenheiten bringen dich sogar extra bis zur Haustür mit dem Kommentar „Oh das ist eine schöne Straße. Ich fahr dich einfach direkt nach Hause!“ Es ist kein Beinbruch, wenn man fünf Minuten bis zum nächsten Supermarkt unterwegs ist. Und auch ein Dönerladen wird nicht vermisst. Beim Bäcker nebenan muss man höchstens darauf achten, seinen Dozenten nicht im Halbschlaf umzurennen.
Flohmarkt, Stadtteilfest und Co. sind nur die offiziellen Highlights, doch das eigentlich Schönste ist der Heimweg. Egal, ob es die Rückkehr von einer zweiwöchigen Greifswald-Abstinenz oder auch nur einer langen Nacht im Pariser ist: Man freut sich, nach Hause zu kommen. Hier fühlt sich jeder wohl.
Deine Natalie
Nördliche Mühlenvorstadt
Zwischen Anklamer Straße und Ryck erstreckt sich eine der begehrtesten und teuersten Wohnlagen Greifswald. Nicht umsonst wird der Bereich zwischen Theater und Rosengarten auch als Professorenviertel bezeichnet: Grün, schicke Altbauhäuser und deshalb sehr teuer. Doch die Nördliche Mühlenvorstadt hat auch noch eine andere Seite. Zwischen Wolgaster Straße und Ryck gibt es bisher nur wenige Straßen mit Häusern, dazwischen liegen Brachflächen.
Für manche waren diese Flächen auch in jüngster Zeit noch die Schandfläche, die sie in den neunziger Jahren war. Doch konnte die Natur eindrucksvoll zeigen, wozu sie fähig ist. Pflanzen drückten sich durch Ritzen in den Betonplatten und machten aus der einstigen grauen Einöde eine Grünfläche, auf der man Rehe beobachten konnte. So entstand das (fast) perfekte Wohngebiet: Ruhig mit Blick ins Grüne, dabei zentral zwischen Innenstadt und Universitätsbibliothek gelegen und recht günstig.
Doch dieser Teil Greifswald wird gegenwärtig massiv umgestaltet: Statt der holprigen Betonplattenstraße führt nun eine Promenade am Ryck entlang und das ehemalige Wäschereigelände wird schon von Straßen durchzogen, die bald von höherpreisigen Einfamilienhäusern gesäumt sein werden. Ähnliches wird mit dem Gelände um die alten Speicher passieren. Für besserverdienende Familien ein Segen, denn Greifswald fehlt es auch an hochwertigem familientauglichem Wohnraum. Trotzdem werde ich den alten Zustand meines Viertels vermissen, es war keine klassische Schönheit, aber ich liebte es trotzdem.
Dein Florian
Schönwalde I
Mein Viertel – Meine Heimat
Seit nun mehr als zwanzig Jahren
Wohn ich in dir,
Gelernt zu laufen, Rad zu fahren
Und Fußball spiel‘n hab ich hier.
Gewandelt hast du dich von Jahr zu Jahr,
nur die Arbeitslosenzahl blieb starr.
Fragst du „Was arbeitest du?“ hier,
hörst du oft einfach nur Hartz IV.
Einen Aldi hast‘ bekommen,
´nen neuen Sportplatz,
oft wurd hier gewonnen,
Bei Tag und auch in der Nacht!
Die Blöcke in neue Farben getaucht,
ein neuer Penny und Rewe gebaut.
Viele Schulen wurden hier saniert,
der Ausschuss hat‘s wohl kapiert.
Hier kann man tanzen gehn,
Auto fahren lern‘n,
auch Hochhäuser sehn,
und die Bib ist nicht fern.
Den besten Döner gibt’s in dir,
doch auch schick essen kann man hier.
Und sollte es dir mal schlechter geh‘n,
Lass im Ärztehaus nach dir sehn.
Auch wenn du nicht das schönste Viertel bist,
kann ich dich nicht verschonen
auch wenn es bis zur Uni zu weit ist
bin ich froh in Schönwalde I zu wohnen!
Dein Tobias
Fotos: Axt/Wikimedia.org (Ostseeviertel), Florian Bonn (Nördliche Mühlenvorstadt), Lisa Klauke-Kerstan (Südliche Mühlenvorstadt), Christine Quasdorf (Fettenvorstadt), Luise Schiller (Fleischervorstadt), Marco Wagner (Schönwalde I, Schönwalde II, Innenstadt, Steinbeckervorstadt)