Die Kerzen sind erloschen und der Baum liegt schon auf der Straße. Der Hund vergräbt die letzten Knochen der Weihnachtsgans im Garten und der Weihnachtsmann ist längst an den Nordpol zurückgekehrt. Eine Enthüllungsgeschichte.

Von: Lisa Klauke-Kerstan

EngelJährlich fordert uns ein schwedisches Möbelhaus dazu auf, unsere Weihnachtsbäume aus dem Fenster zu werfen und Platz für Neues zu schaffen. Doch bevor wir uns Gedanken darüber machen, wie wir das nadelnde Bäumchen wieder loswerden, sollten wir erst einmal wissen, warum es während der Weihnachtszeit bunt geschmückt unsere Geschenke beherbergt.
Der Brauch, seine Haustür während der kalten Jahreszeit mit grünen Zweigen zu schmücken, ist uralt. Einen ganzen Baum ins Haus zu schleppen hingegen recht neu. Zur Zeit der Römer und im Mittelalter sollten Äste immergrüner Pflanzen Schutz bieten und die Geister vertreiben. Das Großbürgertum und der Adel setzten dem Ganzen dann die Krone auf, indem sie, dekadent wie sie waren, gleich den gesamten Baum fällten und prunkvoll geschmückt in die heimische Stube stellten. Nach und nach konnte sich auch der Pöbel ein Bäumchen leisten und so kam es, dass heute fast weltweit alle westlichen Kulturen mit einer Tanne die Feiertage begehen. Heute gilt das Grün aber nicht mehr als Zeichen des Lebens, wie es in den heidnischen Traditionen Brauch war, sondern steht für Frieden, Familiensinn und Innigkeit. Eine christliche Erklärung für die Tradition der Tanne gibt es übrigens auch noch. Sie soll bei Krippenspielen als Ersatz für den Paradiesbaum aus dem Alten Testament gedient haben. Doch wer´s glaubt, wird selig.

Oh, Tannenbaum

So, nun zu der Geschichte mit dem Baby. Klar, Jesus wurde irgendwann geboren und Krippenspiele bezeugen diese Begebenheit jedes Jahr aufs Neue. Fest steht allerdings, dass wirklich niemand weiß, ob der Sohn Gottes tatsächlich am 25. Dezember das Licht der Welt erblickte. Höchstens die gute Maria hätte wohl einen Tipp parat. Gefeiert wird am 25., weil ein wichtiger Mann das im Jahr 354 so wollte. Er beschloss, dass an diesem Tag nicht mehr römische Kaiser, sondern Christus verehrt werden sollte. Natürlich gibt es auch zahlreiche Hinweise darauf, dass der kleine Knabe tatsächlich an diesem Tag im Stroh geboren wurde, doch Beweise gibt es keine. In Deutschland und anderen Ländern sitzt man allerdings schon eine Nacht vorher unterm Weihnachtsbaum, da viele Feste im römischen Reich bereits mit einer Nachtwache begannen. Praktischerweise fiel das Ganze auch noch in die germanische Tradition der zwölf heiligen Nächte der Sonnenwende und so war das Datum besiegelt. Die „ze wihen nahten“ sind übrigens auch für den Namen des Festes der Besinnlichkeit verantwortlich.
Denkt man an die schönen Stunden im Kreise der Familie bei Kerzenschein zurück, kommt einem automatisch auch ein gern gesehener Gast dieser Tage in den Sinn. Die gesuchte Person ist ein lieber, leicht dicklicher alter Mann. Er trägt meistens einen roten Anzug, der mit weißem Pelz besetzt ist. Nicht zu vergessen sein markantestes Merkmal: der Rauschebart. Auf einem Schlitten kommt er durch die Luft gefahren und ein ziemlich erkältet scheinendes Rentier leuchtet ihm den Weg. Die Rede ist natürlich vom Weihnachtsmann. Der Volksmund sagt, er habe sein Aussehen von der bösen und kapitalistischen Coca-Cola-Company übergestülpt bekommen, doch das stimmt nur zur Hälfte. Denn die ersten Beschreibungen des heutigen Stereotyps finden sich bereits in dem Gedicht „A visit from St.Nicholas“ von Clement Moore aus dem Jahr 1822. Erst seit 1931 wirbt der Getränkehersteller mit dem klassischen Weihnachtsmann. Doch die Geheimzutat für den Postboten der ganz besonderen Art kam tatsächlich aus dem Christentum.
Zunächst wurde nämlich der Heilige Nikolaus von Myra an seinem Namenstag, dem 6. Dezember, gefeiert. Er gilt als Schutzpatron der Kinder und bringt noch heute Süßigkeiten. Doch Martin Luther wollte, dass sich im Dezember alle Gläubigen auf die Geburt Christi konzentrieren. Also mussten die Geschenke passend zum 25. vom Weihnachtsmann geliefert werden. Seit 1535 ist das so und wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Je nach Region kommen statt dem Weihnachtsmann immer noch der Nikolaus oder eben ganz klassisch das Christkind. Doch egal, wer da mit rot gefrorenem Näschen vor der Türe steht, artig muss man immer sein, um mit Äpfeln und Nüssen belohnt zu werden.
Aufgrund der Verschiebung der Bescherung dehnte sich natürlich auch die Wartezeit für die Kinder aus. Es musste also etwas her, dass die Wochen vor der großen Bescherung versüßt – der Adventskalender. Ob als Postkarte, selbstgebastelt, riesig groß oder kunterbunt, 24 Türchen muss er haben und mit Überraschungen, die die Vorfreude jeden Tag bis zum Heiligen Abend erhöhen, gefüllt sein. 1908 wurde der erste Kalender dieser Art von einem Buchhändler gedruckt, damals noch ganz ohne Süßigkeiten. Vor dieser Erfindung wurden aber bereits selbstgebastelte Uhren oder zunächst leere Krippen, die Tag für Tag gefüllt wurden, genutzt um die Weihnachtszeit zu strukturieren und den Kindern das Warten zu erleichtern.

Und wenn das fünfte Lichtlein brennt

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Für die Erwachsenen gibt es eine ganz ähnliche Tradition. Adventskränze sind mittlerweile ein fester Bestandteil der Vorweihnachtszeit. Einen mit vier Kerzen erleuchteten Kranz verzeichnet die Geschichte zum ersten Mal 1839 in Hamburg. Die grünen Zweige waren zunächst nur ein Beiwerk und schmückten den Raum, in dem der Kranz stand. Erst 1860 wurden dann Tannen- oder Fichtenreisig direkt am Adventskranz festgezurrt. Die runde Form dient als Symbol für den Erdkreis. Die grünen Zweige sollen, ähnlich wie der Weihnachtsbaum, Leben und Hoffnung darstellen. Das Licht, das mit jeder Kerze entfacht wird, soll die Angst vertreiben. Die leuchtenden Flammen sind auch ein Symbol für Jesus Christus, das Licht der Welt.
Zum traditionellen Weihnachtsfest gehört neben den schönen Geschenken  und Bräuchen auch das gute Essen. Jährlich ergeben Umfragen, dass jeder Dritte Deutsche den Heiligen Abend mit Kartoffelsalat und Würstchen feiert, doch auch Gans oder Karpfen erfreuen den Magen. Das liegt daran, dass am 11. November zum Martinstag die kirchliche Fastenzeit beginnt und erst wieder am 25. Dezember endet. Also isst man vorher und nachher noch schnell eine Gans. Am letzten Fastentag, dem Heiligen Abend, ist also noch kein Fleisch erlaubt, deswegen muss der Karpfen aus dem Gartenteich dran glauben. Warum eine Gans und kein anderes Federvieh oder gar ein Vierbeiner auf dem Teller liegt, rührt allerdings aus einem weltlichen Umstand her. Der gute St. Martin war nämlich Lehnsherr und verlangte von seinen Vasallen zu Beginn der Fastenzeit einen Vogel als Lehnspflicht. Die Tradition der Weihnachtsgans verbreitete sich schlussendlich durch die Industrialisierung, die der gesamten Bevölkerung zu einer Steigerung des Wohlstands verhalf. Also hat doch der böse Kapitalismus gesiegt.
Neben dem ganzen Kaufen, Essen und Laufen soll ja eigentlich die Liebe oder zumindest die Nächstenliebe während der Feiertage im Vordergrund stehen. Da das so mancher aber vergisst, während er sich selbst mit Klebeband fast selbst stranguliert oder wochenlang das Internet nach Geschenken durchforstet, gibt es ja noch den Brauch des Mistelzweiges. Dieser zwingt Menschen kurz inne zu halten und in einem ruhigen oder auch peinlichen Moment einen Kuss auszutauschen. Als Pausenknopf war der Ast am Türrahmen aber nicht immer gedacht. Eine nordische Göttersage hat das ewige Geknutsche zu verantworten. Denn die Liebesgöttin Frigga verlor durch tragische Umstände ihren Sohn, der durch einen Mistelzweigpfeil erschossen wurde. Die Menschen machten fortan unter dem bösen Bäumchen, von dem der tödliche Ast stammte, Halt, um durch einen Kuss die gebrochene Liebe zwischen Mutter und Sohn zu würdigen und das Höchste der Gefühle zu feiern. Auch hiermit hat das Baby in der Krippe also wenig zu tun.
Nun ist es ja fast noch ein ganzes Jahr bis das nächste Mal Weihnachten vor der Tür steht. Doch keine Angst, spätestens wenn wieder „Last Christmas“ von Wham! aus dem Radio schallt, weiß jeder: es weihnachtet sehr.

Hohl wie ein Schokoweihnachtsmann

ZugEin Kommentar von Anton Walsch

Neulich kam mir eine wohl zeitgenössische Weihnachtsbotschaft zu Ohren: Wenn wir alle so lieb und großzügig wie der Weihnachtsmann werden, wird die Welt ein Stück besser und friedlicher. Das klingt plausibel, aber ist es das, was wir am 25. Dezember feiern? Nein. Als Christ feiere ich zu Weihnachten die Geburt – nicht den Geburtstag – Jesu Christi. Gott wird selbst Mensch, begibt sich mit uns auf Augenhöhe. Gott schenkt uns seinen Sohn, den Messias. Wenn das nicht ein Grund zur Freude ist! Und es ist auch ein guter Grund, anderen eine Freude zu machen.
Für einen großen Teil der Bevölkerung spielt der christliche Glaube allerdings keine Rolle mehr. Das Weihnachtsfest wollen sie trotzdem nicht missen. Viele werden dann zu Weihnachtschristen, besuchen das einzige Mal im Jahr einen Gottesdienst – immerhin, könnte man meinen. Für alle anderen müssen Ersatzgründe her, ganz egal, ob sie um den Ursprung wissen oder nicht. Weihnachten wird nun der Familie, der Liebe und den Geschenken gewidmet. Beim übernatürlichen Weihnachtsmann drücken dann auch Alltagspositivisten mal ein Auge zu.
Wenn nun aber statt Gottes Sich-Selbst-Schenken das eigene Geschenk im Mittelpunkt steht, will man nicht kleinlich sein und greift großzügig in die Tasche. Der Einzelhandel empfängt mit offenen Armen. Im Gewand der Großzügigkeit lädt er zu vier Wochen Kaufrausch ein. Und weil es scheinbar auch um Familie, Freunde und Gemütlichkeit geht, folgt eine Weihnachtsfeier der nächsten.
So geht es durch den Advent, der eigentlich die Vorbereitungszeit ist. Die Traditionen verkommen zur Hülle. Besinnlichkeit weicht dem Einkaufsstress, das Christkind in der ärmlichen Grippe dem Weihnachtsmann. Dazu laufen säkularisierte Weihnachtsschlager á la „Last Christmas“ und die Kauflaune bestimmt die Nachrichten. Diese Entfremdung tut mir schon manchmal in der Seele weh. Keine Frage: Schenken und Feiern gehören auch für mich zu Weihnachten, der eigentliche Inhalt ist es aber nicht. Und dennoch möchte ich niemandem das Weihnachtsfest vergönnen. Freude ist angebracht. Dann feiert eben den Weihnachtsmann, den Binnenkonsum, euch selbst.

 

Christmas is Everywhere – Ein Plädoyer

Ein Kommentar von Fabienne Stemmer

Das Fest, auf das wir als Kinder monatelang hingefiebert haben, ist schon wieder vorbei. Doch dabei sind wir bestens gerüstet für das neue Jahr, mit fünf Kilo mehr auf den Hüften und unzähligen Geschenken.
Genauso wie das heilige Fest jedes Jahr gefeiert wird, finden jedes Jahr aufs Neue ausgedehnte Diskussionen statt: Dürfen Menschen mitfeiern, die nicht an das Christentum glauben? Aus Perspektive einer streng gläubigen Familie ist diese Frage vermutlich leicht zu beantworten: Nein! Die Begründung ist plausibel: An den Weihnachtsfeiertagen wird die Geburt Jesu Christi zelebriert, ein christlicher Brauch, mit dem Nicht-Gläubige ursprünglich nichts zu tun hatten.
Die Betonung liegt hierbei auf ursprünglich. Seien wir doch mal ehrlich, im Mittelpunkt der Weihnachtsfeier steht für den Großteil der deutschen Bevölkerung längst nicht mehr der religiöse Gedanke. Vielmehr geht es uns um das familiäre Zusammensein, das endlose Essen und vor allem das Schenken.
Exemplarisch lässt sich diese Entwicklung in der Kommerzbranche wiederfinden. Ginge es tatsächlich für die meisten um das Andenken an Christi Geburt, dann hätte sich die uralte religiöse Tradition wohl nicht so leicht in einen einzigen Akt der Kommerzialisierung verwandelt. Den Brauch des Schenkens macht sich vor allem die Werbebranche zu Nutzen. Coca-Cola suggeriert ab November in der Werbung „Santa Claus is coming to town“. Jedes Jahr, immer und immer wieder. Seit einigen Jahren macht auch das Online-Shoppingportal Zalando Weihnachtswerbung, indem der Paketbote zum Zalando-Santa mutiert.
Und es funktioniert. Die Menschen verenden in einem heillosen Kaufwahn und schenken, schenken, schenken. Dazu noch jede Menge schallende Weihnachtsmusik aus dem Radio, der Duft von frisch gebackenen Plätzchen und köstlichem Essen, eventuell ein Gang zur Christmesse – das ist dann Weihnachten. Es ist dennoch falsch, das Weihnachtsfest auf Essen, Geschenke und Coca-Colas Santa Claus zu reduzieren. Ein wichtiger Aspekt ist nämlich noch erhalten geblieben: Weihnachten als das Fest der Liebe. Das Fest der Nächstenliebe, um genau zu sein. Jeder Christ sollte um die Wichtigkeit des Zweiten Gebotes wissen und aufgrund seiner religiösen Überzeugungen die Menschen in seinem Umfeld, trotz ihres abweichenden Verhaltens, ihres fehlenden Glaubens „lieben“ und wertschätzen. Warum also den anderen, auch wenn sie nur einmal im Jahr, und zwar an Heiligabend, die Kirche betreten, nicht dieses Zusammensein in der Familie gönnen?
Gerade aufgrund des christlichen Wertes der Nächstenliebe, wäre es da nicht schöner, den unreligiösen Nachbarn oder Freunden ein paar selbstgebackene Plätzchen oder ganz traditionell Mandarinen und Nüsse als kleine Gabe der Aufmerksamkeit zu bringen, anstatt sich über ihre „Unchristlichkeit“ zu mokieren?
Wen das nicht überzeugt, sollte den vorangegangen Artikel „Ausgepackt“ noch einmal sorgfältig inspizieren. Daraus geht hervor, dass Weihnachten kein rein christliches Fest ist. Das germanische sowie keltische Fest zur KerzeWintersonnenwende, auch als Julfest bezeichnet, existierte bereits vor Christi Geburt und weist überraschende Ähnlichkeiten zum heutigen Weihnachtsfest auf: Das große Festmahl in der Familie, die Tradition des Beschenkens genauso wie der besinnliche Gesang und die geschmückten Nadelbaumzweige charakterisierten seit jeher die Festlichkeit. Einige Quellen gehen noch weiter und suggerieren, dass die Kirche selbst im 4. Jahrhundert das germanische Julfest durch das christliche Weihnachtsfest ersetzen lies, um dem Ganzen seinen christlichen Hauch zu verleihen.
Weihnachten ist folglich alles andere als ein den gläubigen Christen vorbehaltenes Fest. In diesem Sinne ein erfolgreiches Jahr 2014, bis es wieder heißt „Advent, Advent, ein Lichtlein brennt.“

 

Bild: Lisa Klauke-Kerstan & Kim-Aileen Kerstan