Demokratie im Nahen OstenEin Kommentar

Die Ansicht, dass Demokratie und Humanismus mit der Arabischen Welt nicht kompatibel sind, wird von vielen Menschen im Westen als auch im Nahen Osten geteilt. Auch bei der vergangenen Podiumsdiskussion im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg wurde diese Auffassung von einigen Teilnehmern geäußert. Gedankengänge und Werte werden maßgeblich vom Umfeld beeinflusst. Der Blick auf das gesellschaftliche Umfeld der arabischen Region lässt einen schnell dem Trugschluss erliegen, dass Demokratie dort nicht umsetzbar wäre. Wie kam es aber zu diesen Umständen?

Dass den Arabern die Aufklärung verwehrt blieb, ist ein beliebter Irrtum. Die Araber hatten eine Aufklärung, die sich aber von der europäischen Variante stark unterschied. Pluralismus und Humanismus waren nicht miteinbezogen. Eher befassten sich die arabischen Denker im 19. Jahrhundert mit dem Nationalismus, aus dem der Panarabismus entsprang. Nach dem Ende der britischen und französischen Mandatsherrschaft bildeten sich im arabischen Raum Nationalstaaten. In Syrien geschah etwas besonderes. Dort blühte das politisch- kulturelle Leben in den fünfziger Jahren. Politsalons, freie Wahlen und Meinungsfreiheit galten damals als Selbstverständlichkeit, doch dieser Umstand währte nicht lang. Als 1959 der Zusammenschluss zwischen Ägypten und Syrien beschlossen wurde, war die Bedingung für die Vereinigung, dass es nur noch eine Regierungspartei geben sollte. Da der panarabische Einheitsgedanke bei der Bevölkerung fest verankert war, beugten sich die Parteien dem Druck der Mehrheit und akzeptierten die Bedingung. Später zerbrach die Union zwischen Ägypten und Syrien an diesem Umstand.

Mit dem Verschwinden des Pluralismus aus Syrien und der Machtergreifung der Baath-Partei wurden innenpolitische Debatten zunehmend seltener, da sich viele Bürger vor den Repressionen des Regimes fürchteten. Ein politischer Analphabetismus schien sich innerhalb der Bevölkerung auszubreiten. Ich habe selbst während meines achtjährigen Aufenthalts in Syrien bemerkt, dass viele politische Diskussionen häufig einem schwarz-weiß Schema folgten und irgendwann in die absurdesten Verschwörungstheorien abglitten, denen man eigentlich nur mit einem übergroßen Aluhut auf dem Kopf  zunicken konnte. Diese Inkompetenz im Politikverständnis war allerdings von der Regierung gewollt, die auf diese Weise eine rational-kritische Denkweise bei der Bevölkerung zu verhindern vermochte. Man kann daraus die Vermutung ableiten, dass beim Ausbrechen des arabischen Frühlings in Syrien die Herausbildung einer stabilen geeinten Opposition ausblieb. Der Fehler den viele westliche Beobachter begehen, ist, die Gesellschaft als abgeschlossenen Raum zu betrachten. Diese Ansicht ist falsch. Gesellschaften verändern sich stetig: Sie befinden sich in einem sich ewig bewegenden Prozess. So mag derzeit vielleicht der Nahe Osten für den Humanismus und Pluralismus nicht gut anzusprechen sein. Das kann sich aber im Zeitalter der Globalisierung innerhalb von zehn Jahren ändern.

Parallel zu diesem Kommentar wurde der Veranstaltungsbericht “Eisiger Winter in Nahost” veröffentlicht.

Bild: Flickr/Naturalbornstubid