Wenn ich mich in dem kleinen Dorf umsehe, in das es meine Eltern nach meinem Auszug verschlagen hat, kommt mir immer dieselbe Frage in den Sinn: Warum und wieso hier, wo nicht einmal ein Bus regelmäßig fährt?
Ich selbst war aber auch nie scharf darauf in einer größeren Metropole zu leben. Aber aufs Land ziehen, wo man auf den kleinen Konsum um die Ecke angewiesen wäre – nein danke. Wenn ich mich bei anderen Leuten umhöre, streben sie nach einem Leben in der großen Stadt. Berlin, Hamburg und München – ein Traum, denn dort ist das Arbeitsangebot am vielfältigsten. Mecklenburg-Vorpommern (MV) besitzt keinerlei Metropolen dieser Größe und so wandern immer mehr junge Menschen über die Grenzen des Bundeslandes ab. In Greifswald fällt dies nicht so stark auf, weil es hier aufgrund der Universität eine Bildungswanderung gibt. Hierdurch werden nicht nur junge Leute importiert, sondern auch die Kaufkraft weiterhin angekurbelt, wovon Einzelhandel, Gastgewerbe und der Wohnungs- und Immobilienmarkt profitieren. Dabei sollte man sich aber auch vor Augen halten, dass viele Studenten nach ihrem Abschluss MV auf dem schnellsten Wege wieder verlassen.
Doch woran liegt das? Als ich einige der hier ansässigen Studenten befragte, war die Antwort fast immer dieselbe: Es fehle an Perspektiven im Bundesland. Belegen könnte man dies mit der überdurchschnittlichen Arbeitslosenquote vom Dezember 2012 in Höhe von zwölf Prozent. Diese ist aus dem Monatsbericht Dezember der Agentur für Arbeit MV zu entnehmen. Gleichzeitig liegt sie 5,2 Prozentpunkte über dem Gesamtdurchschnitt in Deutschland, wie eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom Januar 2013 zeigt.
Berufliche Vielfalt?
Ein weiterer Faktor scheint für mich die eingeschränkte, berufliche Vielfalt zu sein. Wie man aus einem Bericht des Landesportals MV entnehmen kann, ist die Landwirtschaft mit etwa 22 000 Beschäftigten mit einer der größten Arbeitgeber im ländlichen Raum. Aus einer Wirtschaftlichkeitsberechnung von 2010 des Tourismusverbandes MV geht hervor, dass rund 173 000 Personen durch den Tourismus in MV ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Wer sich nicht in touristischen oder agrarwirtschaftlichen Berufszweigen wiederfinden mag, wandert meist ab. Oder versucht in kleineren Berufszweigen wie der Universität eine Anstellung zu erhalten. Die Problematik, die sich daraus ergibt, ist ein Arbeitskräftemangel von jungen, qualifizierten Arbeitnehmern, welche mit neuen Ideen diesem Verlust entgegen wirken können. Ideen wandern ab in den Großstadtdschungel und nähren damit die dort ansässige Wirtschaft. Was bedeutet das eigentlich für den ländlichen Raum? Besonders in Regionen wie MV ist eine rasante Zunahme des demografischen Wandels ersichtlich. Doch was heißt demografischer Wandel eigentlich? Zum einen ist der demografische Wandel geprägt durch eine höhere Lebenserwartung der Bundesbürger aufgrund medizinischer Errungenschaften und einer bewusst gesünderen Lebensweise. Was somit eigentlich nicht negativ ist. Aber wir werden weniger, da die Geburtenrate immer geringer wird. Auslöser hierfür ist der Untergang der DDR, wodurch 1989 eine erhebliche soziale Verunsicherung einsetze, so aus dem Bericht „Demografie in Mecklenburg-Vorpommern – Auswirkungen auf Lebenswelten junger Menschen“ von Professor Helmut Klüter. Er ist Leiter des Lehr- und Forschungsbereiches Regionale Geographie an der Universität Greifswald.
Darin schreibt er, dass damals geltende Vergünstigungen, welche es Familien mit Kindern erleichtern sollte, gestrichen oder nicht weiter ausgebaut wurden. Ein Mangel, der selbst noch heute im Kritikzentrum steht. Hinzu kommen Abwanderungs- und Zuwanderungsprozesse. Besonders durch Abwanderungsprozesse der Jüngeren steigt das Durchschnittsalter der zurückbleibenden Personen an. Eine Dynamik, von welcher nicht nur ländliche Gegenden in MV betroffen scheinen, wie das Statistische Bundesamt 2011 prognostizierte. Es zeigte auf, dass 17 Millionen Menschen in Deutschland um die 65 und älter sind und somit 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.
Deutschland altert und schrumpft
Besonders junge Frauen gehören zu der Gruppe der Abwandernden, wodurch meist alte und gering qualifizierte Männer zurückbleiben. Hintergrund hierfür ist, dass Frauen sich bewusst gegen Kinder und Familie entscheiden und stattdessen Karriere machen wollen. Ein politisch bewegtes Jahr war daher für sie 2012, indem es um Fragen wie die Frauenquote in Führungspositionen, sowie Recht auf Betreuungsplätze von Kindern und die Thematik der Armutsrente ging. Kinder zu bekommen ist nicht mehr so attraktiv wie in den Babyboomgernerationen der 50er und 60er Jahre. Die Frauen und Männer dieser Zeit gehen in einigen Jahren in Rente und immer häufiger kommt die Frage nach nachfolgenden, qualifizierten Arbeitskräften auf. Woher nehmen wir diese, wenn wir immer weniger werden?
Deutschland altert, schrumpft und wie im Statistischen Bundesamt diagnostiziert wurde, hat man mit einem Rückgang der Bevölkerung um 12 bis 17 Millionen Menschen bis 2060 zu rechnen. Nach dieser Berechnung kommen 2050 auf ein Neugeborenes in Deutschland zwei 60-Jährige. Aus der Alterspyramide mit ihrer breiten Basis wird zunehmend ein Pilz. Dennoch sind die Regionen unterschiedlich von dem Rückgang betroffen. Städte wachsen und andere Landstriche verringern sich immer mehr.
Abenteuer demographischer Wandel
Wie wir uns entwickeln und in Zukunft damit umgehen sollten, beleuchtet das Thema „Die demografische Chance“ des Wissenschaftsjahres 2013. Die hierbei entstandene Ausstellung „Zukunft leben: Die demografische Chance“ der Leibniz-Gemeinschaft zeigt, wie sich der demografische Wandel auf unsere Lebensprozesse auswirken wird. Zurzeit zu sehen im Museum für Naturkunde in Berlin, später ist die Ausstellung in Mainz, Dresden, Bochum, Bremerhaven und München. Beleuchtet werden in neun Abteilungen, wie wir lernen, arbeiten, Familien gründen, wohnen und zu guter Letzt altern werden. Den Ausgangspunkt bilden Ergebnisse und Lösungsvorschläge aus der Forschung. Anschaulich durch begehbare Modelle, viele persönliche Fotografien und Comics wird den Besuchern das Abenteuer demografischer Wandel näher gebracht und erklärt, welche Faktoren die Bevölkerungsentwicklung in den kommenden Jahren beeinflussen werden.
Als ich nun selbst durch die Tore des zerstörten Bevölkerungsbaumes der letzten Jahre unseres Landes schritt, der aus hellem Holz gefertigt wurde und den Beginn der Ausstellung bildet, frage ich mich, inwieweit wird die Thematik vielleicht verharmlost? Selbst durch die warm gewählten Farben und Formen, welche eine beruhigende Atmosphäre auslösen sollen, spüre ich, dass einiges unausgesprochen bleibt, trotz des Informationsreichtums, der geboten wird. Es wirkt fast schon wie eine Art Hinnahme und Entwicklung, die unaufhaltsam scheint und wogegen wir nichts tun können. Mir kommen die Fragen in den Sinn: Wo sind die Alternativen? Wie können wir der Abwanderung aus ländlichen Gegenden entgegenwirken und ist es letzten Endes kein Problem, dass ganze Landstriche dünner besiedelt werden und die Städte fast platzen? In einem weiteren Bericht „Von der Dominanz der Agrarindustrie zum Garten der Metropolen“ von Klüter heißt es: „Der demografische Wandel gilt als gottgegeben und wird von der Landespolitik bis in die Ewigkeit verlängert. [Somit] diente [er] auch als Vorwand für die Kreisgebietsreform 2011.“ Dabei seien am stärksten die kleinen Gemeinden der ländlichen Regionen des Landes betroffen, so in seinem Bericht „Demografie in Mecklenburg-Vorpommern – Auswirkungen auf Lebenswelten junger Menschen.“ In diesem verweist er gleichzeitig auf eine Alternative zum demografischen Wandel in MV, deren Aufgabe es sein sollte, die ländlichen Räume aus ihren passiven Opferrolle zu befreien. Dabei sei es wichtig, zukunftsfähige Leitbilder zu erarbeiten, wie beispielsweise den „Garten der Metropolen“.
Dieses Leitbild würde die vorhandenen Faktoren – wie den Freizeit- und Erholungswert der ländlichen Räume – ausbauen sowie erweitern und miteinander verbinden. Das bedeutet weiterhin, dass die Landwirtschaft die eigene Bevölkerung sowie die Metropolen mit regional erzeugten Produkten bedient. Es würden zusätzlich Produktions-, Kunst-, Kultur- und Dienstleistungssektoren geschaffen werden, wodurch man nicht oder zeitweise nicht mehr auf das Arbeitsangebot in der Stadt angewiesen wäre. Damit könnte man ein qualitativ hochwertiges Wohnen und Arbeiten vor ländlicher Kulisse ermöglichen, in welcher Kind- und Familiengerechtigkeit gewährleistet wäre. Erreichen könne man diese Verbindung durch ein neues Monitoring für ländliche Räume und indem man ländliche Räume untergliedert, die dort ansässigen Gemeinden unterstützt, die Bindeglieder zwischen regional effektiver Landwirtschaft, Tourismus, Kunst, Kultur, Sozialbereich und Wohnen stärkt.
ein Feature von Ulrike Günther