Bis auf den letzten Platz gefüllt war am gestrigen Donnerstagabend der Veranstaltungsraum des IKuWo. Kein Wunder, denn das Thema “Studentenverbindungen – eine kritische Betrachtung” interessierte. Dazu hatten die antifaschistische Gruppe Gegenstrom aus Göttingen und Defiant (Antifaschistische Gruppe Greifswald) geladen.  Ein jeder kennt die gängigen Klischees der saufenden und schlagenden Verbindungsmitglieder, viel weniger Leute wissen jedoch wirklich um die Unterschiede zwischen Turnerschaften und Burschenschaften beispielsweise, um ihre Ideologien und Absichten.

Bundesweit rund 1.000 Studentenverbindungen

Fakt ist, dass bundesweit rund 1.000 Studentenverbindungen verschiedenster Arten existieren. Allein die 15 Greifswalder Verbindungen können in vier Corps, zwei Burschenschaft und weitere Verbindung unterteilt werden. Um deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu vermitteln, referierte die Gruppe Gegenstrom über Geschichte und aktuelle Tendenzen der deutschen Verbindungen, sowie über deren Weltbild, Traditionen und Strukturen.

Wappen der Deutschen Burschenschaft

Die vorgestellten Auszüge aus Burschenschafts-Handbüchern sorgten dabei für einige Erregung im Publikum. Insbesondere die unter dem Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) organisierten Gruppen äußern sich zum Teil klar nationalistisch und rassistisch in ihren Schriften. Obwohl sich die Verbindungen immer wieder öffentlich vom Vorwurf des Rechtsextremismus distanzieren, gibt es zahlreiche Beispiele für NPD-Funktionäre mit Verbindungsgeschichte und ähnliche Fälle. Der anwesende Gegenstrom-Vertreter erklärte zudem: Nicht nur die sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel und Arne Schimmer sind Mitglieder in einer DB-Burschenschaft, auch der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU Hans-Peter Uhl sowie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) (siehe Zitat).

Das Thema Verbindungen und Rechtsextremismus ist heikel. Eine genaue Betrachtung der einzelnen Gruppierungen ist in jedem Fall notwendig, wie es auch der Redner dieser Veranstaltung immer wieder verdeutlichte.

„Für die politische, aber auch berufliche Zukunft eines jungen Menschen vermitteln verantwortungsbewußte Burschenschaften (…) ein tragendes, Orientierung gebendes Wertegerüst. Das hat mich entscheidend geprägt. Ein politisches Mandat – egal ob in einem Kommunalparlament, einem Landes-, Bundes- oder im Europaparlament – ist also eine beinahe notwendige Konsequenz burschenschaftlichen Gedankenguts.” (Peter Ramsauer)
Quelle: Burschenschaftliche Blätter, Verlagsbeilage 2005, S. 10.

Insgesamt hielt der Redner sein Versprechen und lieferte eine kritische Betrachtung des Themas. Leider konnte er während des Abends jedoch nur vereinzelt den Bezug zur lokalen Verbindungsszene herstellen. Der Vortrag war relativ kurzfristig nach Greifswald geholt worden und daher eher allgemein gehalten. Dafür gab eine aufgestellte Informationstafel anhand einer Stadtkarte und kurzen Erläuterungen Überblick über die Greifswalder Verbindungen und ihre Häuser.

Nur eine Seite der Medaille

Karikatur von Rudolf Wilke im Simplicissimus (1906)

Karikatur von Rudolf Wilke im Simplicissimus (1906)

Nach gut anderthalb Stunden mit Infos, Bildern und Textauszügen wurde der Raum für Fragen freigegeben, bei der es zu reger Beteiligung kam. Eine Erkundigung nach Tendenzen in den aktuellen Mitgliederzahlen konnten leider nur mit Vermutungen beantwortet werden. Weiterhin kam die Frage auf, wie sich das neue Bachelor- und Mastersystem auf die Phasen des „Mitgliedwerdens“ in den Verbindungen auswirkt, da dieses in der Regel eine geraume Anzahl von Semestern beansprucht. (Studenten in der “Kennenlernzeit” werden “Füchse” genannt und steigen erst durch ihre “Burschung” zum aktiven Vollmitglied auf, werden später dann Inaktive und schließlich “Alte Herren”.) Hierfür wäre es sicherlich interessant gewesen, wenn auch korporierte Mitglieder Frage und Antwort gestanden hätten. Die anwesenden Verbindungsangehörigen hielten sich jedoch eher zurück.

Ein Tipp für alle Besucher, die eine zweite Sichtweise auf das Thema erhalten wollen und für alle, die an dem Abend nicht teilnehmen konnten: Am 27. Januar 2011 fand an unserer Uni eine Präsentation zu Studentenverbindungen statt, die im Rahmen des Seminars „Performative Recherche“ unter Hedwig Golpon erarbeitet wurde. Den Mitschnitt von moritz TV findet ihr hier:

Abbildungen: gemeinfrei