Es war eine groteskes Szene, die sich am vergangenen Mittwoch vor dem Institut für Erziehungswissenschaften in der Franz-Mehring Straße 47 ereignete: Ein LKW fuhr vor und setzte einen Müllcontainer ab. Das ist zunächst noch nichts ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist jedoch, dass anschließend der Müllcontainer mit Büchern gefüllt wurde. Es handelt sich hierbei um Bestände der Bibliothek für Erziehungswissenschaften und Psychologie. “Was wollt ihr denn mit den Büchern machen? Wollt ihr sie euch unters Kopfkissen legen?”, spöttelte das die Entsorgung vollziehende Fachpersonal, als sich zahlreiche Studierende um den Container scharten, um die Bücher zu bergen und vor der Vernichtung zu bewahren.

Unter den Büchern befinden sich zum Teil über einhundert Jahre alte Exemplare, darunter beispielsweise Schriften zur Reformpädagogik der 1920iger Jahre sowie zahlreiche Publikationen jüngeren Datums, die sich mit Kindererziehung, Entwicklungspsychologie, aber auch mit Fragen der Fach- und Hochschuldidaktik befassen. Ebenfalls vernichtet wurden bei dieser Aktion zahlreiche Dissertations- und Habilitationsschriften, die zum Teil an der Universität Greifswald verfasst worden sind. Es handelt sich um zirka 1.000 Bücher, die im Keller der Franz-Mehring Straße gelagert wurden. Nicht wenige von ihnen trugen bereits eine neue Signatur, einige waren bereits mit einem Scancode versehen.

Institut, Fakultät, Rektorat – Alle wussten nichts

"Neue" Signatur und beinahe auf dem Müll gelandet: Dissertationen und Habilitationen

Auf Nachfrage des Autors erklärte Professor Dr. Andreas Pehnke, Direktor des Instituts für Erziehungswissenschaft, dass er nicht über die Entsorgung der Bücher informiert wurde. Auch die übrigen Mitarbeiterinnen des Instituts wurden davon nicht in Kenntnis gesetzt. Neben dem Institut tappten auch das Dekanat und Rektorat bezüglich dieser Angelegenheit im Dunkeln. “Dann kann ich gleich aufhören, Dekan zu sein, wenn ich nicht einmal erfahre, was der Bibliotheksdirektor mit unseren Institutsbibliotheken macht”, reagierte Professor Dr. Alexander Wöll verärgert, als er während der Vollversammlung Lehrerbildung von dem Vorfall erfuhr. In diesem Zusammenhang sprach er erneut seinen Unmut darüber aus, dass er ebenso wenig in die Frage der geplanten, inzwischen in Vollzug befindlichen, Auflösung der Institutsbibliothek in der Franz-Mehring Straße mit einbezogen worden ist.

Digitalisierung vor Vernichtung nicht vorgenommen

Inzwischen ist bekannt geworden, dass ein Großteil der Bücherbestände derart mit Schimmel befallen gewesen sein soll, dass keine andere Wahl als deren Vernichtung geblieben wäre. Diesbezüglich gäbe es ein entsprechendes Gutachten, das dem webMoritz bislang jedoch noch nicht vorliegt. Sollte tatsächlich dem so gewesen sein, dass kein einziges Buch mehr brauchbar gewesen wäre, bleibt immer noch die Frage offen, weshalb weder Institut, noch Fakultät und Rektorat über den Verfall der Bücher informiert wurden, um gegebenenfalls ein Fenster zu öffnen, einen Teil der Bestände digital erhalten zu können.

Anmerkung: Der Verfasser war Zeuge des Vorfalls und hat in seiner Funktion als studentisches Mitglied der Zentralen Koordinierungsgruppe für Lehrerbildung das Thema auf der im Text erwähnten Vollversammlung Lehrerbildung angesprochen.

Fotos: Marco Wagner