Am 13. April besuchte der Journalist Ernst-Jürgen Walberg das Koeppenhaus, um Bücher aus dem Fokus der diesjährigen Leipziger Buchmesse vorzustellen.
moritz sprach mit ihm über die Messe, seine Arbeit und die Lust am Lesen.
Was sind Ihre Eindrücke der diesjährigen Leipziger Buchmesse?
Das ist eine gewaltige Lesemesse. Es ist keine Geschäftsmesse, sondern eine Lesemesse und das ist einfach eindrucksvoll. Man läuft Autoren über den Weg, man sieht, wie Leute am Stand, neben dem Stand und auf irgendwelchen Gängen lesen – es macht einfach Spaß, da zu sein, wenn man ein bisschen Zeit hat.
Wie beurteilen Sie denn die Verlagslandschaft und die Veränderungen der letzten Jahre?
Das ist ja ein schleichender Prozess. Es gibt eine ganze Reihe von sogenannten unabhängigen, kleinen Verlagen. Diese sind eigentlich die interessantesten für mich, weil das die sind, die gute Autoren, gute Autorinnen weltweit ausgraben. Die dann ihre erste, zweite Veröffentlichung machen. Wenn es ein Erfolg wird, dann greifen die großen Verlage zu und machen das große Geschäft. Random House und ähnliche haben so viele Verlage inzwischen, dass man den Überblick verliert, wohin wer jetzt gehört. Das kriegt man manchmal durch eine Pressemitteilung mit, aber so ganz genau weiß man das auch nicht. Und die Konzentration nimmt weiter zu. Trotzdem gibt es immer wieder neue Kleinverlage und das macht eigentlich Mut. Die kleinen Verlage halten sich manchmal wirklich sehr lange, zum Beispiel der Wagenbach-Verlag, der hat viele Jahre überlebt.
Glauben Sie, dass die nächste Generation, die mit Technik aufwächst, richtige Bücher noch schätzen kann?
Ich glaube, das läuft in Deutschland etwas anders als in den USA. In den USA geht der Trend sehr stark zum E-Book. Hier ist das etwas zurückhaltender. Auch auf der Messe sitzen junge Leute mal mit einem E-Book oder auch mit dem iPhone. Die Masse hat aber Bücher in der Hand. Zwar denke ich, dass manche Sachen nur noch als E-Book erscheinen werden, aber die richtig gute Literatur wird es immer auch als Buch geben. Das war auch auf der Messe zu sehen, dass eine ganze Reihe von kleineren Verlagen gutgemachte Bücher verkauft haben. Mit Künstlern zusammen haben sie richtig schöne Bücher gemacht – für ein Schweinegeld natürlich – aber richtig gut. Diese Verlage werden sich auch immer halten, weil es einfach sehr viele Leute gibt, die ein schönes Buch haben wollen, die was anfassen, die was riechen wollen, die nicht mit Technik im Bett liegen wollen.
Was macht für Sie ein gutes Buch aus?
Das geht handwerklich los, also es muss erstmal gut gemacht, gut gebunden sein, vernünftiges Papier, Illustrationen haben, vernünftig lektoriert sein, es darf nicht mit tausend Fehlern behaftet sein und ähnlichem. Eben ganz praktisch. Und dann natürlich der Inhalt, also den kann ich aber nur subjektiv definieren. Aber es muss einen bestimmten Qualitätsstandard haben, sowohl was den Inhalt angeht als auch was die Intention eines Buches ist. Für mich ist ein gutes Buch mit dem ich auch weiterleben will, über das ich weiter nachdenken kann, das mich anregt, mich aufregt, über das ich mich auch ärgere, aber es muss mich irgendwie berühren, bewegen, sonst ist es langweilig.
Würden Sie sagen, dass die Bücher, die auf den Spiegel-Beststellerlisten stehen, eher zu der sogenannten Trivialliteratur zählen?
Nein, es gibt ja auch immer Bücher, die die Masse zwischendurch ansprechen, dann wieder verschwunden sind, die wirklich gut sind. Also wenn urplötzlich ein Hans Joachim Schädlich auftaucht mit seinem Buch über Voltaire und den alten Fritz, der ist nach zwei Bestseller-Listen wieder weg. Er ist nicht monatelang auf den Bestseller-Listen. Aber so was gibt es. Moden haben sich immer verändert. Ihre Urgroßeltern haben vielleicht Hedwig Courths-Mahler gelesen, das war ein Bestseller. Den liest man heutzutage oder zitiert ihn nur noch, wenn man sich amüsieren will. Es ist einfach nur noch blöd. Solche Moden kommen immer und darunter sind auch interessante Bücher oder Bücher über die man streiten kann. Der Bestseller bedeutet nicht immer, dass es ein schlechtes Buch ist. Es bedeutet aber auch andersherum, dass es nicht immer ein gutes Buch ist.
Ist die Annahme richtig, dass insbesondere Bücher, die sich mit den negativen Dingen des Lebens befassen, ausgezeichnet werden?
Das kommt darauf an, welche Preise man meint. Wenn man die großen, literarischen Preise anschaut, dann haben Sie Recht. Aber es gibt eine Fülle von Preisen für Jugend- und Kinderbücher, die alles andere als solche Geschichten auszeichnen, sondern einfach kindgerechte Bücher auszeichnen. Stefanie Harjes hat eine Reihe von Preisen bekommen für ihre Illustrationen von Kinderbüchern, das hat mit intellektuell erst in zweiter oder dritter Linie etwas zu tun. Das sind einfach gut gemachte Kinderbücher.
Sind die Kinderbücher von heute, was die Kindererziehung betrifft, besser als früher, wie zum Beispiel „Struwwelpeter“?
Es hat sich einfach die Intention geändert. Der Hinstorff Verlag hat wieder das Kinderbuch „Vom Moritz, der kein Schmutzkind mehr sein wollte“ von Franz Fühmann aufgelegt, das war in den 50er Jahren erschienen. Dieses Werk ist mit erhobenen Zeigefingern geschrieben. Manchmal erscheinen solche Bücher heute auch noch, aber man hat die Zeigefinger eingezogen. Heute merkt man das nicht mehr so deutlich. Ich bin ja mit den Kinderbüchern groß geworden, die den Zeigefinger oben hatten. Und die fand ich nicht ganz so komisch. Es gibt Ausnahmen, wie zum Beispiel Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“. Sie und ihre gesamte Geschichte sind so zeitlos, die werden auch in hundert Jahren noch gelesen. Da gibt es noch ein paar andere, aber das ist so das Musterbeispiel.
Finden Sie Zeit, alle Bücher zu lesen, die Sie zugesendet bekommen?
Also die, die ich bespreche, die lese ich auch. Alles andere ist nicht zulässig. Ich weiß, dass machen andere Kritiker anders. Ich schaffe es aber nicht, alles, was ich lesen möchte, zu lesen – völlig ausgeschlossen. Wobei ich wohl zu denen gehöre, die wohl am meisten lesen, also abends, nachts, am Wochenende. Aber alles schaffe ich nicht.
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Bücher aus?
Das kommt darauf an, ob ich es dienstlich lese oder privat. Bei der Nachlese zur Leipziger Buchmesse ist es so, dass ich die Bücher auswähle, von denen ich glaube, sie sind auch für andere wichtig, eben nicht nur für mich. Es gibt aber auch Titel, die lese ich nur für mich und da bin ich auch froh, dass ich sie nur für mich lese. Es ist einfach mal entspannend ein Buch zu lesen ohne den Aspekt, wo hat ein Buch Macken. Ich kann es einfach genießen. Ich weiß, ich muss nichts Kritisches drüber machen. Kritisch positiv oder kritisch negativ ist dabei egal, sonst hat man immer die Arbeit im Hinterkopf.
Was sind ihre Lieblingsbücher?
Ganz viele Jahre habe ich mich mit Franz Kafka beschäftigt. Der hat mich nie losgelassen. Ein anderer Autor mit dem ich mich intensiv beschäftige, ist Hans Joachim Schädlich. Astrid Lindgren, um Mal ein anderes Genre zu nennen, gehört auch dazu.
Das Interview führten Sabrina von Oehsen & Corinna Schlun die Fotos machte Joana Kolbach