Kindheit und Jugend, Ausbildung und Freizeit in der einstigen Hansestadt Stralsund vom Spätmittelalter bis zur frühen Neuzeit

Im Pommerschen Landesmuseum findet seit 3. Oktober 2011 die Ausstellung Hereinspaziert statt, in der jeder Besucher noch bis zum 19. Februar 2012 in Spielorte, Fantasieräume und Spielzeugträume vergangener Zeiten reisen kann. Zu diesem Anlass lud am Dienstagabend (10. Januar) Gunnar Möller, Stadtarchäologe und Denkmalpfleger aus Stralsund, in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst zu einem historischen Diavortrag.

„Bricken, Scholre, Molyenkinder, das sind mittelalterliche Übersetzungen für Spielsteine, Schüler und Kleinkinder“, erklärte Gunnar Möller zu Beginn seines Vortrags. „Viele von Ihnen werden einiges, was ich zeige noch kennen, andere können heute vielleicht etwas lernen“. Das rund 40-köpfige Publikum mittleren Alters nickte und betrachtete gespannt die Bilder seiner Ausgrabungen aus dem Stralsunder Stadtzentrum, die er chronologisch von Geburt, über Kindheit und Schule bis zur Arbeit präsentierte.

In der aktuellen Sonderausstellung im Pommerschen Landesmuseum geht es um Kinderspielzeug

„Die frühe Kindheit archäologisch darzustellen ist natürlich schwierig, aber nicht unmöglich“

Im Mittelalter waren die hygienischen Bedingungen miserabel. Die Anzahl der Krankheitsfälle wie Masern, Keuchhusten, Diphterie oder sogar Seuchengefahr war sehr hoch. Auf zwei Kinder kamen im Schnitt vier Totgeburten. Kinder leisten konnten sich nur die Reichen. Von Spielzeug ist demnach nur wenig bekannt. Umso interessanter ist der Fund eines Kindernuckels aus Wolfszahn aus dem 17. Jahrhundert. Er soll zum leichteren Zahnen verhelfen und, mit kleinen Schellen verziert, das Kind unterhalten. Die beliebten Klappern und Rasseln halfen böse Geister zu vertreiben.

Später wurden die Kinder in sogenannten Partikularschulen (Schulen an einer Kirche) gelehrt. Eine allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen bestand damals noch nicht. Nur den Jungen war Schulbildung erlaubt. Ärmeren Kindern und Mädchen wurde in sogenannten, illegalen Klippschulen das Nötigste gelehrt. In der Freizeit spielten die Kinder mit dem Steckenpferd, dem Laufrad, den hölzernen Kinderschwertern und Armbrüsten, Rinderphalangen als Spielwürfel oder hölzernen Knallröllchen. Sie konnten boseln (kegeln), mit Pfeifvögelchen trällern, Brettspiele (Dame, Mühle, Schach) oder Karten spielen. Durch den Einfluss der Kirche fand man auch vermehrt geschlechtsspezifisches Spielzeug. Dabei wurden die Mädchen bereits spielerisch auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter (Puppen, Miniaturgeschirr) vorbereitet. Die Jungen spielten derweil mit Zinnsoldaten und Ritterfiguren. Aber auch das Pfeiferauchen war erlaubt und zuweilen von den Eltern gefördert. Erst spät wurde es wieder verboten. Aber nicht, weil die gesundheitlichen Schäden bekannt waren, sondern das Lehrlingsgeld verraucht war.

Vom Kinderspielzeug, zur Kleidung, zur …

Nach zahlreichen Spielzeugdokumentationen, sprach Möller auch über die Kinderkleidung, präsentierte Zeugnisse von Kindermobiliar (Wiegen, Kinderbesteck) sowie deren Arbeitsverhältnisse. Anschließend berichtete er von Praktiken der Kindstötung und den Folgen von Kinder- und Jugendkriminalität. So kam es im Spätmittelalter nicht selten vor, dass ein Elternteil ein Kind tötete, weil sie es nicht mehr ernähren konnten. Strafrechtlich verfolgt wurde das nur, wenn „kein Blut vergossen oder keine höhere Gewalt eingesetzt wurde“. Auch Jugendkriminalität konnte mit dem Tode bestraft werden. In der Stralsunder Geschichte ist dokumentiert, dass ein 12-jähriger Knabe 1551 wegen Diebstahls gehängt und zwei elf und dreizehnjährige Kinder 1565 nach 28 nachgewiesenen Diebstählen der Stadt verwiesen wurden. Die bisherigen Sanktionsformen für Kinder (Schlagen mit der Rute) wurden im Jugendalter den Strafen für Erwachsenen angepasst. So war es nicht unüblich verstümmelt, gefoltert oder gar hingerichtet zu werden.

Hereinspaziert!

Nachzulesen im Lübecker Kolloquium zur Stadtarchäologie im Hanseraum

Nach eineinhalb Stunden beendete der Stadtarchäologe seinen Vortrag. Neben vielen positiven Stimmen, wie die einer freien Mitarbeiterin des Pommerschen Landesmuseums, die selbst Kinder durch die aktuelle Ausstellung Hereinspaziert führt und „sehr interessantes Hintergrundwissen sammelte“, fand sich auch negative Kritik. „Der Vortrag war viel zu informationslastig. Ich konnte mich schon nach einer halben Stunde nicht mehr konzentrieren“, bemängelte ein Geschichtsstudent.

Wer den Vortrag Möllers nicht besuchen konnte, sich vom Thema aber angesprochen fühlt, kann diesen auch nachlesen. Allerdings erst im November 2012, wenn wieder die Tagungsbände des Lübecker Kolloquiums zur Stadtarchäologie im Hanseraum erscheinen.

 

Fotos: Anne Becker