“Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten.” Es ist dieser Übergang, den der belgische Filmemacher Pieter Geen als Ausgangspunkt seiner Inszenierung Relocation wählt.

Tiefschwarze Nacht, eine kleine Gruppe unregelmäßiger Lichtlein in flackerndem Rot und Gelb dienen dem betrachtenden Auge als Anker. Nach und nach taucht die sie umgebende Landschaft auf. Kahles Land, gezeichnet aus einer Mischung von kränklichem Gelb und saftigem Grün. Im Hintergrund zwei Berge, auf der Spitze des höheren trohnt ein stattliches Schneefeld. Die Wucht der ungleichen Brüder – relativiert durch die Kameraperspektive, welche die Weite verstärkt, Individualität und Details jedoch negiert. Und sie tut es konsequent, eine Einstellung für 23 Minuten. Markenzeichen und Makel des hochintelligenten Films zugleich. Menschen sieht man nie, ab und an dringen Geräusche durch die Stille. Eine beinahe zarte Komposition aus bellenden Hunden, knatternden Motoren und zwitschernden Vögeln. Zweimal zerreißt ein Schuss die Stille. Bleierne Eintönigkeit prägt die Kulisse, Sinn und Anlass der Betrachtung bleiben verborgen.

Nur geographisch bewanderte Zuschauer werden die beiden Berge als Kleinen und Großen Arat identifizieren können. Zumal Geenen das von Armenien aus aufgenommene Bild spiegelverkehrt zeigt. Die Geschichte des Arats, seine Verortung auf türkischem Staatsgebiet, seine starke symbolische Bedeutung für die Armenier und die gemeinsame Geschichte beider Völker werden als bekannt vorrausgesetzt. Dass der Film hier nicht erklärend und einordnend tätig wird, ist im Hinblick auf die Dramaturgie verständlich. Im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit ist diese in ihrer Schlichtheit problematische Chiffrierung allerdings verheerend. Sie versperrt einer breiten Masse von Zuschauern den Zugang zum Thema. Die Symbolik bleibt unerklärt, die Verwunderung über die stummen Gespräche zwischen Türken und Armeniern, welche als Untertitel unter dem Bild geführt werden, ist groß. Dennoch, dem Film vorzuwerfen, er kapituliere vor dem politischen Pulverfass “Armenisch-Türkische Vergangenheit” ist falsch. Vielmehr bricht er Verfolgung und Vernichtung herunter auf die Ebene einfacher Menschen, deren Vorfahren friedlich nebeneinander lebten. Historiker sprechen von einem der ersten systematischen Genozide des 20. Jahrhunderts, armenischen Schätzungen zufolge kamen zwischen 1915 und 1916 rund 1,5 Million Armenier ums Leben. In Pieter Geens Film kommen erst gar keine Menschen vor. Irgendwie auch schön.

Regie: Pieter Geenen, Belgien, 2011, 23 Minuten

Im Rahmen des dokART-Nachspiels wird Relocation am Samstag, dem 10. Dezember, zwischen 16 und 18 Uhr im Koeppenhaus zu sehen sein.