Die Kreisgebietsreform wirkt sich auf hier ansässige Vereine aus. Existenzsorgen und Unsicherheit über Zuständigkeiten bestimmen den Alltag der Vereine. Unter anderem sind das Frauenhaus und Jugendzentrum „klex“ betroffen.
Ich verbringe gerne Zeit dort, um Kontakte zu knüpfen und Leute kennenzulernen“, erzählt der 21-jährige Lehramtsstudent Michael Hein. In seiner Freizeit hält er sich oft im Jugendzentrum „klex“ auf, das eine wichtige Anlaufstelle für ihn als Musiker und Konzertbesucher ist. Würde das „klex“ schließen, „verlieren viele junge Bands die Unterstützung, weil der Proberaum wegfallen würde.“ Diese Umstände, die durch die Kreisgebietsreform entstehen könnten, beträfen nicht nur Michael, sondern eine Vielzahl junger Leute. Die Neuordnung der Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern wirkt sich nicht nur sozial, sondern auch geografisch aus: Durch die Zusammenlegung der Hansestadt Greifswald, Ostvorpommern, Uecker-Randow und Teile Demmins zu einem neuen Landkreis Vorpommern-Greifswald stehen die gemeinnützigen Vereine vor strukturellen Problemen, da Zuständigkeiten verschoben wurden.
Der 1991 gegründete Stadtjugendring e.V. (SJR) besteht aus 20 Trägern, die sich auf Kinder- und Jugendarbeit konzentrieren. Der SJR zog in ein ehemaliges Kinderheim, aus dem das Jugendzentrum „klex“ entstand. Das Haus gehört heute zu den wichtigsten Anlaufstellen für junge Menschen in Greifswald und Umgebung. Es vertritt deren Interessen nach außen. In dem Gebäude befinden sich viele Initiativen und Vereine, die sich unter anderem der Konzertorganisation, Aidsberatung oder den neuen Medien widmen. Vor der Kreisgebietsreform wurde der SJR über Leistungsvereinbarungen mit der Stadt finanziert, die drei Jahre Handlungssicherheit gewährten.
Diese Variante wurde Ende der 90er Jahre ausgearbeitet und festigte sich nur langsam. Die seit September dieses Jahres die Rolle der Jugendpolitischen Koordinatorin im SJR innehabende Manja Graaf erzählt, dass diese langwierige Ausarbeitung „sehr viel Arbeit und Ausdauer“ gekostet hätte. Diese Vorgehensweise diente dazu, dass die Stadt kontrollieren konnte, wofür Geld ausgegeben wurde. Dabei kümmerte sich der SJR um die beste Verteilung der Gelder an Jugendliche. „Möglicherweise wird sich diese Situation nun ändern“, sagt Graaf.
Durch die Umstrukturierung der Landkreise gehen viele Aufgaben, die vorher von der Stadt übernommen wurden, nun an die örtlichen Träger von Vorpommern-Greifswald. Diese werden die Entscheidungsmacht haben, welche Projekte gefördert werden und welche nicht. Graaf bemerkt sarkastisch, dass Konkurrenz das Geschäft belebe. Wichtig sei es, dass die Jugendarbeit in Greifswald, und in anderen Gebieten wie Pasewalk, bestehen bleibe. Es sei aber „noch nicht ausgewogen“ welches Projekt bleibt und welches nicht.
Am 31. Dezember wird sich der neue Kreisjugendhilfeausschuss zusammensetzen und darüber entscheiden, wie sich die Zukunft gestalten soll. Der Ausschuss ist ein Gremium, das in der deutschen Verwaltung einmalig und mit Fachleuten besetzt ist. Durch diesen gäbe es eine kraftvolle Interessenvertretung, die sich für Jugend- und Kinderbelange einsetzen würde. „Wenn sich dieser Ausschuss nicht trifft und nicht klar ist, wer da drin sitzt, kann man nicht über Finanzen reden. Wir sind noch nicht so weit, dass wir überhaupt diskutieren können, weil ich nicht weiß, an wen ich mich wenden soll“, so Graaf.
„So eine Reform klingt erst mal positiv und nach Revolution, aber bislang ist hier nichts anderes passiert, als dass Verwaltungsstrukturen miteinander verschränkt wurden.“ Graaf betont aber gleichzeitig, dass die Situation in Greifswald nicht die schlimmste sei. Man denke an kleinere Orte wie Uecker-Randow, deren Betroffene längere Wege auf sich nehmen müssten. Wenn es richtig schlecht ausgeht, wird Vorpommern-Greifswald bis Jahresende noch keine Entscheidung haben. „Für die jetzige Situation der Jugendarbeit muss das bis zum Jahresende feststehen. Wenn hier nicht endlich eine Entscheidung getroffen wird und wir nicht bis zum Jahresende wissen, woher das Geld kommt, müssten eigentlich alle Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit geschickt werden“, so Graaf.
Die Kommunikation und der Informationsaustausch verschlechtern sich durch die längeren Wege, wodurch es zu Verzögerungen bei der Entscheidungsfindung kommen könnte. Um bessere Kommunikationswege und eine funktionierende Zusammenarbeit aufzubauen, hat sich der SJR mit dem ehemaligen Kreisjugendring Uecker-Randow zusammengetan und ist im Oktober dem Kreisjugendring Vorpommern-Greifswald beigetreten. Der SJR erhofft sich eine engere Zusammenarbeit und kreisweite Projekte. Die Reform wirkt sich auch finanziell aus. Der Großkreis Vorpommern-Greifswald ging mit Schulden an den Start. Doch diese entfallen im Bereich Jugend, da in Uecker-Randow und Greifswald die Finanzen zusammengenommen werden. Nach Graaf würde es trotzdem weniger Geld geben. Schwierigkeiten sieht sie darin, wie entschieden wird, wer wie viel Geld bekommt.
Neben der Jugend berührt die Kreisgebietsreform auch das Frauenhaus in Greifswald. „Wir sind der einzige Ort um Zuflucht und eine befristete Wohnmöglichkeit für Opfer häuslicher Gewalt zu bieten. Wir verbinden dieses Angebot mit ambulanter Beratung, was auch in Wolgast, Pasewalk und Anklam bereit gestellt wird“, erzählt die Leiterin Dinara Heyer über das seit 20 Jahren bestehende Haus. Im Gegensatz zum „klex“, das eine finanzielle Absicherung durch die Bürgerschaft für das Jahr 2012 erhalten hat, ist die zukünftige Situation des Frauenhauses unklarer. Falls ihr Sonderantrag nicht bewilligt wird, hätten sie „die schlimme Aussicht, dass sich die Angelegenheiten im Jahr 2012 lange herausschieben werden, ehe Anträge bewilligt werden.“
Heyer erzählt weiter, dass „sie nie wissen, ob die Summen genehmigt werden, so dass spätestens im Februar ein neues Loch klaffen wird.“ Dem Frauenhaus fehlen aufgrund nicht vollständig bewilligter Anträge 9 000 Euro. Durch die Kreisneubildung und der neuen Zuständigkeiten kann es sein, dass das zusätzlich benötigte Geld im Haushalt nicht berücksichtigt wird. „Nun sind wir ja kein Kaninchenzuchtverein, der eine Weihnachtsfeier machen will. Wir brauchen das Geld im Januar für die Deckung der laufenden Kosten“, fügt Heyer hinzu. Die Leiterin hofft, dass der neue Kreis das fehlende Geld bewilligen wird. Im Oktober fand zudem ein Benefizkonzert im St. Spiritus für das Frauenhaus statt.
Das „klex“ setzt auf eine andere Methode. Wie bereits ein anderer Verein plant das Haus eine Unterstützerkartei anzulegen. Darin wären regelmäßige Besucher des Jugendzentrums aufgelistet, die sich für die Erhaltung des Gebäudes einsetzen würden. „Wenn man bedenkt, wie viele Konzerte hier stattfinden und wie viele Besucher das sind, dann sollen sie sehen, was passiert, wenn sie das zumachen“, erläutert Graaf mit Nachdruck. Die Mitarbeiter des Frauenhauses blicken trotz ungewisser Zukunft optimistisch auf das neue Jahr. Heyer begründet dies mit großer Resonanz und Hilfe, die sie erhielten, obwohl ihnen ein finanzstarker Träger fehlt.
Graaf hegt ebenso hoffnungsvolle Gedanken. Der SJR wird demnächst ein Gespräch mit der Landrätin Vorpommern-Greifswalds Dr. Barbara Syrbe (Die Linke) führen, in dem es um die Situation und Zukunft der Jugendarbeit im Landkreis und die Leistungsvereinbarungen gehen wird: „Ich erhoffe mir, dass verstanden wird, dass nur, weil sich die Strukturen ändern, nicht auf Jugendarbeit verzichtet werden kann.“ Nicht nur das „klex“ und Frauenhaus sind betroffen. Es wird sich zeigen, ob andere Vereine auch betroffen sein werden. Sollten in Zukunft Projekte wegfallen, könnte dies junge Musiker wie Michael treffen.
Ein Bericht von Irene Dimitropoulos, Laura-Ann Schröder unf Merle Ukena mit einer Grafik von Daniel Focke.