An dieser Stelle veröffentlichten wir vor zwei Tagen, am 1. November, den ersten Teil des Gesprächs mit Gregor Gysi. Dort ging es unter anderem um die Finanzkrise und im Besonderen um die viel diskutierte Griechenland-Hilfe. Auch das neue Parteiprogramm seiner Partei Die Linke war Thema, wo auch die angeblichen neuen Pläne zur Legalisierung von Drogen angesprochen wurden. Teil zwei liefert nun Details zu Gysis (Partei-)Jugend und seinem „Promibonus“.

wM: Mal eine Frage zum Namen der Partei. Viele empfinden diesen Namen als…

Gysi: …als leicht anmaßend…

wM: …ja, denn links sein ist eher eine humanistische Wertvorstellung und unabhängig einer Parteimitgliedschaft…

Martin Hackbarth im Gespräch mit Gregor Gysi

Martin Hackbarth im Gespräch mit Gregor Gysi

Gysi: …ja, aber wir wollten auch anmaßend sein. Die Schwierigkeit war folgende. Wir hießen Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) und die anderen hießen Wahlalternative sozialer Gerechtigkeit (WASG) und dann haben wir uns verständigt und gesagt „Was sind wir denn überhaupt? Wir sind einfach Linke!“. Und dass dies die SPD ein bisschen ärgert war doch ganz nett. Bei PDS hat sich die SPD auch geärgert, denn wenn du den Buchstaben umdrehst, entsteht aus PDS SPD. Aber klar, ein bisschen anmaßend und frech waren wir. Man muss auch mal ein bisschen frech sein. Das einzig Blöde ist jetzt immer, dass es begrifflich so schwer zu unterscheiden ist. Wenn in den Zeitungen von den Linken die Rede ist, meinen die ja nicht immer uns. Daran hatten wir bei der Namensgebung nicht gedacht, aber ich bleib‘ dabei. Ich bin mit dem Namen Die Linke ganz zufrieden.

wM: Zum Schluss hätte ich jetzt gerne noch ein paar wenige Fragen zu Ihrer Person. Welche Beweggründe hatten Sie damals, sich politisch zu engagieren?

Gysi: Ich hatte mir eine Nische gesucht. Als Rechtsanwalt konnte ich in der DDR in jeder Hinsicht ganz gut leben. Dann passierte 1984 der Umbruch in der Sowjetunion und ich merkte, wie meine eigene Führung dagegen hielt. Dadurch wurde ich immer politischer und äußerte mich auch immer politischer. Dies leitete dann eine Entwicklung ein, welche mich zum Politiker machte. Ich hatte dann im Deutschen Theater zu den ganzen Demonstranten gesprochen und hatte die Idee, wieso man es mal nicht mit einer legalen Demonstration versuchen würde. Und so kam die Demonstration vom 4. November 1989 zustande. (Am 4. November1989 kam es zur ersten offiziell genehmigten Demonstration in der DDR in Berlin, welche nicht vom Staat organisiert wurde. Anm. d. Red.) Ich bin ja doch von Natur aus Anwalt. Ich weiß noch ganz genau, dass das Neue Forum zu mir kam und fragte, ob ich nicht Mitglied werden möchte. Ich wusste zwar, wogegen die sind, aber nicht wofür. Sie meinten zwar zu mir, dass ich ja als Mitglied an dem mitwirken könnte, wofür das Neue Forum denn ist, aber ich wusste, dass es eine Sammelbewegung ist, die nicht halten wird, wenn denn wieder normale Strukturen entstehen. Dann hatte ich eines gesagt. „Ich hab euch vertreten, als ihr noch als verfassungs- und staatsfeindlich galtet und eine Zulassung gefordert habt. Jetzt glaube ich, dass meiner Partei Falsches geschieht.“ Dann hatte ich damit angefangen, mich um meine Partei zu kümmern, aber eher in rechtlicher Hinsicht.  So bin ich halt in die Politik reingeraten.

wM: Aber sie sind ja schon mit 18 in die SED eingetreten.

Gysi: Kandidat wurde ich erst später und bin 1967 Mitglied geworden. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits 19. Aber ich hatte die Möglichkeit bei der Überreichung des Abiturs Mitglied zu werden ausgeschlagen. Das hatte so was Penetrantes und das mag ich nicht.

wM: Wenn Sie auf 40 Jahre zurückblicken. Was würden Sie dem 18-jährigen Gregor Gysi sagen?

Den "Promibonus" voll ausgespielt: Der Hörsaal war war schon lange vor seinem Vortrag voll besetzt.

Den "Promibonus" voll ausgespielt: Der Hörsaal war schon lange vor seinem Vortrag voll besetzt.

Gysi: Als Erstes würde ich ihm erzählen, wann er Bürger der Bundesrepublik Deutschland wird. Ich hätte dann ja eine ganz andere Geduld gehabt. Wenn ich gewusst hätte, dass der Honecker geht und ich der Einzige gewesen wäre, der das gewusst hätte. Dann hätte ich mich völlig anders verhalten. Aber mal im Ernst. Ich würde gar nicht so viel sagen. Und wissen Sie warum? Jugend ist Jugend, und wenn man älter wird, wird man älter. Das Einzige, was man wissen muss ist, dass man sich noch verändert, denn man ist ja der Überzeugung, dass man so bleibt, wie man ist. Denn es verändern sich ja auch die Bedürfnisse. Ich sag immer, wenn die Jugend in meiner Partei sich nicht rebellischer verhält als ich, dann machen die was falsch.

 

wM: Sie sind ja einer der bekanntesten Politiker in Deutschland. Wie muss man sich das eigentlich vorstellen? Hat man da überhaupt noch ein Privatleben? Kann man überhaupt problemlos im Supermarkt von nebenan einkaufen gehen? Wird man nicht andauernd angesprochen, selbst wenn man sich im Urlaub befindet?

Gysi: Einkaufen kann ich gehen, auch problemlos. Du wirst natürlich oft angesprochen, darauf muss man sich einstellen. In Berliner Gaststätten wird man eigentlich nicht gestört. Außer jetzt. Da wollen viele Leute etwas über Griechenland wissen. Urlaub in Deutschland ist hingegen schwer. Es fängt schon mit der Kleidung an. Wenn man kurze Hosen und T-Shirt trägt, wird man sofort überall fotografiert und das ist dann schon unangenehm. Deshalb fahr ich in der Regel ins Ausland und die kennen mich dann ja nicht. Es sei denn, es kommt ein deutscher Bus mit Touristen an. Das ist übrigens ganz witzig, selbst in ganz anderen Zeiten hielt so ein Bus an. Alle aus Bayern und alle wollten ein Foto mit mir machen. Nicht, dass einer uns gewählt hätte, aber ein Foto wollten sie trotzdem. Das ist so ein Promibonus an sich. Alles im Leben hat seine Vor- und Nachteile. Wenn ich irgendwo anrufe und es gibt keine Karten mehr, dann kriege ich trotzdem welche. Im Gegensatz zu Ihnen. Wenn ich aber fremdgehen sollte, dann hätte ich große Schwierigkeiten. Das krieg ich nicht gebacken, also lass ich es auch gleich bleiben.

Guido Westerwelle und Gregor Gysi bei "Jugend und Parlament 2006"

Gregor Gysi und Guido Westerwelle bei "Jugend und Parlament 2006"

wM: Eine letzte Frage hätte ich noch. Es ist ein ziemlich hartnäckiges Gerücht. Stimmt es denn, dass Sie gut mit Guido Westerwelle befreundet sind?

Gysi: Nein, das wäre übertrieben. Wir haben keine Schwierigkeiten im Umgang miteinander. Wir gehen auch mal miteinander essen. Und wissen Sie auch warum? Weil uns sämtliche Journalisten der Bild-Zeitung sehen und nicht darüber schreiben können, dass wir über eine Koalition geredet haben. Jeder weiß, dass es ausgeschlossen ist. Wenn ich dort aber mit Sigmar Gabriel sitzen würde, dann wäre dies schon nicht mehr so. Das ist ja das Interessante. So ferner du politisch voneinander bist, umso ungezwungener kannst du miteinander umgehen. Diese Erfahrung musste ich auch erst machen. Der Umgang miteinander ist jetzt normaler geworden. Ich habe ein ganz gutes Verhältnis mit Westerwelle, also von Person zu Person, aber befreundet würde ich nicht sagen. Unter Freundschaft versteh‘ ich da sehr viel mehr.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Martin Hackbarth.

Auch die Kollegen und Kolleginnen von moritzTV wohnten dem Interview bei. Im dunklen Schnittkämmerlein haben sie im Anschluss das Interview in Bild und Ton aufgearbeitet.

Fotos: Interview: Raphael Scheibler/ Westerwelle: User „Manos Radisoglou“ via www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by)/ Hörsaal: Simon Voigt