Auch Menschen im Rentnerdasein entscheiden sich für ein Studium, unter anderem auch in Greifswald. Was motiviert die Senioren? Was unterscheidet junge von alten Studenten? Welche Perspektiven haben die Älteren an der Universität?

Die meisten Studenten, so unterschiedlich sie von ihrem Hintergrund, ihrem Interesse und ihrem Studiengang auch sein mögen, teilen in der Regel dennoch eines: Sie erleben ihr Studium aus der Perspektive eines jungen Menschen. Seit mehreren Jahren halten Senioren sowohl als Gasthörer als auch als eingeschriebene Studenten Einzug in deutsche Hörsäle, die nach ihrer Zeit im Beruf noch einmal die intellektuelle Herausforderung auf dem Campus suchen. Wie erleben die Älteren die Universität und den Umgang mit Jüngeren? Inwiefern unterscheiden sich die Perspektiven zwischen Menschen, die in ihrer Rolle als Student mehr als eine Generation trennt?

Margitta Hoth ist eine von ihnen. Vorher im Lehrerdienst tätig, unterrichtete sie seit den 70ern Gymnasiasten in Deutsch und Geschichte. Nun ist sie 63 Jahre alt und studiert seit vier Jahren Germanistik und Kunstgeschichte mit ihren vierzig Jahre jüngeren Kommilitonen an der Universität Greifswald.

Die Senior-Studenten haben unterschiedliche Motive für ihre Studienwahl. Gemeinsam ist den meisten, dass es ihnen nicht mehr um den Abschluss geht, sondern um Themen, die den Einzelnen schon immer interessiert haben. Zwischen bestehenden Interessen, die die beruflich genutzten Kenntnisse vertiefen, oder aber zu kurz gekommenen, oft als Hobby betriebenen, Fragestellungen besteht keine Lücke, vielmehr geht es den Seniorstudenten um eine Ergänzung und Erweiterung ihres Horizontes und um die Erfüllung zur Selbstverwirklichung. Dies ist auch bei Margitta Hoth der Fall. Ihre Entscheidung, Kunstgeschichte nach einem bereits abgeschlossenen Berufsleben an der Universität zu belegen, stellt für sie eine Ergänzung an sachlichen Verbindungen dar, die für sie in ihrem Beruf immer zu kurz kamen.

Ihre Motivation umschreibt die ehemalige Deutschlehrerin mit einem Schiller-Zitat: „Ich bin zu alt, um nur zu träumen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein“. „Der Hauptgrund ist, dass Menschen mit 50 in ihrem Beruf ja schon viele Erfahrungen gesammelt haben und neugierig darauf sind, ganz neue Erfahrungen zu sammeln“, sagt Dr. Silvia Aleff. Als Allgemeinmedizinerin hat sie in ihrer Praxis viel mit älteren Menschen zu tun und kennt deren psychologischen Hintergrund. Es seien durchgängig Persönlichkeiten mit einer hohen Motivation und einem bereits früher ausgeprägtem Interesse daran, sich selbst zu entwickeln, die nach Beendigung ihrer beruflichen Laufbahn noch einmal ein Studium begännen. Dass ihre Persönlichkeitsbildung und –entwicklung im Vordergrund steht, bestätigt auch Margitta Hoth.

Bei jüngeren Studenten steht diese zwar ebenfalls implizit auf der Agenda, Hauptziel eines Universitätsstudiums bleibt aber nach wie vor die Vorbereitung auf einen künftigen Beruf. Dadurch unterscheiden sich jüngere und ältere Studenten sehr in Hinblick auf die Verwendung der erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten: „Ich kann mit meinem Nichtwissen jetzt relaxter umgehen, weil ich nicht mehr den Druck habe, das als Handwerkzeug zu benutzen.“ Das Humboldtsche Bildungsideal, Studienfächer bezüglich Forschung und Lehre ganzheitlich ausbilden zu können, können die Senioren so in ihrem Studium vollends ernst nehmen, da weder Zeit- noch Gelddruck ihnen einen modularisierten Studienverlauf aufzwingen. Für wen ist Bildung in Zukunft noch möglich, wie kann Bildung gesellschaftlich künftig nutzbar gemacht werden? Hier könnte der vielleicht explosivste Aspekt in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion der „Rentner-Studenten“ an den Hochschulen liegen, denn dort betrifft der demografische Wandel die Schnittstelle der Generationen mit allen damit verbundenen Problemen und Chancen unmittelbar. Möglicherweise beginnt damit ein Wandel in der Auffassung von Lernen in der Universität.

Margitta Hoth freut sich über die freundliche Aufnahme, die sie an der Universität gefunden hat und genießt die Bereicherung durch die anregende Umgebung. Das späte Studium bringt noch einmal eine neue Form von Spannung, eine andere Qualität der Grenzsituationen in das Leben des Studierenden – und sorgt damit für eine neue Dynamik, „auch in der Partnerschaft, nachdem die Kinder aus dem Haus sind“, erklärt Dr. Aleff. Die Unterstützung durch den Partner und das Umfeld sind für die Erhaltung der hohen Motivation wichtig, insbesondere wenn es organisatorische Herausforderungen zu meistern gilt, wie für Margitta Hoth, die für jeweils zwei Tage in der Woche aus der Nähe von Neubrandenburg nach Greifswald zum Studium kommt. Die auch in diesem Punkt fundamental von der Lebenswirklichkeit der 20-Jährigen unterschiedene Situation sorgt dafür, dass die Inhalte eine andere Gewichtung und andere Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung bekommen. Durch die bereits gemachten Erfahrungen sind Senioren-Studenten in der Regel zielstrebiger in der Wahl aus dem Angebot an Kursen, weil sie ihre Interessen, Wünsche und Ziele oft besser kennen und einschätzen können.

Oft studieren jung und alt bislang mit wenig oder keinen Berührungspunkten nebeneinander. Die jüngeren Studenten haben mehr mit ihren Kommilitonen zu tun, mit denen sie auch ihre Freizeit verbringen, während Ältere sich meist noch in einem sozialen Umfeld mit Partner und Freunden außerhalb des universitären Kontextes bewegen. Die älteren Studenten möchten sich als „Gäste“, wie sich auch Margitta Hoth in ihrer Rolle an der Hochschule sieht, nicht in den Vordergrund drängen. Es hängt dabei vor allem von der Persönlichkeit des „Alt-Studenten“ und von der Platzsituation im Seminar ab, welche Meinung ihre jüngeren Kommilitonen zu den Rentnern haben. Konfliktpotenzial entsteht vorrangig dann, wenn Senioren in bereits überfüllten Seminaren sitzen, dort vielleicht noch eine bevorzugte Behandlung erwarten oder sich durch ihre Beiträge allzu sehr in den Vordergrund stellen. Durch den bislang deutlich geringen Anteil von Seniorstudenten in Greifswald (siehe Infokasten) besteht diese Problematik jedoch nur vereinzelt. „Mir hat noch niemand einen Platz weggenommen und die bezahlen ihr Studium ja auch selbst“, antwortet ein Jura-Student auf die Frage, welche Meinung er zu Senior-Studenten vertritt.

Im besten Falle entsteht eine „win-win-Situation“, was bedeutet, dass jüngere und ältere Studenten voneinander profitieren. Neue unvoreingenommene Sichtweisen erhalten Befruchtung durch praktische Erfahrung und andersherum. So wie eine Studentin einen Senior-Studenten in ihrem Seminar erlebt: „Er hat vor allen Dingen ganz interessante Gedankengänge, wenn er Fragen stellt, vielleicht auch weil er mehr Lebenserfahrung hat.“ Damit gewinnen Jüngere ebenfalls eine Perspektive für ein Leben, in dem das Lernen nicht aufhört. Eine junge Studentin hat sich jedenfalls vorgenommen: „Ich werde das auch machen. Wenn ich alt bin, geh ich auch noch mal an die Uni!“ Die Auffassungen zu Rentnern an der Universität sind zwar geteilt, doch in einem Punkt sind sich fast alle einig: Das Leben endet nicht mit dem Eintritt in die Rente und jeder, der in diesem Alter noch einmal die Motivation findet, die Studienbank zu drücken, ist zu bewundern!

Infokasten
WS 2010/2011:
ca. 67 Studierende zwischen 46 und 50 Jahren
WS 2010/2011:
ca. 50 Studierende ab 51 Jahren und älter
Fakultäten: Die meisten „Altstudierenden“ sind in der Theologischen und Philosophischen Fakultät immatrikuliert
Studienfächer: Innerhalb der Philosophischen Fakultät studieren die meisten Rentner Kunstwissenschaft, Philosophie und Geschichte

Ein Bericht von Maria Aleff und Sandrina Keutschmann mit einem Foto von Ronald Schmidt.