555 Jahre Universitätsgeschichte, diese Zahl prangt auf jedem Erstishirt und steht für eine lange Tradition, aus der noch viele Zeugnisse erhalten sind. Ein Beispiel ist der alte Karzer, das Studentengefängnis, in dem noch bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts hinein straffällig gewordene Studenten ihre Haft absitzen mussten. Interessierte konnten sich am Mittwoch durch den Karzer führen lassen.

Bereits am Treffpunkt der Führung, dem Rubenowdenkmal, zeigte sich, dass großes Interesse an dem alten Studentengefängnis besteht. Die versammelte Gruppe aus Erstsemestern, aber auch höheren Semestern wurde von zwei Studentinnen in traditionellen Talaren in den Hörsaal 3 des 1886 errichteten Audimax geführt. Dieser Saal ist selbst weitgehend im Urzustand und zeigt auf den hinteren Bänken noch Schnitzereien aus dem 19. Jahrhundert. Zum Karzer geht es über eine Hintertür hinauf.

Die Einzelzelle mit Blick auf den Innenhof präsentierte sich als spartanisch eingerichteter, aber an den Wänden bunt verzierter Raum. Grund sind die vielfältigen Malereien an Tisch, Stuhl, Türen, Wänden und sogar Decke, welche aus Langeweile während der Haft entstanden. Die inhaftierten Studenten verewigten sich mit Schriftzügen ihres Namens und den Daten ihrer Haft, aber auch Zeichnungen von bekannten damaligen Schauspielerinnen aus der Stadt. Auffällig oft zeigen sich Zirkel oder die bunten Wappen von Studentenverbindungen, deren Mitglieder für die meisten der bis zu vier Wochen dauernden Disziplinarmaßnahmen verantwortlich waren. Die Haft wurde häufig als Kult gesehen, den jeder Student einmal erlebt haben sollte und wurde mitunter bei den Verbindungen mit einem regelrechten Festumzug zum Strafantritt gefeiert. Ein Student mit dem Spitznamen Bubi „schaffte“ es sogar sechs Mal in den Karzer und ist mit seinen Zeichnungen und Schnitzereien am häufigsten vertreten. Gründe für die Haftstrafen waren Vergehen wie das Bewerfen anderer Menschen mit Gegenständen, rüpelhaftes Verhalten, öffentliche Trunkenheit, Beleidigung des Professors oder Baden an unerlaubten Stellen.

Eigene Gerichtsbarkeit

Die Karzerordnung

Die Karzerordnung

Die Universität von Greifswald besitzt schon seit ihrer Gründung den Status einer Volluniversität. Früher bedeutete dies auch, dass die Universität eine eigene Gerichtsbarkeit besaß, welcher alle Angehörigen unterstanden. Deswegen war es auch nur der Alma Mater Gryphiswaldensis erlaubt, Gerichtsverfahren gegen straffällige Studenten oder Professoren zu eröffnen und diese auch im Karzer einzusperren. Heute wie früher repräsentiert jeder Student seine Universität in der Öffentlichkeit. Um für ein positives Bild zu sorgen, war es durchaus üblich, auf regelmäßigen nächtlichen Kontrollen in Kneipen Verstöße aufzudecken. Heute muss sich allerdings kein bierseliger Student mehr fürchten, die letzte Karzerhaft wurde im Jahr 1914 verhängt.

In einer Ecke des Raumes hängt zur Erinnerung die Karzerordnung. Sie verbot beispielsweise Lärm und fordert den Studenten auf, „sich während seines Aufenthalts im Karzer eines anständigen Benehmens zu befleißigen“. Erlaubt war es, das eigene Bett, Kleidung, Verpflegung, Bücher und Schreibmaterial mitzubringen. Außerdem durfte der Student zum Mittagessen und für Vorlesungen den Karzer verlassen und Besuch empfangen. Dieser brachte meist Wein und Bier mit und es wurden gemeinsame Zechgelage veranstaltet, „spirituoße Getränke“ waren dann allerdings schon verboten.

Fotos: Simon Voigt