Am 4. September sind Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Für die Journaille hat das vor allem zwei Vorteile: Zum einen gibt stets etwas zu berichten und zum anderen sind die Politiker auch noch viel gesprächiger als sonst. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) am vergangenen Wochenende Zeit fand, zu Besuch in die webMoritz-Redaktion zu kommen. Sellering ist Spitzenkandidat seiner Partei und tritt zudem als Direktkandidat für den Wahlkreis Greifswald an – obwohl er seit Längerem in Schwerin wohnt. Während des halbstündigen Besuchs fragte der webMoritz den Landesvater nach diesem und anderen Themen, etwa dem Theater Vorpommern, dem Status der Greifswalder Geisteswissenschaften oder der Zukunft der jungen Leute in MV.

Kaffeklatsch mit dem MP: Erwin Sellering in der webMoritz-Redaktion.

webMoritz: Herr Sellering, wie viel Spaß macht Wahlkampf eigentlich?
Erwin Sellering: Wahlkampf bedeutet, mit den Menschen im Land ins Gespräch zu kommen. Das mache ich sehr gerne.

Dieses Mal sind Sie selbst ja auch der Spitzenkandidat. Was ist da anders?
Man kommt noch leichter ins Gespräch. Als Ministerpräsident wird man auf mehr Themen angesprochen.

Ihr Umzug nach Schwerin hat im letzten Jahr für einige Aufregung gesorgt – warum treten Sie denn überhaupt noch mal hier in Greifswald als Direktkandidat an?
Die Frage einer erneuten Kandidatur habe ich sehr offen mit dem Vorstand der Greifswalder SPD diskutiert. Am Ende hieß es: Aus Sicht der Greifswalder SPD ist es das Beste, wenn ich hier kandidiere. Das mache ich gern, weil ich mich weiter für Greifswald einsetzen will. Die sehr offene Diskussion im Vorfeld hat übrigens dazu geführt, dass ich zum ersten Mal in meinem politischen Leben mit 100% nominiert worden bin – das hat mich sehr gefreut.

Sie stehen als Ministerpräsident für die Kreisgebietsreform, die hier nicht besonders beliebt ist. Ihr Gegenkandidat Liskow ist gegen die Reform. Wie wollen sie uns Ihre Position bis zum 4. September schmackhaft machen?
Mein wirklicher Gegenkandidat ist Herr Caffier als Spitzenkandidat der Union. Wir stehen beide gemeinschaftlich hinter der Verwaltungsreform. Es gibt diese Reform nur, weil Herr Caffier sehr engagiert dafür in der CDU geworben hat und ich sehr engagiert dafür in der SPD. Eine Verwaltungsreform, die Gebietsgrenzen verändert, ist nie beliebt. Aber diese Reform ist unumgänglich. Wir müssen in diesem Land, das nicht zu den reichen Bundesländern in Deutschland zählt, dafür sorgen, dass wir das Geld nicht für Bürokratie ausgeben, sondern für die wirklichen politischen Aufgaben: für mehr Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze, für Familien und Kinder.

„Liskow hat viel Porzellan zerschlagen“

Trotzdem stehen Sie mit dieser Haltung hier im Wahlkreis in Opposition zu Herrn Liskow.
Nach meiner Wahrnehmung ist Herr Liskow mit dieser Haltung in der CDU-Fraktion sehr isoliert. Er hat mit seiner Fundamentalopposition viel Porzellan zerschlagen. Ich hatte deshalb große Schwierigkeiten dafür zu werben, dass Greifswald Kreissitz wird. Wenn man den Kreissitz will, dann braucht man Verbündete aus anderen Kreisen – und die hat Herr Liskow innerhalb der CDU so verprellt, dass das kaum noch möglich war. Da war dann massiver Einsatz nötig, um das noch hinzubekommen.

Und was sagen Sie den kritischen Greifswaldern?
Es ist zu einfach, wenn einige sagen: Warum sollen wir mit Ostvorpommern und Uecker-Randow zusammengehen, wo wir doch finanziell stärker sind? Greifswald ist die Lokomotive für Vorpommern. Deshalb hat das Land die Stadt in den letzten zwanzig Jahren massiv unterstützt. Jetzt muss Greifswald diese Rolle als Lokomotive annehmen und Verantwortung für die ganze Region übernehmen. Am Ende wird die Stadt davon profitieren.

Was sagen Sie zur Affäre „Technisches Rathaus“?
Ich habe heute den Untersuchungsbericht vorgelegt bekommen, ihn aber noch nicht gelesen. Ich finde es richtig, dass man das mit den parlamentarischen Mitteln aufklärt und einen Untersuchungsausschuss einsetzt. Der Ausschuss kam ja zu dem Ergebnis, dass Herr Liskow um die Vorgänge schon längere Zeit gewusst, sein Wissen aber nicht weitergegeben hat. Und insofern finde ich es angemessen und richtig, wenn weite Teile der Bürgerschaft das kritisieren.

Theater: Große „Egoismen“ vor Ort

Ums Theater gefeilscht werden soll erst wieder nach der Wahl.

Warum haben Sie beschlossen, das Thema „Theater Vorpommern“ auf nach der Wahl zu verschieben? Fürchten Sie die mediale Aufmerksamkeit?
Nein. Das Land gibt im Bereich Kultur pro Kopf gerechnet mehr aus als alle westdeutschen Flächenländer. Die Theater müssen aber stärker zusammenarbeiten und versuchen, durch diese Zusammenarbeit die Kosten in den Griff zu bekommen. Das ist bisher noch nicht gelungen. Deshalb habe ich gesagt: Wir müssen uns das direkt nach der Wahl noch einmal anschauen.

Und dann gibt es bittere Pillen?
Es geht nicht um das Verteilen von bitteren Pillen. Im Gegenteil fördern wir die Kultur sehr stark in diesem Land. Es geht darum, dass die Kommunen ihren Teil beitragen und mit dem Land gemeinsam etwas zustande bringen. Bisher ist das nicht gelungen, weil die Egoismen vor Ort oft zu groß sind.

Dann wird aber etwa das Theater Vorpommern wieder monieren, dass es keine Planungssicherheit gibt, wie schon 2010 und 2011. Stichwort Ostseefestspiele.
Die Planungssicherheit ist vorhanden: Wir haben gesagt, wie viel Geld bereitsteht und dass sich die Theater untereinander auf Kooperationen verständigen müssen, um zu Einsparungen zu kommen.

Theater, Kreisgebietsreform und die Universität sind nur einige Probleme Greifswalds beim Land. Hätten Sie als Ministerpräsident und Direktabgeordneter überhaupt die Möglichkeit, für einen einzelnen Wahlkreis Partei zu ergreifen?
Es ist eine falsche Vorstellung, wenn man einen engagierten Wahlkreisabgeordneten daran erkennen will, dass er gegen seine eigene Regierung stimmt. Ein guter Wahlkreisvertreter sorgt dafür, dass die Interessen seiner Region in die Arbeit der Landesregierung und des Landtages einfließen. Das mache ich. Als Ministerpräsident kann ich meinem Wahlkreis natürlich keine unberechtigten Vorteile verschaffen. Aber selbstverständlich setze ich mich für Greifswald ein.

Medizin ist „Herzstück “ der Uni – hilft aber allen

Das Klinikum ist das "Herzstück" der Uni

Ein alter Streit an unserer Uni geht so: Die Mediziner kriegen eine neue Klinik, während den Geisteswissenschaftlern die Häuser einstürzen. Was ist Ihr Standpunkt dazu?
Das Land hat in den letzten 20 Jahren viel Geld in die Universität investiert. Das ist eine Riesenanstrengung, bis heute. Die größte Anstrengung war natürlich das Uni-Klinikum. Ich weiß, dass es Geisteswissenschaftler gibt, die sagen, das helfe ihnen wenig. Aber das stimmt nicht. Dass sich ein Land wie MV zwei Unis leistet, ist nicht selbstverständlich. Ich habe im Jahr 2000 die Diskussionen über eine mögliche Privatisierung des Klinikums erlebt und dagegen gekämpft. Das wäre nicht nur ein Rückzug des Landes aus der Verantwortung für das Klinikum gewesen, sondern es hätte die Uni insgesamt gefährdet. Mir lag damals sehr daran, dass es nicht dazu kommt. Wir haben so das Herzstück der Uni erhalten und heute hat niemand mehr Zweifel daran, dass diese Universität bestehen bleibt. Insofern hat jede einzelne Fakultät etwas davon, dass die Medizin so stark ist. Da sind wir jetzt sehr gut aufgestellt und wir werden weiter die Neubauten unterstützen.

Wie wird das konkret aussehen?
Es gibt langfristige Pläne, welche Baumaßnahme wann drankommt. Aber es kann natürlich sein, dass Unvorhergesehenes passiert, zum Beispiel, dass es bei den Historikern rein regnet. Dann muss man überlegen, wie man schnell helfen kann. Da gibt es Gespräche und wir sind auf einem guten Weg.

Und dann gibt es demnächst langfristige Planungssicherheit? Das vermissen viele an den Innenstadt-Fakultäten…
Es gibt keine Planungssicherheit? Ich glaube, wenn an den Fakultäten dieser Eindruck entsteht, muss man über die Kommunikationsstrukturen innerhalb der Uni nachdenken. Wir führen Gespräche mit der Hochschulleitung, da gibt es einen ganz klaren Pfad. Und wir sind bereit, etwas vorzuziehen, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, wie bei den Historikern.

Geisteswissenschaften tun dem Land gut

Sellering und webMoritz-Redakteure

Welche Rolle spielen denn für Sie die Geisteswissenschaften in der künftigen Bildungs- und Hochschullandschaft in MV?
Es hat Zeiten gegeben, wo dieses Land im wirtschaftlichen Aufholprozess nicht so selbstbewusst war, zu sagen: Dazu gehören auch Geisteswissenschaften. Man hat eine Zeit lang sehr auf direkte Verwertbarkeit für die Wirtschaft geschaut. Aber dass die Geisteswissenschaften hier stark auf den Ostseeraum ausgerichtet sind und dass das etwas ist, was dem Land gut tut, das ist heute keine Frage mehr.

Im Mai wurde kolportiert, Sie hätten vor, das Kultusministerium abzuschaffen und mit dem Wirtschaftsministerium zu fusionieren. Was ist da dran?
Nichts. Über den genauen Zuschnitt der Ministerien kann man sinnvollerweise erst nach der Wahl entscheiden, wenn die Schwerpunkte der Regierungsarbeit bis 2016 festgelegt werden. Aber, das was Sie sagen, ist so abwegig, dass ich es sofort ausschließe.

Thema Studiengebühren: Ist MV ohne Gebühren langfristig konkurrenzfähig?
Es gibt ja nur noch zwei Länder, die an Studiengebühren festhalten. Ich habe gelesen, dass jetzt auch Herr Seehofer überprüfen will, ob Studiengebühren in Bayern noch richtig sind. Ich vermute mal, das ist eine typische Seehofersche Wendung, um den Ausstieg vorzubereiten. Wenn Bayern rausgeht, sind die Niedersachen mit Studiengebühren ganz allein. Sozialdemokratisches Credo ist, dass Bildung kostenlos sein muss. Wir sind ganz klar gegen Studiengebühren.

„Wie im Paradies hier“

Wahlkämpfer in Denkerpose

Das Land MV setzt stark auf die Wirtschaftsfaktoren Tourismus und Gesundheit, insbesondere auch in Kombination. Wie wollen Sie junge Menschen ins Land locken?
Ganz wichtig ist zunächst, dass wir junge Menschen im Land halten. Vor zehn Jahren mussten einige junge Leute noch zur Berufsausbildung in andere Bundesländer gehen. Diese Zeiten sind vorbei. Vergangenes Jahr hatten wir zum ersten Mal mehr Ausbildungsplätze als Schulabgänger. Außerdem haben wir attraktive Universitäten und Hochschulen. Das ist eine gute Voraussetzung, um junge Leute im Land zu halten oder nach Mecklenburg-Vorpommern zu holen. Dass müssen wir den Leuten vermitteln. In einer Umfrage der Staatskanzlei haben 92 Prozent der Bürger gesagt, dass man hier „gut“ oder „sehr gut“ leben kann. Das war nicht immer so, aber es spielt eine große Rolle dass wir das ausstrahlen. Dann brauchen die jungen Menschen auch gute Perspektiven nach der Ausbildung oder dem Studium. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich in den letzten fünf Jahren verbessert, gerade für junge Menschen. Womit wir auch punkten können, ist die gute Kinderbetreuung bei uns im Land. 97 Prozent aller Kinder zwischen 3 und 6 haben einen Kinderbetreuungsplatz. Mir haben schon zugereiste westliche Mütter gesagt, dass sei wie im Paradies hier. Das höre ich natürlich gern.

MV ist ein Flächenland mit enormen demographischen Problemen. Ein Knackpunkt ist die Frage der Mobilität, sei es der Gang zum Amt oder zum Arzt. Haben Sie eine Vision für dieses Problem?
Das ist ein Thema mit vielen Facetten. Wir haben mit allen zuständigen Ministerien einen Demographiebericht erstellt, um eine Strategie zu entwickeln, besonders für den ländlichen Raum.

Und was wollen Sie da unternehmen?
Es gibt da nicht die eine Lösung. Stattdessen müssen wir viele kleine Ideen ausprobieren. Ich will nicht so tun, als wüsste ich, wie man überall die Mobilitätsprobleme im ländlichen Raum lösen kann. Aber man kann zum Beispiel auf Anrufbusse setzen. Das ist oft besser, als mit großen Bussen starre Routen abzufahren. Da gibt es schon eine Reihe von guten Initiativen. Auch sonst müssen wir schauen, wie wir Dienstleistungen mobil machen. Jeder kennt Bibliotheksbusse. So etwas brauchen wir bei anderen Dienstleistungen. Wir müssen die Möglichkeiten des Internets stärker nutzen. Und auch das Ehrenamt spielt eine wichtige Rolle. Jedes Dorf hat andere Bedürfnisse und ehrenamtliche Initiativen können da stark helfen. Wir wollen das unterstützen, aber wir können keine staatliche Rundumversorgung garantieren.

Bla Bla und Bimm Bamm: Am Freitagabend war Sellering als Wahlkämpfer in Greifswald unterwegs

Bla Bla und Bimm Bamm: Am Freitagabend war Sellering als Wahlkämpfer in Greifswald unterwegs

Kein Schmusewahlkampf

Abschließend noch ein Ausblick auf den Wahlkampf: Welches Thema halten Sie im beginnenden Wahlkampf für überbewertet?
So ein Thema habe ich noch nicht wahrgenommen.

Und womit wollen Sie punkten?
Meine Themen sind klar. Ich möchte, dass wir die Wirtschaftskraft des Landes weiter stärken, damit es Arbeitsplätze gibt. Das ist das wichtigste. Was noch besser werden muss, sind die Löhne. Nun kann ich als Ministerpräsident natürlich nicht höhere Löhne verordnen. Aber ich setzte mich in Berlin für einen Mindestlohn als Untergrenze ein. Und ich sage der Wirtschaft hier im Land: Ihr könnt die guten Leute nur halten, wenn ihr sie auch gut bezahlt.
Das zweite Thema ist Familie und Kinder. Es geht um gute Chancen und gute Bildung von Anfang an. Deswegen wollen wir weiter in die Kitas im Land investieren.
Und das dritte Thema sind solide Finanzen. Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den ganz wenigen Bundesländern, die in den letzten Jahren keine Schulden aufgenommen haben. Diese solide Finanzpolitik will ich fortsetzen.

Wahlkampf verkehrt: Was kann Herr Caffier besser als Sie?
Entscheidend ist für mich, dass er als Innenminister gute Arbeit macht.

Also Innenminister kann er besser, aber den Rest nicht?
Ich habe nicht gesagt, dass er Innenminister besser kann, sondern dass er gute Arbeit macht.

Das klingt trotzdem ein bisschen nach Schmusewahlkampf…
Nein, das sehen Sie falsch. Ich halte aber nichts davon, im Wahlkampf vor allem die anderen Kandidaten schlecht zu machen. Ich sage: Wir haben dieses Land in den letzten Jahren gut regiert und voran gebracht. Und die SPD hat die besseren Konzepte für die Zukunft unseres Landes.

Interview: Gabriel Kords, Carsten Schönebeck

Fotos: Philipp Blank (Interview), SPD Greifswald (Wahlkämpfer unterwegs), webMoritz-Archiv