Die Forschung ist für die Wissenschaft ein nicht mehr wegzudenkendes Arbeitsfeld. In der Geschichtswissenschaft bereichert Dr. Jörg Driesner mit Erlebnissen seiner Forschungsreisen im asiatischen Raum die gefüllten Seminarräume.
Seit wann sind Sie Dozent an der Universität in Greifswald?
Ich habe meine erste Lehrveranstaltung 2003 im Sommersemester abgehalten.
Was haben Sie davor gemacht?
Studiert (lacht). Ich habe 2003 mein Examen gemacht, habe in dem damaligen Graduiertenkolleg ein Stipendium bekommen und dann zum Wintersemester meine erste Lehrveranstaltung gegeben.
Sie sind also auch Greifswalder und sind nicht von außerhalb gekommen, um hier zu arbeiten?
Ich bin hier geboren, habe hier mein Abitur gemacht, studiert und arbeite jetzt auch hier.
Außer für die Forschungsreisen…
Genau! Ich fahr´ da nicht hin zum Arbeiten, sondern zum Forschen.
Seit wann machen Sie Forschungsreisen?
Angefangen hat das eigentlich mit studentischen Exkursionen, ich glaube 1998. Wir haben die Lehrstuhlexkursionen mitgemacht. Im Frühjahr 2004 bin ich dann wirklich das erste Mal auf Forschungsreise nach Indien gefahren, mit Herrn Drost gemeinsam.
Sie sind also nicht der einzige Dozent unserer Universität, der Forschungsreisen betreibt?
Nein, der, der am meisten fährt ist Herr North und natürlich Herr Drost. Ich fahre in der Regel gemeinsam mit Herrn Drost. Asien ist immer ein bisschen schwierig, wenn man das alleine macht. Will man sichere Ergebnisse haben, ist es immer besser, zu zweit hinzufahren. Die politischen Gegebenheiten sind auch nicht immer die besten, wenn denn da so irgendwelche Aufstände angezettelt werden in Tibet oder so, ist das immer ein bisschen doof.
Wie viele Forschungsreisen gab es denn bei Ihnen bis jetzt überhaupt?
Also Europa kann ich nicht mehr zählen. Außereuropäisch war ich vier Mal in Indien, als nächstes fahre ich nach Jakarta ebenfalls zum vierten Mal. Singapur eigentlich regelmäßig ein bis zwei mal im Jahr, gut in diesem Jahr jetzt nicht, aber in der Regel machen wir das. Ich glaube letztes Jahr war ich alleine schon drei Mal in Singapur und dann solche Sachen wie Vietnam. Alles andere ergibt sich in der Regel aus den Reisen. Wenn man in der Gegend ist, schauen wir auch in welcher Art und Weise man dort noch forschen kann.
Die Zielsetzung solch einer Reise ist also nicht komplett von vornherein durchgeplant, sondern ergibt sich auch schon mal spontan?
Also so spontan ist das auch nicht. Ein Jahr Vorlauf hat man in der Regel schon. Also, wenn wir sagen, wir wollen nach Myanmar fahren, dann nicht, weil wir gerade in Singapur sind und dann fahren wir dahin.
Ganz so war das nicht gemeint, sondern, dass sich viele Sachen auch im Land dann selbst ergeben.
Ja, also auf alle Fälle. Zum Beispielsaßen wir einmal in Jakarta im Archiv sitzt, haben Akten der Niederländische n Ostindien-Kompanie durchforstet und die gaben dann den Hinweis auf eine Händlerfamilie oder Händlerdynastie mit denen an der indischen Ostküste gehandelt wurde. Und man wusste diese Waren kommen irgendwo aus dem Himalaya und der Typ sitzt in Lhasa, da haben wir dann ein bisschen weitergeforscht, wo er denn genau saß und wo der denn in Lhasa zu finden ist. Diese Fragestellungen haben sich dann natürlich klar in Asien ergeben.
Was beinhaltet die nächste Fahrt?
Das ist ein Projekt, das sich mit niederländischer materieller Kultur beschäftigt. Es geht darum, wie ein Kulturtransfer von Europa nach Asien erfolgt ist, beziehungsweise von Asien nach Europa, das heißt, praktisch werten wir dort Nachlassinventare aus: Die Leute sind verstorben, dann wurde ein Nachlassverzeichnis angefertigt, Wohnung und alles was sie hatten wird erst mal aufgenommen und wir vergleichen dann die unterschiedlichen Nationen. Wir haben jetzt zum Beispiel bei Chinesen in den Nachlassverzeichnissen geguckt, was dort niederländisch ist. Was ist dort an niederländischen Gebrauchsgegenständen oder Kunst aufgenommen worden beziehungsweise andersherum. In diesem Jahr geht’s hauptsächlich darum bei den Niederländern zu gucken. Wir haben letztes Jahr so ein paar Sachen angefangen und sind leider nicht ganz fertig geworden. Das wollen wir dieses Jahr beenden, einfach mal gucken, was die an chinesischer materieller Kultur dort haben.
Wie lange dauern solche Forschungsreisen?
Das ist ganz unterschiedlich. Feldstudien dauern länger als Archivstudien. Jetzt die Archivreise dauert nur ´ne Woche. Ich glaube, das längste, was wir in Jakarta gemacht haben, waren 14 Tage. Da hat man dann auch ein Jahr lang zu tun, um das ganze auszuwerten. Feldstudien sind natürlich unterschiedlich je nachdem wie groß das Areal ist, das man beackern muss. Ich glaube, bei der längsten Feldstudie, die ich mal gemacht habe, waren wir sechs Wochen unterwegs. Da sind wir aber auch wirklich vom Süden nach Norden und Westen gefahren und waren in komplett Südindien unterwegs.
Welche war ihre erste Forschungsreise und welche Zielsetzung gab es dabei?
Die erste Reise ging in den Süden Indiens, über Madras nach Madurai, Kanyakumari, Kochin, Mysore zurück nach Madras. Dabei ging es uns um koloniale Friedhöfe und Beerdigungskultur.
Welches war Ihre spannendste Fahrt und was haben Sie dabei alles erlebt?
Die spannendste Fahrt ging nach Hyderabad beziehungsweise von dort aus nach Bijapur. Ich war eine Woche zu Feldstudien in Hyderabad unterwegs und sollte einen kurzen Abstecher nach Bijapur durchführen, um dort Fotos von ein paar für die niederländische Kolonialkultur wichtigen Gebäuden zu machen. Ich bin – angesichts des indischen Verkehrs – sehr früh am Morgen losgefahren (circa drei Uhr nachts), habe allerdings vergessen, dass man in Indien auch nachts ohne Licht fährt. Mir war recht mulmig zumute, als ich mitbekam, dass die LKWs auch ohne Licht überholten und häufig auf unserer Fahrspur unterwegs waren. Auch die riesigen Schlaglöcher waren nicht zu sehen! Nachdem wir schließlich angekommen waren, begab ich mich mit meinem Fahrer sofort auf die Suche nach den für mich wichtigen Gebäuden. Er sprach zwar fünf Sprachen – allerdings am schlechtesten Englisch. Wir suchten also das Asar Mahal, aus dem nach dem tausendsten Mal Fragen ein Aschram Mahal wurde und so landeten wir schließlich in einem Aschram (klosterähnliches Meditationszentrum, Anm. d. Red.). Der dort residierende Guru wollte mich nicht so ohne Weiteres weglassen, nach drei bis vier Stunden harten Diskutierens hatte ich es doch geschafft und meine Fotos konnte ich auch noch machen.
Haben die Fahrten Einfluss auf Ihre Arbeit an der Universität?
Einfluss haben diese Reisen natürlich, aber nur einen positiven. Zum einen fahre ich nur in der vorlesungsfreien Zeit, so dass die Lehre zu keiner Zeit betroffen ist. Zum anderen kann ich natürlich die Erfahrungen aus diesen Reisen an die Studenten weitergeben. Hier lassen sich bestimmte Sachverhalte, Zustände oder etwa Eindrücke anschaulicher darstellen.
Sind Sie vor neuen Fahrten noch aufgeregt oder eher routiniert?
Wenn ich die Ziele kenne sind die Fahrten eher Routine. Lediglich zu Feldstudien beziehungsweise bei Reisen zu unbekannten Zielen bereite ich mich noch gründlicher vor und bin ein bisschen aufgeregt.
Reizt es Sie auch ins Ausland zu gehen, um dort zu arbeiten?
Nein, ganz bestimmt nicht. Um Studien durchzuführen ist es immer ganz nett, aber den Rest mache ich lieber in Greifswald.
Ein Vorurteil besagt ja, dass die Dozenten auf ihren Forschungsreisen den Luxus von fünf Sterne Hotels genießen können. Stimmt das?
In der Regel sind wir in Asien in vier oder fünf Sterne Hotels untergebracht, die durchaus annehmbare Standards bieten können. Hier handeln wir nach den durch das Auswärtige Amt herausgegebenen Empfehlungen für die einzelnen Regionen. Zum einen geht es um die persönliche Sicherheit, die in manchen Ländern nur in bewachten Gebäuden gewährleistet werden kann. Zum anderen lassen sich Forschungen in für uns klimatisch ungewohnten Gegenden mit einem gewissen Komfort (vor allem Klimaanlagen) besser durchführen. Auch die Frage der Gesundheit spielt hier eine wichtige Rolle. Schon wenige Tage können für eine Forschungsreise wichtig sein!
Herr Driesner, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Laura-Ann Schröder, das Portraitfoto wurde von Johannes Köpcke aufgenommen. Die Bilder in der Galerie wurden uns von Jörg Driesner zur Verfügung gestellt und stehen nicht unter CC-Lizenz.