Eine Rezension von Arvid Hansmann

Gigantische Luftschiffe über einem zerbombten Labyrinth von Schützengräben, feuerspeiende Drachen im Schlachtgetümmel, futuristische Städte mit High-Tech-Waffen – und fünf leicht bekleidete junge Damen, die auf alles schießen, hauen oder stechen, was sich bewegt – vermeintliche Zuckerpuppen, die sich mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Demütigungen ihrer martialisch-patriarchalen Umwelt zur Wehr setzen –und das Ganze vorangetrieben von manisch-wilder Musik. Dies scheinen doch genügend Zutaten zu sein, um einen großen Hollywoodfilm zu schaffen. Und doch bleibt da eine Leere zurück, wenn man die rund 110 Minuten von „Sucker Punch(z. dt. etwa „Boxhieb ohne Vorwarnung“) als Kinobesucher durchflossen hat; das trainierte jugendliche Auge benötigt, um die Bildfolge nicht zum psychedelischen Rausch jener Jahre werden zu lassen, auf die der adaptierte Jefferson-Airplane-Klassiker „White Rabbit“ verweist.

Wie Alice im Wunderland?

Wie „Alice im Wunderland mit Maschinengewehren“, so beschreibt Regisseur Zack Snyder sein neuestes Werk. Referenzobjekt wird hier sogleich die jüngste Verfilmung der Geschichte (2010) durch Tim Burton, jenes Meisters des grotesk überzeichneten Leinwandspektakels, der hier durch die Disney-Produzenten zur Mäßigung gedrängt worden war. Jedoch äußerte sich diese Mäßigung nicht in den Bildern: Die Welt die sich für die junge Alice im Kaninchenbau auftat, steht den Szenarien in Snyders Film in ihrer visuellen Fantasie kaum nach. Das, woran es beiden Filmen mangelt, ist der Mut zu einer innovativen, beziehungsweise konsequenten Geschichte.

Es ist das große Dilemma Hollywoods, das man dort nur äußerst selten bereit ist, ein intelligentes Narrativ mit einem entsprechenden audiovisuellen Horizont zu vereinen. Die Bilder besitzen mitunter eine so subtile Mehrschichtigkeit und eine so reiche Semantik, dass man sich immer wieder fragt, warum dies nicht auch auf die Ausgestaltung der Charaktere und den Handlungsverlauf übertragbar ist.

The Dormouse never said „Feed your head.“

In der Irrenanstalt steht Babydoll eine Lobotomie bevor. Wenn sie ihre eingängige Version von "Sweet Dreams" vorträgt, erhält man hier den Quellennachweis.

In „Sucker Punch“ ist die Protagonistin ein junges Mädchen (Emily Browning), das nach dem Tod seiner Mutter vom bösen Stiefvater in eine Irrenanstalt gebracht wird, wo ihr nach wenigen Tagen eine Lobotomie, also die Auslöschung ihrer Persönlichkeit, bevorsteht. In dieser scheinbar ausweglosen Situation lernt sie in der Theatergruppe einer ebenso hilfsbereit, wie hilflosen Therapeutin (Clara Gugino) vier weitere Mädchen kennen. Diese imaginieren die trostlosen Gefängnisräume als Szenerie eines Revuetheaters, in dem der sadistische Anstaltsleiter (Oscar Isaac) zum schmierigen Nachtclubbesitzer wird. Zwischen den Schwestern „Sweet Pea“ (Abbie Cornish) und „Rocket“ (Jena Malone), der dunkelhaarigen „Blondie“ (Vanessa Hudgens) und der Asiatin „Amber“ (Jamie Chung) wird nun der Neuankömmling als „Baby Doll“ zum eigentlichen Star. Zum einen vermag sie durch ihre Tänze die anwesende Männerwelt zu betören und hegt zum anderen konkrete Pläne, aus diesem Verlies auszubrechen, wozu sie auch ihre Freundinnen animiert.

Der eigentliche Reiz des Filmes besteht nun darin, dass sie sich mit jedem Tanz im Geiste in ein gigantisches Kampfszenario begibt. Hier wird nun sowohl im Narrativ, als auch in der Ästhetik in direkter Weise zu einem anderen Medium Bezug genommen: dem Computerspiel. Jeder Kampf bildet ein „Level“, in dem zunächst durch einen Auftraggeber das zu erreichende Ziel vorgegeben wird. Diese Aufgabe übernimmt hier Scott Glenn, der im Betrachter Assoziationen zum mittlerweile zwanzig Jahre alten „Das Schweigen der Lämmer“ weckt, wo er als väterlich-besorgter FBI-Agent die junge Clarice Starling zu Hannibal Lecter schickte.

Nach einem „Einführungslevel“, in dem „Baby Doll“ ihre Ikonographie als „Schulmädchen mit Samuraischwert“ erhält, wobei die blondierten Zöpfe, die melancholischen Augen und der Schmollmund das utopische Schönheitsideal der Mangawelt noch steigern, erwarten die fünf Mädchen gemeinsam drei weitere Level, die sich quasi paradigmatisch in die Genreklassifizierung des „Cyberspace“ einfügen. Dabei ist es diesem Film durchaus positiv anzurechen, wenn er die Kategorien „History“, „Fantasy“ und „Science Fiction“ zunächst in ihrer Fassadenhaftigkeit offen legt: das Prinzip „alles abknallen, was sich bewegt“, ist stets das gleiche. Spannend ist jedoch, zu sehen, wie auf einer zweiten Ebene das Bewusstein für „Geschichte“ ikonographisch kanonisiert wird.

Es mag zumindest den „gebildeten Europäer“ freuen, wenn im Szenario „Erster Weltkrieg“ neben den Schlaglichtern „Schützengraben“, „Zeppelin“ und „Doppeldecker“, sowie der Lokalisierung „Frankreich“ durch die skelettierte Kathedrale (wobei es unsicher ist, ob es sich um die wirklich im Krieg beschädigte in Reims oder die plakativere in Paris handeln soll), die „bösen Deutschen“ auch Pickelhauben und nicht nur Stahlhelme tragen und dass hier höchsten ein Ritter- aber kein Hakenkreuz etwas verloren hat und so vielleicht ein Hauch von einem „didaktischen Erfolg“ die amerikanischen Rezipienten erreicht.

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Im Szenario „mittelalterliche Drachenburg“, in dem geharnischte Ritter auf Orks treffen (die vermutlich Peter Jackson kostengünstig abzugeben hatte), dient den fünf Kämpferinnen ein B-25-Bomber als Transportmittel und im dritten Szenario, durch das ein futuristischer Zug rast, der von technokratisch-sterilen Cyborgs bewacht wird, kommt ein Bell-UH-1-Hubschrauber zum Einsatz. Damit wird auf die beiden weiteren prägenden amerikanischen Kriegsschauplätze des 20. Jh. verwiesen. Ob nun die „Vernichtung des menschenverbrennenden Monsters“ auf Hitler und das „Scheitern der Mission“ auf Vietnam verweist, bleibt Interpretation. Festzuhalten bleib jedoch das diese Akzentuierung in der Geschichtsrezeption, oder besser –konstruktion durch den Film weiter unterstrichen wird.

„Da brauch’n ma Maschinengewehre und Stinger-Raketen, sonst wird das nischt!“

Das Bewusstsein dafür, dass man spätestens jenseits des kommunikativen Gedächtnisses, das mit dem letzten „persönlichen Zeugen“ (der auch alles andere als „objektiv“ ist) stirbt, so etwas wie eine „geschichtliche Wahrheit“ vergeblich sucht, hat Regisseur Zack Snyder bereits 2006 mit „300“ exemplarisch aufgezeigt. Der selbstaufopfernde Kampf der Spartaner gegen die persische Übermacht an den Thermopylen hatte sicher schon in der antiken Überlieferung die Funktion, patriotische Kampfestreue zu beschwören, wurde also aus einer späteren Zeit sinnstiftend interpretiert. Das zynische Grinsen, mit dem Gerald Butler dem König Leonidas ein äußerst einprägsames Gesicht verlieh, gab der Bildfreude am Gemetzel eine Ambivalenz, die zwischen der absoluten Hingabe für eine „höhere Sache“ und blankem Fatalismus schwankte. Die Popularität, die der Film gerade durch seine Parodien erhielt (von denen hier die Synchronisation des Mansfelder Anarcho-Duos „Elsterglanz“ besonders lobend hervorgehoben sein soll), wird auch die Feldlager im Irak und in Afghanistan erreicht haben. Ob dies die Opferbereitschaft für „Heim und Weib“ gesteigert hat, bleibt zu hinterfragen.

Abbie Cornish bei der Berlinale 2006, wo sie mit Heath Ledger das Drogendrama „Candy“ präsentierte.

Bei „Sucker Punch“, das nicht wie „300“ oder „Watchmen“ (2009) auf einer Comic-Vorlage basiert, sondern von Snyder zusammen mit seiner Frau Deborah ausgearbeitet wurde, wird jene zynische Ambivalenz durch das moralisierend gerechte Finale verwässert. Wenn sich die Heldin dieser Passionsgeschichte als Opferlamm mit Tigerkrallen zur Wehr setzt und sich ihr am Ende das Lobotomiewerkzeug gleich einem Kreuzesnagel nähert, fragt man sich, was denn hier das „Evangelium“ sein soll. Ist die amerikanische Moral von der „Erlösung des Individuums aus dem eigenen Willen heraus“ wirklich tragfähig? Hätte nicht die Konsequenz eines resignativen Szenarios, wie es Frank Miller ja bereits in „Sin City“ (2005) vorgegeben hatte, animierender auf den Zuschauer gewirkt?

Sicher erscheint es völlig am Ziel der Produzenten und wohl auch am Gros der Rezipienten vorbeigeschossen, hier wenigstens einige Züge von Brechts „epischem Theater“ einzufordern (oder zumindest das Rachelied seiner „Seeräuber-Jenny“). Doch hätte Snyder nicht die in ihren Ansätzen und in ihrer ästhetischen Gestaltung dafür prädestinierten Figuren mehr parabelhaft wirken lassen sollen? In den Level-Sequenzen hat er den Zuschauer ja zum passiven „Gegenüber“ gemacht – was den Reiz eines Computerspiels schnell abtötet.

Resümierend bleibt festzuhalten, dass „Sucker Punch“ als „Bildorgie“ durchaus innovatives Potential besitzt, dieses aber durch die inkonsequente Dramaturgie wieder verspielt. Man braucht hier nicht den Vergleich zu Julie Taymors Shakespeare-Verfilmung „Der Sturm“ (2010, in Deutschland leider noch nicht erschienen) zu unternehmen, bei dem die Geschichte auf einer nackten Theaterbühne ebenso gut wirken würde – eben deshalb, weil sie für die Theaterbühne geschaffen wurde. Die Möglichkeiten des Kinos und gerade der digitalen Technik sollten aber auch Dramaturgen animieren, über konventionelle Grenzen hinwegzudenken.

Ob nun – gerade in unseren Tagen – das Thema Krieg unbedingt die Hauptquelle für die phantastische Ausgestaltung sein muss, könnte man anprangern. Gerade hier wäre die Abstraktion das zu ersehnende Ziel. Der Staufer-Kaiser Friedrich II. hatte einst im 13. Jahrhundert auf einem Schachbrett um Jerusalem gekämpft – so erzählt es uns Guido Knopp. Sollten wir ihn bei seiner Welterklärung zumindest in diesem Punkt einmal unterstützen, anstatt aus unserem Elfenbeinturm auf tönernem Fundament verächtlich auf ihn herabzublicken

Fotos: Warner Bros (keine CC-Lizenz), Arvid Hansmann (Abbie Cornish, moritz-Archiv)